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»Runter da!« Mit aller Kraft schaffe ich es, eine Hand zurückzubiegen, aber sofort krallt sie sich wieder fest.

»Meeeeiiin!«

»Holen Sie Ihre Tochter von dieser Schaufensterpuppe!«, fährt mich die Elfe an. »Da kommen Kunden! Schaffen Sie sie da runter!« »Ich versuche es ja!«, sage ich verzweifelt. »Minnie, ich kauf dir eine püppi. Ich kaufe dir zwei Püppis!« Ein paar Mädchen mit Einkaufstüten sind stehen geblieben, um uns zuzusehen, und eine fängt an zu kichern.

»Minnie, gleich kriegst du ein Stilles Schleifchen!« Mir ist total heiß und schwummerig. »Und du kommst auf die Stille Treppe! Und du kriegst nie wieder was Süßes! Und der Weihnachtsmann zieht auf den Mars, und die Zahnfee auch ...« Ich packe sie bei den Füßen, aber sie tritt mir ans Schienbein. »Autsch! Minnie!« 

»Püppiiiiiii!«, heult sie.

»Wissen Sie was?«, bricht es plötzlich aus der Elfe hervor. »Nehmen Sie die Schaufensterpuppe! Nehmen Sie die verdammte Puppe einfach mit!« 

« Mitnehmen?« Ich starre sie an, verdutzt.

« Ja! Egal! Gehen Sie endlich! GEHEN SIE! RAUS!« 

Minnie liegt noch immer der Länge nach auf der Schaufensterpuppe und klammert sich mit aller Kraft daran. Unbeholfen hebe ich die Puppe mit beiden Händen auf und schleppe sie wie eine Leiche hinter mir her. Ächzend vor Anstrengung bringe ich es irgendwie fertig, sie bis vor die Tür zu manövrieren -dann lasse ich sie fallen und blicke auf. Nanny Sue ist uns mit meinen drei Einkaufstüten gefolgt. Jetzt beobachtet sie mich und Minnie mit undurchschaubarer Miene.

Und plötzlich ist es, als erwachte ich aus einer Trance. Plötzlich sehe ich alles, was eben passiert ist, mit Nanny Sues Augen. Ich schlucke mehrmals, versuche, mir irgendeine unbekümmerte Bemerkung wie »Tja, so sind Kinder... was soll man machen?«,  zu überlegen. Aber mir will nichts einfallen, und außerdem ist mein Mund sowieso total ausgetrocknet. Wie konnte ich das geschehen lassen? Im Fernsehen wird nie jemand aus einem Laden rausgeworfen. Ich bin schlimmer als die ganzen Familien mit ihren alten Kühlschränken im Garten.

Was wird sie wohl in ihrer Beurteilung schreiben? Was wird sie Luke erzählen? Was wird sie ihm raten?

»Haben Sie jetzt genug eingekauft?«, sagt sie mit ganz normaler, freundlicher Stimme, als würden uns nicht sämtliche Passanten anstarren.

Ich nicke schweigend, mit brennenden Wangen.

»Minnie«, sagt Nanny Sue. »Ich glaube, du tust der armen Püppi weh. Wollen wir sie jetzt loslassen und dir was Leckeres kaufen? Wir könnten ja auch Püppi was kaufen.«

Minnie dreht sich um und sieht Nanny Sue einen Moment misstrauisch an -dann klettert sie von der Puppe herunter.

« Braves Mädchen«, sagt Nanny Sue. »Wir lassen die Püppi da, wo sie wohnt.« Sie hebt die Puppe auf und lehnt sie an die Tür. »Und jetzt suchen wir dir was Hübsches zu trinken. Sag: »Ja, Nanny Sue.«

»Aah, Nanny Sue«, plappert Minnie ihr gehorsam nach.

Hä? Wie hat sie das gemacht?

»Rebecca, kommen Sie?«

Irgendwie schaffe ich es, meine Beine in Gang zu bringen, und laufe mit ihnen los. Nanny Sue fangt an zu reden, aber ich höre kein Wort davon. Die Sorge macht mich krank. Sie wird ihren Bericht abgeben und sagen, dass Minnie eine Spezialbehandlung in einem Boot Camp braucht. Ich weiß es genau. Und Luke wird auf sie hören. Was soll ich nur tun?

Um neun Uhr abends bin ich völlig neben der Spur, laufe auf und ab und warte darauf, dass Luke nach Hause kommt.

Es ist der schlimmste Moment in unserer Ehe. Mit Abstand. Mit Millionen Meilen Abstand. Denn wenn es hart auf hart geht, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als Minnie irgendwo in Sicherheit zu bringen und Luke nie wiederzusehen und unsere Namen notariell ändern zu lassen und meine Trauer mit Alkohol und Drogen zu ertränken.

Na, gut. Schlimmstenfalls.

Als ich seinen Schlüssel in der Tür höre, erstarre ich.

»Becky?« Er erscheint in der Küchentür. »Ich dachte, du rufst mich an! Wie ist es gelaufen?«

»Prima! Wir waren shoppen und ... äh ... Kaffee trinken.« Ich klinge total aufgesetzt und steif, aber Luke scheint nichts davon zu merken, was nur wieder mal zeigt, wie aufmerksam er ist.

»Und was hat sie über Minnie gesagt?« »Nicht viel. Du weißt schon. Ich denke, sie wird sich wohl wieder melden. Wenn sie ihre Schlussfolgerungen gezogen hat.«

»Hmm.« Luke nickt, lockert seinen Schlips. Er geht zum Kühlschrank, dann bleibt er am Tisch stehen. »Dein BlackBerry blinkt.«

»Ach, ja?«, sage ich mit gespielter Überraschung. »Oh, dann habe ich wohl eine Nachricht bekommen! Willst du sie abhören? Ich bin soooo müde.«

»Wenn du möchtest.« Luke wirft mir einen merkwürdigen Blick zu, nimmt das Gerät und wählt die Mailbox an, während er sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank holt.

»Das ist sie.« Abrupt blickt er auf. »Es ist Nanny Sue.« »Wirklich?« Ich versuche, erstaunt zu klingen. »Na ... dann stell sie doch auf Mithören!« Während die Küche von den gedehnten Vokalen Südwestenglands erfüllt ist, lauschen wir beide regungslos.

» ... folgt ein vollständiger Bericht. Ich wollte nur kurz sagen, dass Minnie ein zauberhaftes Kind ist. Es war mir ein Vergnügen, den Tag mit ihr und Ihrer Frau zu verbringen. Beckys erzieherisches Talent ist tadellos, und ich kann in Ihrer Familie keinerlei Probleme erkennen. Herzlichen Glückwunsch! Auf Wiederhören. «

»Wow!«, rufe ich, nachdem aufgelegt wurde. »Wenn das nicht erstaunlich ist! Da können wir die ganze Episode ja jetzt hinter uns lassen und zu Wichtigerem übergehen.«

Luke hat bisher mit keiner Wimper gezuckt. Jetzt wendet er sich um und sieht mich lange und eindringlich an.

»Becky.«

»Ja?« Ich werfe ihm einen nervösen Blick zu.

»War das zufällig Janice, die mit Akzent gesprochen hat?«

Was? Wie kann er so was auch nur sagen?

Ich meine, okay, es war Janice, aber sie hat ihre Stimme perfekt verstellt. Ich war echt beeindruckt. »Nein!« Ich plustere mich auf. »Das war Nanny Sue, und ich bin echt gekränkt, dass du mich so was fragst.«  »Gut. Na, ich ruf sie gleich mal an und rede mit ihr.« Er holt seinen BlackBerry hervor.

»Nein, nicht!«,  jaule ich.

Wieso ist er so misstrauisch? Das ist kein feiner Charakterzug. Das werde ich ihm eines Tages mal sagen. »Du störst sie nur«, improvisiere ich. »Es gehört sich nicht, so spät noch anzurufen.«  »Das ist deine einzige Sorge, ja?« Er zieht die Augenbrauen hoch. »Dass es sich nicht gehört?«

»Ja«, sage ich trotzig. »Natürlich.«

»Na, dann schick ich ihr eine Mai!.«

Oh, Gott. Das läuft nicht wie geplant. Ich dachte, ich könnte wenigstens etwas Zeit schinden.

»Okay, okay! Es war Janice«, sage ich verzweifelt, als er schon tippt. »Aber ich hatte keine Wahl! Luke, es war schrecklich. Es war eine Katastrophe. Minnie ist aus einem Laden rausgeflogen, und sie hat eine Schaufensterpuppe gestohlen, und Nanny Sue hat nichts gesagt, hat mich nur so angesehen, und ich weiß genau, was sie uns empfehlen wird, aber ich kann Minnie nicht in irgendein Boot Camp in Utah schicken! Ich kann es einfach nicht. Und wenn du mich zwingst, muss ich eine richterliche Verfügung erwirken, und wir gehen vor Gericht, und dann sind wir wie Kramer gegen Kramer, und sie ist für ihr Leben gezeichnet, und alles ist nur deine Schuld! «

Aus heiterem Himmel laufen mir Tränen über das Gesicht.

»Was?« Ungläubig starrt Luke mich an. »Utah?«