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Aber ich merke schon, dass er einen Entschluss gefasst hat. Es ist genauso wie damals in unseren Flitterwochen, als er beschlossen hatte, dass wir mit dem Zug nach Lahore fahren, statt zu fliegen. Er wird nicht nachgeben.

Na, schön. Er kann so viele Erziehungsgurus engagieren, wie er will. Niemand nimmt mir meine Minnie weg. Soll Nanny Sue doch kommen und sich die Zähne ausbeißen. Der werd ich's zeigen. Pass mal auf.

DR. JAMES LINFOOT

36 HARLEY STREET

LONDON

W1

Rebecca Brandon

The Pines

42 Elton Road

Oxshott

Surrey

                                                                                                                3. März 2006

Liebe Rebecca,

vielen Dank für Ihren Brief vom 1. März.

Vom »Schlaf-Shoppen« habe ich noch nie etwas gehört. Daher kann ich Ihnen auch weder die lateinische Bezeichnung dafür nennen noch Ihrem Gatten schreiben und ihm sagen, dass er »Rücksicht auf Ihr Krankheitsbild nehmen« soll.

Ich kann Ihnen nur raten, Ihren Hausarzt zu konsultieren, falls die Symptome nicht nachlassen sollten.

Mit freundlichen Grüßen,

James Linfoot

15

Jetzt spreche ich also nicht mehr mit Mum, und mit Luke spreche ich auch kaum noch.

Mehr als eine Woche ist vergangen. Heute kommt Nanny Sue, und ich bin bereit. Ich komme mir vor wie ein Gladiator auf dem Weg in die Arena, voll ausgerüstet mit stacheligen Knüppeln und baumeligen Eisendingern. Aber ich bin immer noch stinksauer auf Luke. Ehrlich gesagt, werde ich immer wütender, je mehr Zeit vergeht. Wie konnte er einen Termin vereinbaren, ohne sich vorher mit mir abzusprechen? Wir sitzen beim Frühstück und haben bisher kaum zwei Worte miteinander gewechselt. Und ganz bestimmt hat keiner von uns Nanny Sue erwähnt.

»Möchtest du noch etwas Milch, Minnie?«, sage ich frostig und greife an Luke vorbei zum Krug. Luke seufzt. »Becky, so kann es nicht weitergehen. Wir müssen miteinander reden.« »Schön. Reden wir.« Ich zucke mit den Schultern. »Worüber? Das Wetter?«

»Na ja ... was macht deine Arbeit?«

»Ist okay.« Klappernd rühre ich meinen Kaffee um.

»Wunderbar!« Luke klingt so begeistert, dass mir ganz anders wird. »Bei uns läuft auch alles gut. Sieht so aus, als könnten wir jeden lag mit einem Termin bei Christian Scott-Hughes rechnen. Seit über einem Jahr versucht der Kunde an ihn ranzukommen, und deshalb sind die da ganz aufgeregt.«

Jappadappadu. Als würde ich mich für ein schnarchiges Treffen mit Christian Scott-Hughes interessieren.

»Toll«, sage ich höflich.

»Leider muss ich heute meiner persönlichen Assistentin den Marsch blasen. Nicht so gut.« Er seufzt. »Das kam eher überraschend.«

Was? Er muss was tun?

Ich hebe den Kopf, kann meine distanzierte Haltung nicht mehr wahren. Er will Bonnie den Marsch blasen? Wie kann er Bonnie den Marsch blasen? Sie ist doch perfekt! Sie ist ein Schatz!

»Aber ... ich dachte, du bist ganz begeistert von ihr«, sage ich und gebe mir Mühe, nur mildes Interesse zu zeigen. »Ich dachte, sie ist die beste Assistentin, die du je hattest.«

»Das dachte ich auch. Aber in letzter Zeit ist sie ... « Luke zögert. »Ich kann sie nur als ungeeignet bezeichnen.« Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Bonnie ungeeignet sein könnte.

»Was meinst du damit? Was hat sie denn getan?«

»Es ist merkwürdig.« Luke wischt mit der Hand über seine Stirn und wirkt ratlos. »Meistens verhält sie sich ausgesprochen diskret und taktvoll. Und dann mischt sie sich in Dinge ein, die sie -offen gesagt -nichts angehen. Wie zum Beispiel, dass sie Bemerkungen zu meinem Duschgel macht!« Luke runzelt die Stirn. »Ich finde solches Verhalten absolut unprofessionell, du nicht?«

Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. »Äh ... ich vermute ... «

»Es kamen weitere Bemerkungen, die noch taktloser und aufdringlicher waren. Ehrlich gesagt, habe ich sie nicht eingestellt, um mir ihre Ansichten zu meiner Familie oder meinem Haus anzuhören. Oder zur Wahl meiner Krawatten.«

Scheiße. Scheiße. Das ist alles meine Schuld. Aber das darf ich ihm nicht sagen, oder?

»Na, ich finde, du solltest ihr noch eine Chance geben«, sage ich eilig. »Du willst sie doch nicht grundlos vor den Kopf stoßen, oder? Wahrscheinlich wollte sie nur nett plaudern. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie noch mal indiskret sein wird. Da bin ich mir eigentlich ganz sicher.«

Weil ich sie gleich anrufen und ihr sagen werde, dass sie das mit den Vorschlägen lieber lassen soll.

Luke mustert mich mit wunderlichem Blick. »Wieso interessiert es dich so? Ich wusste gar nicht, dass du sie kennst.« 

»Tu ich auch nicht! Ich finde nur, dass Menschen eine zweite Chance bekommen sollten. Und deshalb finde ich, du solltest auch deiner Assistentin eine zweite Chance geben. Wie heißt sie noch? Bobbie?«, füge ich treuherzig hinzu.

»Bonnie«, verbessert mich Luke. »Bonnie.« Ich nicke. »Natürlich. Ich bin ihr nur einmal begegne!«, füge ich hinzu. »Vor einer Ewigkeit.« Ich werfe Luke einen verstohlenen Blick zu, aber er scheint mir nichts zu ahnen. Gott sei Dank.

»Ich muss los.« Er steht auf, wischt sich den Mund. »Also ... Ich hoffe, es läuft gut heute.« Er gibt Minnie einen Kuss. »Viel Glück, Spätzchen.«

»Sie ist nicht auf der Flucht«, erwidere ich knapp. »Sie braucht kein Glück.«

»Na, wie dem auch sei ... sag mir Bescheid, wie es gelaufen ist.« Er macht eine unbeholfene Geste. »Becky, ich weiß, wie dir zumute ist wegen ... heute. Aber ich glaube wirklich, das könnte der Durchbruch sein, den wir brauchen.« 

Ich mache mir nicht mal die Mühe, ihm zu antworten. Nie im Leben wird irgendeine kinderstehlende Boot-Camp-Expertin in meiner Familie einen »Durchbruch« erleben.

Um zehn Uhr bin ich für sie bereit. Das Haus ist gerüstet, und ich bin gerüstet, und selbst Minnie versucht, in ihrem Marie Chantal-Trägerkleidchen einen braven Eindruck zu machen.

Ich habe Recherchen angestellt. Zuerst habe ich mir Nanny Sues Website angesehen und jede einzelne Seite gelesen. Leider steht da noch nichts vom Boot Camp, nur ein Hinweis: »Meine neue Reihe von Verhaltensschulungen für Kinder und Erwachsene wird demnächst beginnen -nähere Einzelheiten später.« Huh. Überrascht mich gar nicht, dass sie damit hinterm Berg hält.

Dann habe ich mir alle ihre DVDs gekauft und angesehen.

Es ist immer dasselbe Muster. Da gibt es eine Familie mit herumwuselnden Kindern und streitenden Erwachsenen und normalerweise einem alten, kaputten Kühlschrank im Garten oder ungesicherten Steckdosen oder irgendwas. Dann kommt Nanny Sue rein und guckt sich alles an und sagt: »Ich möchte sehen, wer die Ellises wirklich sind«, was heißen solclass="underline" »Ihr macht eine ganze Menge falsch, aber ich sag euch noch nicht, was.« 

Am Ende schreien sich die Erwachsenen immer an und heulen sich dann schluchzend an Nanny Sues Schulter aus und erzählen ihre Lebensgeschichte. Und jede Woche holt sie ihre kleine Schachtel mit den Taschentüchern raus und sagt feierlich: »Ich glaube, hier geht es nicht nur um das Betragen Ihrer Kinder, was?«, und sie nicken, plaudern alles über ihr Sexualleben oder Probleme bei der Arbeit oder Familientragödien aus, und dazu läuft traurige Musik, und am Ende muss man selbst heulen.