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ERSTER TEIL.

MINUTUS

»Die Juden, die, von Christus aufgewiegelt, fortwährend Unruhe stifteten, verbannte er aus Rom.«

Sueton, XII vitae imperatorum: Claudius

»Als Jüngling, während der ersten fünf Jahre seiner Regierung, bewies er so viel Größe und förderte er Rom auf so mannigfaltige Weise, daß Trajan mit gutem Grund so oft versichert, die Taten aller anderen Kaiser würden von den Leistungen Neros während dieser fünf Jahre in den Schatten gestellt.«

Aurelius Victor, De caesaribus, 5

I

ANTIOCHIA

Ich war sieben Jahre alt, als mir der Veteran Barbus das Leben rettete. Ich erinnere mich noch gut, wie ich meine alte Amme Sophronia überlistete, um ans Ufer des Orontes hinuntergehen zu können. Dieser reißende, an Wirbeln reiche Strom zog mich an, und ich beugte mich über das Brückengeländer, um die Wasserblasen zu betrachten. Da trat Barbus an mich heran und fragte freundlich: »Möchtest du schwimmen lernen, mein Junge?«

Als ich bejahte, blickte er sich um, packte mich am Genick und im Schritt und schleuderte mich weit in den Fluß hinaus. Dann stieß er einen wilden Schrei aus, rief Herkules und den römischen Jupiter, den Sieger, an, warf seinen zerlumpten Mantel auf die Brücke und sprang mir ins Wasser nach.

Bei seinen Schreien strömten die Leute zusammen, und alle sahen und bezeugten übereinstimmend, daß Barbus sein eigenes Leben aufs Spiel setzte, um mich vor dem Ertrinken zu retten, mich an Land brachte und auf dem Boden hin und her wälzte, bis ich das Wasser von mir gab, das ich geschluckt hatte. Als Sophronia, schreiend und sich die Haare raufend, herbeigelaufen kam, hob Barbus mich eben auf seine starken Arme und trug mich, obgleich ich vor Widerwillen gegen seine schmutzigen Kleider und seinen nach Wein stinkenden Atem strampelte und um mich schlug, nach Hause.

Mein Vater war von meinem Abenteuer nicht sehr erbaut. Er bot Barbus jedoch Wein an und glaubte seiner Versicherung, ich sei am Ufer gestolpert und ins Wasser gefallen. Ich widersprach Barbus nicht, da ich mir angewöhnt hatte, in Gegenwart meines Vaters stillzuschweigen; ja, ich lauschte hingerissen, als Barbus bescheiden berichtete, daß er in seinen Legionärsjahren sowohl die Donau als auch den Rhein und sogar den Euphrat in voller Rüstung durchschwommen hatte. Auch mein Vater trank Wein, um seinen Schrecken zu betäuben, wurde selbst gesprächig und erzählte, wie er in seiner Jugend, als er die Philosophenschule auf Rhodos besuchte, eine Wette eingegangen war, daß er von Rhodos ans Festland zu schwimmen imstande sei. Zuletzt waren er und Barbus sich von Herzen einig, daß es hoch an der Zeit sei, mich schwimmen zu lehren. Mein Vater gab Barbus neue Kleider, so daß dieser, als er sich umzog, Gelegenheit hatte, seine zahlreichen Narben vorzuzeigen.

Von jener Stunde an blieb Barbus in unserem Hause und nannte meinen Vater seinen Hausvater. Er begleitete mich zur Schule und holte mich, sofern er nicht zu betrunken war, nach der Schule wieder ab. Vor allem aber erzog er mich zu einem Römer, denn er war wirklich in Rom zur Welt gekommen und aufgewachsen und hatte volle dreißig Jahre in der Fünfzehnten Legion gedient. Mein Vater holte darüber genaue Erkundigungen ein, denn er mochte zwar ein zerstreuter und zurückgezogen lebender Mensch sein, aber er war nicht dumm und hätte niemals einen entsprungenen Legionär in seinem Hause beherbergt.

Dank Barbus lernte ich nicht nur schwimmen, sondern auch reiten. Auf seine Vorstellungen hin kaufte mir mein Vater ein eigenes Pferd, so daß ich in die Jungritterschaft in Antiochia aufgenommen werden konnte, sobald ich vierzehn war. Zwar hatte Kaiser Gajus Caligula den Namen meines Vaters mit eigener Hand aus der Rolle des Ritterstandes gestrichen, aber in Antiochia wurde meinem Vater dies eher zur Ehre denn zur Schande angerechnet, da man sich dort nur zu gut erinnerte, was für ein Taugenichts Caligula schon als Knabe gewesen war. Er wurde übrigens später im Großen Zirkus in Rom ermordet, als er die Absicht geäußert hatte, sein Lieblingspferd zum Senator zu ernennen.

Zu jener Zeit hatte mein Vater bereits, ohne es zu wollen, eine solche Stellung in Antiochia erreicht, daß man ihn gern unter den Gesandten gesehen hätte, die die Stadt nach Rom schickte, um Kaiser Claudius zu seiner Thronbesteigung zu beglückwünschen. Gewiß wäre dies eine Gelegenheit für ihn gewesen, seine alte Ritterwürde wiederzuerlangen, aber mein Vater weigerte sich standhaft, nach Rom zu reisen. Wie sich später herausstellte, hatte er dafür seine gewichtigen Gründe. Er selbst behauptete jedoch damals, er wolle am liebsten in Stille und Demut leben und trage kein Verlangen nach der Ritterwürde.

Ebenso zufällig wie Barbus in unser Haus gekommen war, vermehrte sich auch das Vermögen meines Vaters. Er versicherte oft auf seine griesgrämige Art, daß er kein Glück mehr gehabt habe, seit bei meiner Geburt die einzige Frau gestorben war, die er jemals wirklich geliebt hatte. Schon in Damaskus hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, alljährlich am Todestag meiner Mutter auf den Markt zu gehen und den einen oder andern elenden Sklaven zu kaufen. Hatte er ihn dann einige Zeit in seinem Hause gehalten und wieder zu Kräften gebracht, ging er mit ihm zu den Behörden, erlegte das Lösegeld für ihn und gab ihm seine Freiheit zurück.

Er gestattete diesen Freigelassenen, nach ihm den Namen Marcius – nicht aber Manilianus – anzunehmen, und gab ihnen Geld, damit sie sich in dem Gewerbe niederlassen konnten, das sie erlernt hatten. So wurde aus einem seiner Freigelassenen Marcius der Seidenhändler und aus einem anderen Marcius der Fischer. Marcius der Barbier verdiente sich ein Vermögen, indem er Frauenperücken nach der neuesten Mode herrichtete. Von allen der reichste jedoch war Marcius der Bergmann, der hernach meinen Vater zwang, ein stillgelegtes Kupferbergwerk in Kilikien zu kaufen. Mein Vater beklagte sich gern darüber, daß es ihm nicht vergönnt sei, das geringste Werk der Barmherzigkeit zu tun, ohne gleich selbst Nutzen und Ehre davon zu haben.

Als er sich nach siebenjährigem Aufenthalt in Damaskus in Antiochia niederließ, war er dank seinen Sprachkenntnissen und seiner Besonnenheit eine Zeitlang Berater des Prokonsuls, vor allem in Angelegenheiten, welche die Juden betrafen, die er auf seinen früheren Reisen in Judäa und Galiläa gründlich kennengelernt hatte. Er war ein friedfertiger, gutmütiger Mann und zog allen Gewaltmaßnahmen stets eine Lösung im Guten vor. Auf diese Weise gewann er hohes Ansehen unter den Einwohnern Antiochias und wurde, als er seine Ritterwürde verloren hatte, in den Rat der Stadt gewählt; nicht etwa, weil man ihm ein ungewöhnliches Maß an Entschlossenheit und Tatkraft zutraute, sondern weil jede Partei glaubte, sich seiner bedienen zu können.

Als Caligula verlangte, daß seine Statue im Tempel zu Jerusalem und in allen Synagogen in den Provinzen aufgestellt werde, verstand mein Vater nur zu gut, daß dies zu bewaffnetem Aufruhr führen konnte. Er riet den Juden, sie sollten, anstatt nutzlose Einwände vorzubringen, lieber versuchen, Zeit zu gewinnen. Tatsächlich gaben die Juden Antiochias dem römischen Senat zu verstehen, sie hätten die Absicht, dem Kaiser Gajus aus eigenen Mitteln wahrhaft kostbare Statuen in ihren Synagogen zu errichten, behaupteten dann jedoch das eine Mal, die Statuen seien nicht gut gelungen, und das andere Mal, ungünstige Vorzeichen verhinderten ihre Aufstellung. Als Kaiser Gajus dann ermordet wurde, lobte man meinen Vater um seiner klugen Voraussicht willen. Ich glaube jedoch nicht, daß er von dem Mord im voraus gewußt hat. Er hatte nur, wie es seine Art war, Zeit gewinnen wollen, um zu verhindern, daß es unter den Juden zu Unruhen käme, die dem Handel der Stadt hätten schaden können.

Doch konnte mein Vater auch eigensinnig sein. Als Mitglied des Stadtrates weigerte er sich mit aller Bestimmtheit, für Zirkusvorstellungen mit wilden Tieren und Gladiatoren Gelder zur Verfügung zu stellen, und wollte selbst von Theateraufführungen nichts wissen. Auf Anraten seiner Freigelassenen ließ er jedoch immerhin eine Säulenhalle bauen, die seinen Namen trug. Aus der Vermietung der Läden, die darin untergebracht waren, bezog er so hohe Einkünfte, daß ihm sogar dieses Unternehmen zum Vorteil anschlug, von der Ehre ganz zu schweigen.