Er blieb jedoch erst stehen, um Atem zu schöpfen, als wir vor dem runden Vestatempel ankamen. Durch die Öffnung in seinem Dach stieg die dünne Rauchsäule von Roms heiligem Feuer auf, und mein Vater versprach mir, daß ich, wenn ich wollte, schon am nächsten Tag mit Barbus zusammen die Höhle besichtigen durfte, in der die Wölfin Romulus und Remus gesäugt hatte und die der Gott Augustus als Sehenswürdigkeit für, die ganze Welt hatte instand setzen lassen. Vor der Höhle stand noch der heilige Baum der Wolfsbrüder. Über den Geruch Roms aber sagte mein Vater: »Für mich ist er ein unvergeßlicher Duft von Rosen und Salben, von reinem Linnen und gescheuerten Steinböden, ein Duft, der nirgends auf der Welt seinesgleichen hat, da in ihm etwas von der Erde und der Luft Roms ist, und der bloße Gedanke daran stimmt mich so wehmütig, daß ich lieber tot sein möchte, als noch einmal durch diese unvergeßlichen Straßen wandern. Wir wollen deshalb nicht länger verweilen, damit ich nicht zu sehr gerührt und ergriffen werde und die Selbstbeherrschung verliere, in der ich mich nun seit fünfzehn Jahren übe.«
Doch Barbus klagte im Weitergehen: »Die Erfahrung eines ganzen Lebens hat mich gelehrt, daß es nur einiger Schlucke Weins bedarf, damit meine Sinne und mein ganzes Wesen Düfte und Laute stärker als sonst erleben. Nichts hat mir je so gut geschmeckt in meinem Munde wie die kleinen scharfgewürzten Würste, die in Rom zischendheiß aufgetragen werden. Laßt uns wenigstens so lange Rast machen, wie wir brauchen, um so eine Wurst zu versuchen.«
Mein Vater mußte lachen. Wir waren gerade am Viehmarkt angelangt und traten in eine kleine Schenke, die so alt war, daß ihr Boden schon tief unter die Straßenhöhe gesunken war. Wir beide, Barbus und ich, sogen begehrlich die Luft ein, die nach Wein und heißen Speisen roch, und Barbus rief erfreut aus: »Herkules sei gelobt, es gibt noch Dinge in Rom, die geblieben sind, wie sie einmal waren. Diese Schenke erkenne ich wieder, obgleich ich sie viel größer und geräumiger in Erinnerung hatte. Schnuppere nur eifrig, Minutus, der du jünger bist als ich. Wie findest du diesen Geruch von Fisch und Schlamm, Schilf und Dung, schweißnasser Haut und Räucherwerk aus den Buden in der Rennbahn?«
Er spülte sich den Mund mit Wein, spuckte das Opfer auf den Boden, stopfte sich den Mund mit warmer Wurst voll, kaute und schmeckte mit schief gelegtem Kopf und sagte endlich: »Etwas Altes, längst Vergessenes kehrt da in der Tat in mein Gedächtnis zurück, aber mir scheint, auch mein Gaumen ist schon zu alt geworden, denn so glücklich wie früher bin ich nicht mehr mit einer Wurst im Mund und einem Becher Wein in der Hand.«
Tränen traten ihm in seine runzeligen Augenwinkel, und er seufzte: »Ich bin wahrhaftig so etwas wie ein Geist aus der Vergangenheit, nun da das Jubiläum gefeiert werden soll. Hier habe ich keinen einzigen Bekannten, Verwandten oder Beschützer mehr. Eine neue Generation ist an die Stelle der meinen getreten und weiß nichts mehr von den Dingen der Vergangenheit. Darum haben die schärfsten Würste ihren Geschmack verloren, und der Wein ist schal geworden. Ich hatte gehofft, unter den Prätorianern oder wenigstens bei der Feuerwehr den einen oder anderen Kriegskameraden wiederzufinden, aber nun frage ich mich, ob wir einander denn überhaupt wiedererkennen würden. Weh den Besiegten! Ich bin wie Priamos auf den Trümmern Trojas.«
Der Wirt eilte mit schmalztriefendem Gesicht herbei und fragte, was zu Diensten sei. Er versicherte, man könnte in seinem Hause Wagenlenker aus dem Zirkus, Beamte aus dem Staatsarchiv und Schauspieler antreffen und neuerdings auch Baumeister, die damit beschäftigt waren, die alten Sehenswürdigkeiten Roms für die Jahrhundertfeier instand zu setzen. Sogar mit reizenden kleinen Wölfinnen könne man unter seinem Dach Bekanntschaft schließen. Doch Barbus war untröstlich und erwiderte finster, er möge nicht einmal an Dirnen denken, denn gewiß seien auch die nicht mehr so schmackhaft wie in alten Tagen. Danach stiegen wir den Aventin hinauf, und mein Vater sagte seufzend, wir hätten lieber nicht in diese Schenke gehen sollen, denn die Knoblauchwurst verursache ihm Magenschmerzen, die nicht einmal der Wein zu lindern imstande sei. Er fühle eine schwere Beklemmung in der Brust und sei düsterer Ahnungen voll. Ein Rabe, der zu unserer Linken vorüberflog, dürfte ihn darin bestärkt haben.
Wir kamen an neuen und alten Mietshäusern vorbei und an einigen uralten Tempeln, die neben den großen Gebäuden, tief in den Erdboden eingesunken, verfielen. Auf der anderen Seite des Hügels fand mein Vater dann endlich den Familiensitz der Manilier. Verglichen mit dem unseren in Antiochia war es ein recht kleines, baufälliges Haus, das irgendwann einmal aufgestockt worden war, damit man zusätzlichen Wohnraum gewann. Es war jedoch von einer Mauer und einem verwilderten Garten umgeben. Als mein Vater meine geringschätzige Miene bemerkte, sagte er streng, daß allein schon das Grundstück und der Garten von dem Alter und der Vornehmheit des Hauses Zeugnis ablegten.
Die Träger hatten schon längst unser Reisegepäck vom Capuanischen Tor heraufgebracht, und Tante Laelia war daher auf unseren Besuch gewiß vorbereitet. Sie wartete jedoch, bis mein Vater sich daranmachte, die Träger zu entlohnen, ehe sie die Treppe herabschritt und uns zwischen den Lorbeerbüschen im Garten entgegenkam. Sie war eine große, magere Frau, und sie hatte sich sorgfältig die Wangen geschminkt und ein wenig Schwarz um die Augen aufgetragen. Sie trug einen Ring am Finger und eine Kupferkette um den Hals. Ihre erhobenen Hände zitterten, als sie uns mit einem wohlbemessenen Freudenschrei entgegentrippelte.
Da sich aber mein Vater, bescheiden wie immer, im Hintergrund hielt und selbst mit den Trägern abrechnete, versah sie sich und blieb vor Barbus stehen, duckte sich ein wenig, bedeckte sich das Haupt wie zum Gebet und rief: »Ach, Marcus, was für ein Freudentag! Du hast dich seit deiner Jugend kaum verändert, nur deine Haltung ist besser geworden, und kräftiger bist du auch.«
Mein Vater lachte und rief: »O Tante Laelia, du bist noch ebenso kurzsichtig und zerstreut wie früher. Sieh her, ich bin Marcus. Dieser alte ehrenwerte Veteran ist unser Freund und Begleiter Barbus, einer meiner Klienten.«
Tante Laelia ärgerte sich über ihren Irrtum, trat auf meinen Vater zu, musterte ihn mit funkelnden Blicken, während sie mit zitternden Händen seine Schultern und seinen Bauch betastete, und meinte schließlich: »Kein Wunder, daß ich dich nicht wiedererkannt habe. Dein Gesicht ist feist geworden, dein Bauch ist schlaff, und ich kann meinen Augen kaum trauen, denn früher einmal sahst du doch beinahe gut aus.«
Mein Vater nahm ihr diese Bemerkung nicht übel. Im Gegenteil, er sagte sogar: »Dank für deine Worte, liebe Tante Laelia. Mir fällt ein Stein vom Herzen, denn früher hat mir mein Aussehen nur Kummer eingebracht. Nachdem du mich nicht wiedererkanntest, brauche ich nicht zu* fürchten, daß andere mich erkennen. Du selbst aber bist dir gleichgeblieben, schlank wie eh und je und von edler Miene und Haltung. Die Jahre haben dir nicht das geringste anhaben können. Umarme also meinen Sohn Minutus, und sei zu ihm so gut und zärtlich, wie du es zu mir in meiner Jugend und meines Leichtsinns Tagen warst.« Tante Laelia nahm mich entzückt in die Arme, küßte mich mit ihren dünnen Lippen auf die Stirn und auf die Augen, streichelte mir die Wangen und rief: »Aber Minutus, du hast ja schon einen Flaumbart und bist kein Kind mehr, das ich auf dem Schoß halten kann!«