»Taschengeld?« Ihre Augen leuchten auf. »Shops?« Sie zieht an meiner Hand. »Starbucks-Shops?«
»Nicht jetzt«, sage ich hastig.
»Shops! Shops!« Enttäuscht reißt Minnie an meiner Hand, als müsste ich nur begreifen, was sie will. Den gleichen Gesichtsausdruck hatte Dad in Frankreich, als wir einen Ventilator kaufen wollten und die französischen Verkäufer ihn nur mit leeren Blicken anstarrten, während er » Ventilator! ventilator! Electrique!« rief und mit beiden Händen herumwedelte.
»Shops.«
»Nein, Minnie!« fahre ich sie an. »Sei jetzt still!«
Minnie sieht aus, als würde sie ihr Hirn nach einer anderen Möglichkeit martern, wie sie es mir sagen könnte -da hellt sich ihre Miene auf. » Visa?«
Luke unterbricht sein Gespräch und starrt sie an, sprachlos.
»Hat sie eben < Visa < gesagt?«
»Ist sie nicht schlau?« Ich lache etwas zu fröhlich. »Was Kinder so reden ...« »Becky ... das ist schlimm. Richtig schlimm.« Er sieht so aufgebracht aus, dass es mir die Brust zusammen schnürt.
»Das ist nicht schlimm!«, sage ich verzweifelt. »Sie ist nicht ... ich bin nicht ...« Mein Satz versandet. Einen Moment lang sagt keiner was, nur Minnie, die noch immer an meinem Arm zieht und »Visa!«, ruft.
Schließlich hole ich Luft. »Du meinst tatsächlich, es gibt da ein Problem? Na, gut. Wenn du meinst, ich sollte ins Boot Camp gehen, dann gehe ich ins Boot Camp.«
»Keine Sorge, Becky.« Nanny Sue lacht. »So schlimm wird es nicht werden. Bei dem Programm geht es nur um Gespräche und Verhaltensmodifikationen in unserer Londoner Zentrale, mit einer Unterbringungsmöglichkeit für anreisende Teilnehmer. Es gibt Workshops, Einzelgespräche, Rollenspiele ... Ich glaube, es wird Ihnen gefallen!«
»Mir gefallen?«
Sie reicht mir einen Zettel, aber ich bringe mich nicht dazu, ihn anzusehen. Ich kann nicht fassen, dass ich eingewilligt habe, ins Boot Camp zu gehen. Ich wusste, ich hätte Nanny Sue gar nicht erst ins Haus lassen sollen.
»Hauptsache, mit Minnie ist alles in Ordnung«, seufzt Luke. »Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«
Nanny Sue nimmt einen Schluck Tee und blickt von ihm zu mir. »Nur so aus Interesse ... wie sind Sie denn überhaupt darauf gekommen, dass etwas mit ihr nicht stimmen könnte?«
»Ich hab mir von Anfang an keine Sorgen gemacht«, sage ich sofort. »Das war Luke. Er meinte, wir könnten kein Kind mehr bekommen, weil wir Minnie nicht im Griff haben. Er meinte, sie ist zu wild.«
Während ich rede, wird es mir bewusst. Jetzt gibt es für ihn keine Ausreden mehr! Sieg! Ich fahre zu Luke herum. »Und wirst du dir das mit dem zweiten Kind jetzt überlegen? Du musst es dir noch mal überlegen!«
»Ich ... weiß nicht.« Luke sitzt in der Falle. »Solche Entscheidungen sollte man nicht überstürzen, Becky. Es ist ein großer Schritt ... «
»Alles im Leben ist ein großer Schritt!«, sage ich abfällig. »Sei nicht so ein Schisshase! Sie finden doch auch, dass Minnie noch ein Geschwisterchen haben sollte, oder?«, flehe ich Nanny Sue an.Sie glauben doch auch, dass es gut für sie wäre.«
Ha! Das wird Luke eine Lehre sein. Dieses Spielchen Wie ziehe ich Nanny Sue auf meine Seite? beherrsche ich auch.
»Das ist eine sehr persönliche Entscheidung.« Sie wirkt nachdenklich. »Allerdings dürfte es bisweilen hilfreich sein, solche Fragen zu besprechen. Luke, hat es einen speziellen Grund, wieso Sie nicht noch ein Kind möchten?«
»Nein«, sagt Luke nach einer langen Pause. »Eigentlich nicht.« Er fühlt sich offensichtlich unwohl, wie ich plötzlich merke.
»Warum ist es für ihn so ein wunder Punkt?«
»Natürlich sind Babys kleine Störenfriede ... «, beginnt Nanny Sue.
»Minnie nicht!«, verteidige ich sie sofort. »Ich meine, nur ein ganz kleines bisschen ... « Betroffen stutze ich. »Hat es damit zu tun, dass sie damals deine Akten zerkaut hat? Sie hat gezahnt, Luke! Und du hättest die Unterlagen nicht auf dem Bett liegen lassen sollen, und vielleicht hättest du auch eine Kopie davon machen sollen ... «
»Damit hat es nichts zu tun!«, fallt mir Luke ins Wort. »Sei nicht albern! Das wäre kein Grund. Das wäre doch kein ... « Abrupt kommt er ins Stocken, und seine Stimme bekommt plötzlich so etwas Schneidendes. Er hat sich abgewandt, aber ich sehe die Anspannung in seinem Nacken.
»Was ist los?«
»Ich glaube, hier geht es nicht nur darum, wie sich Ihr Kind benimmt, habe ich recht, Luke?«, sagt Nanny Sue leise, und ich starre sie nur an. Das ist genau wie im Fernsehen! »Lassen Sie sich Zeit«, fügt sie hinzu, als Luke tief Luft holt. »Kein Grund zur Eile.«
Alles ist still, nur Minnie kaut an einem Keks. Ich wage nicht, mich zu rühren. Die Atmosphäre im Raum hat sich total verändert. Es ist viel ruhiger. Was wird er sagen?
»Minnie zu bekommen war wundervoll.« Endlich sagt Luke etwas, wenn auch mit ein wenig rauer Stimme »Aber ich glaube einfach nicht, dass ich einem anderen Kind dieselbe Intensität an Gefühl entgegenbringen könnte. Und das Risiko möchte ich nicht eingehen. Ich weiß, was es für ein Kind bedeutet, wenn es sich verlassen und ungeliebt fühlt, und das werde ich meinem eigenen Kind nicht antun.«
Ich bin dermaßen baff, dass ich keinen Laut von mir geben kann. Ich hatte keine Ahnung, dass Luke so empfindet. Gar keine. Überhaupt keine.
»Warum fühlen Sie sich verlassen, Luke?« Nanny Sue spricht mit der weichen, mitfühlenden Stimme, wie immer am Ende ihrer Sendung.
»Meine Mutter hat mich verlassen, als ich klein war«, sagt Luke nüchtern. »Wir sind uns zwar später wieder begegnet, aber wir hatten nie ... eine innere Verbindung, könnte man vielleicht sagen. Vor Kurzem kam es zu einer schweren Auseinandersetzung, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nie wieder ein Wort miteinander sprechen werden.«
»Ich verstehe.« Nanny Sue wirkt unbeeindruckt. »Haben Sie schon versucht, sich mit ihr wieder zu versöhnen? Oder hat sie es versucht?«
»Meine Mutter verschwendet keinen Gedanken an mich.« Er lächelt bitter. »Glauben Sie mir.«
»Becky, sind Sie mit dieser Situation vertraut?« Nanny Sue wendet sich mir zu. »Glauben Sie auch, dass Lukes Mutter keinen Gedanken an ihn verschwendet?«
Mein Gesicht wird heiß, und ich gebe einen kleinen, unartikulierten Laut von mir, der nichts bedeutet.
»Becky hasst meine Mutter noch mehr als ich«, wirft Luke mit barschem Lachen ein. »Stimmt es nicht, Schatz? Du bist doch bestimmt froh, wenn wir sie nie mehr wiedersehen müssen.«
Ich schlucke meinen Tee herunter, mit brennenden Wangen. Es ist nicht auszuhalten. Ich habe etwa zweihundert Nachrichten in meinem Handy, alle von Elinor, alle wegen Luke. Sie will ihm die beste Party der Welt organisieren.
Aber ich darf nichts verraten. Was soll ich sagen?
»Ich bin bei einer wunderbaren Stiefmutter aufgewachsen«, erzählt Luke weiter. »Sie war meine richtige Mum. Aber trotzdem lässt einen dieses Gefühl des Verlassenseins nie los. Wenn ich noch ein zweites Kind hätte, und es würde sich verlassen fühlen ... « Er verzieht das Gesicht. »Das könnte ich einfach nicht.«
»Aber wieso sollte es sich verlassen fühlen?«, fragt Nanny Sue sanft. »Es wäre Ihr Kind. Sie würden es lieben.«
Es folgt langes Schweigen. Dann schüttelt Luke den Kopf.
»Das ist das Problem. Meine Angst, wenn Sie so wollen.« Plötzlich wird seine Stimme ganz tief und heiser. »Ich weiß nicht, wie ich so viel Zuneigung aufbringen soll, um sie unter mehreren aufteilen zu können. Ich liebe Becky. Ich liebe Minnie. Fertig, aus.« Plötzlich dreht er sich zu mir um. »Geht es dir nicht auch so? Hast du nicht auch Angst, dass dir die Kraft fehlen könnte, noch ein Kind zu lieben?«