Es gelang ihm jedoch nicht, die beiden Juden zu überzeugen. Sie hatten ihre eigene unumstößliche Anschauung, daß ein Jude ein Jude sei und ein Heide ein Heide. Doch könne ein Heide Christ werden, und auf die gleiche Weise könne ein Jude Christ werden, so daß es zwischen ihnen keinen Unterschied mehr gebe, sondern sie eins seien in Christus. Darum bleibe ein Jude doch auch als Christ ein Jude, ein zum Christentum bekehrter Heide müsse sich aber erst beschneiden lassen, um Jude zu werden, und dies sei nun nicht mehr nötig, ja nicht einmal wünschenswert, da alle Welt begreifen müsse, daß ein Christ kein Jude zu sein brauche.
Mein Vater sagte bitter, diese Philosophie übersteige sein Fassungsvermögen. Er sei seinerzeit in aller Demut bereit gewesen, Untertan im Reiche jenes Jesus von Nazareth zu werden, aber man habe ihn nicht aufgenommen, weil er kein Jude war. Der Führer der nazarenischen Sekte habe ihm sogar verboten, über ihren König zu sprechen. Er halte es nach allem für das klügste, weiterhin zu warten, bis die Angelegenheiten dieses Reiches endlich geklärt und auch für einen schlichteren Verstand faßbar wären. Es zeige sich nun, daß die Vorsehung selbst ihn nach Rom schicke, da ihn in Antiochia nur Verdruß erwarte, und zwar von den Juden wie von den Christen, denn nun wisse selbst der beste Mittler keinen Rat mehr.
Immerhin versprach er, dem Rat der Stadt vorzuschlagen, man solle die Christen nicht verurteilen, weil sie den Glauben der Juden geschmäht hätten, da sie durch die Übernahme der von den Juden erfundenen Taufe und dadurch, daß sie einen jüdischen Messias als ihren König verehrten, jedenfalls de facto, wenn schon nicht de jure, sozusagen selbst Juden seien. Schloß sich der Rat dieser Auffassung an, so konnte die Angelegenheit zumindest aufgeschoben und die Klage der Juden fürs erste abgewiesen werden.
Damit gaben sich Barnabas und Paulus, da ihnen nichts anderes übrigblieb, zufrieden. Mein Vater versicherte ihnen noch, daß seine Sympathien mehr den Christen als den Juden gälten. Die Freigelassenen ihrerseits baten meinen Vater, unverzüglich um seine Entlassung aus dem Rat der Stadt anzusuchen, da er mit seinen eigenen Angelegenheiten genug zu tun habe. Mein Vater hielt ihnen jedoch mit gutem Grund entgegen, daß er gerade das nicht tun dürfe, denn ein öffentliches Abschiedsgesuch würde alle glauben machen, er halte mich für schuldig, vorsätzlich die Götter gelästert zu haben.
Die Freigelassenen begannen ernstlich zu fürchten, meines Vaters offenkundige Sympathie für die Christen könne den Verdacht erwecken, er habe mich, seinen Sohn, am Ende gar dazu angestiftet, die unschuldvollen Mysterien der Mädchen zu entweihen, denn es sei ja bekannt, daß die Christen ebenso wie die Juden erbitterte Gegner der Götterbilder, der heiligen Opfer und der überlieferten Mysterien sind.
»Diejenigen, die sich taufen lassen und dann mit ihren Glaubensbrüdern Blut trinken, zerschlagen und verbrennen ihre Hausgötter und vernichten ihre kostbaren Weissagungsbücher, anstatt sie zu einem mäßigen Preis solchen zu überlassen, die noch Verwendung dafür haben«, sagten die Freigelassenen. »Diese leidenschaftliche Unduldsamkeit macht sie gefährlich. Du, unser guter, geduldiger Herr, solltest nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben, sonst könnte es deinem Sohn übel ergehen.«
Zur Ehre meines Vaters sei es gesagt, daß er mich nach dem Besuch dieser beiden Juden nicht mehr aufforderte, zu ihnen zu gehen und ihre Lehre anzuhören. Sie zerstritten sich übrigens, nachdem sie sich mit den anderen Juden überworfen hatten, und verließen Antiochia in verschiedenen Richtungen. Nach ihrer Abreise beruhigten sich die rechtgläubigen Juden wieder, denn die besonneneren Christen gingen offenem und öffentlichem Streit aus dem Wege, sonderten sich ab und bildeten eine eigene geheime Gesellschaft.
Auf Anraten meines Vaters wiesen die Väter der Stadt die Klage der Juden gegen Barnabas und Paulus ab und entschieden, daß die Juden ihre Glaubenszwistigkeiten selbst zu schlichten hätten. Im gleichen Sinn wurde die Klage gegen mich und meine Kameraden behandelt und die Entscheidung dem Orakel in Daphne überlassen. Unsere Eltern erlegten schwere Bußen, und wir selbst mußten uns einer Reinigungszeremonie in Daphnes Hainen unterziehen, die drei Tage und drei Nächte dauerte. Die Eltern der Mädchen, die wir gekränkt hatten, wagten danach nicht mehr, uns mit Heiratsangeboten nahezutreten, aber während der Zeremonie in Daphne waren wir gezwungen worden, der Mondgöttin ein gewisses Gelübde abzulegen, über das ich mit meinem Vater nicht sprechen konnte. Er fragte übrigens auch nicht danach.
Gegen seine Gewohnheit ging er mit mir zur nächsten Vorstellung in das Amphitheater, wo wir sieben Jünglinge die Ehrenplätze hinter den obersten Beamten einnehmen durften. Unser Löwe hatte eine Abmagerungskur gemacht und war gehörig aufgereizt worden, so daß er sich in der Arena besser aufführte, als wir zu hoffen gewagt hatten. Einen Verbrecher, der verurteilt worden war, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden, riß er mir nichts dir nichts in Stücke, dann biß er den ersten Gladiator ins Knie und kämpfte unerschrocken, bis ihm der letzte den Fangstoß versetzte. Die Zuschauer johlten vor Vergnügen und ehrten den Löwen und uns, indem sie sich unter lauten Beifallsrufen von ihren Sitzen erhoben. Ich glaube, mein Vater war stolz auf mich, wenn er auch nichts sagte. Einige Tage später nahmen wir Abschied von den weinenden Hausgenossen und reisten, von den Freigelassenen geleitet, zum Hafen Seleukia. Dort bestiegen wir, mein Vater, ich und Barbus, ein Schiff, um nach Neapel zu fahren und von dort aus weiter nach Rom.
II
ROM
Wie soll ich beschreiben, wie einem zumute ist, wenn man mit fünfzehn Jahren im Sonnenglanz des Herbstes in Rom ankommt und von Kind an gewußt hat, daß einen die Erinnerung des Blutes mit diesen heiligen Hügeln und Tälern verbindet? Mir war, als bebte der Boden unter meinen Füßen, um seinen Sohn willkommen zu heißen, und als spräche mir jeder rissige Pflasterstein von einer achthundertjährigen Geschichte. Sogar der schlammige Tiber war mir so heilig, daß mir bei seinem Anblick schwindelte.
Vielleicht war ich einfach erschöpft von den Aufregungen und dem vielen Wachen der langen Reise, aber jedenfalls fühlte ich eine Art glücklichen Rausch, der süßer war als der von Wein. Dies war meine und meiner Väter Stadt, Herrin über die ganze zivilisierte Welt bis Parthien und Germanien.
Barbus sog eifrig schnuppernd die Luft ein, als wir auf dem Weg zum Haus von meines Vaters Tante Laelia waren. »Mehr als vierzig Jahre habe ich den Geruch Roms vermißt«, sagte er. »Es ist ein Geruch, den man nie vergessen kann, und am kräftigsten ist er mitten in der Stadt, in Suburra, so wie jetzt am Abend, wenn der Duft von gekochten Speisen und heißer Wurst sich mit den natürlichen Gerüchen der engen Gassen vermengt. Das ist eine Mischung aus Knoblauch, siedendem Öl, Gewürzkräutern, süßen Dünsten und Weihrauch aus den Tempeln, und über alldem schwebt etwas, was ich nicht anders nennen kann als eben den Geruch Roms, da ich es nirgends sonst gefunden habe. Aber mir scheint, in den vierzig Jahren hat sich seine Zusammensetzung ein wenig verändert, oder vielleicht ist meine Nase schon zu alt geworden. Nur mit Mühe gelingt es mir, den unvergleichlichen Duft meiner Kindheits- und Jugendjahre wahrzunehmen.«
Wir waren zu Fuß in der Stadt angekommen, denn tagsüber dürfen in Rom keine Fahrzeuge verkehren. Es gäbe sonst ein solches Gedränge, daß man nicht mehr von der Stelle käme. Mir oder vielleicht auch sich selbst zuliebe wählte mein Vater nicht den geraden Weg zum Palatin, sondern einen Umweg über das Forum, so daß wir den Palatin zunächst linker Hand erblickten und vor uns das Kapitol aufragte. Dann bogen wir in die alte Tuskerstraße ein, um neben der großen Rennbahn den Palatin zu erreichen. Ich wandte den Kopf hierhin und dorthin, mein Vater nannte geduldig die Namen der Bauwerke und Tempel, und Barbus staunte über die neuen Prachtbauten auf dem Forum, die zu seiner Zeit noch nicht da gestanden waren. Mein Vater schwitzte und atmete schwer. Ich dachte mitleidig, daß er, obwohl noch nicht ganz fünfzig, ein alter Mann war.