Unter den Zuschauern befanden sich auch immer einige besorgte Mütter, denn die vornehmen Reiter waren zwischen sieben und fünfzehn Jahre alt. Selbstverständlich taten sie so, als sähen sie ihre Mütter nicht, und schnaubten zornig, wenn einer der Kleinsten von seinem Pferde fiel und seine erschrockene Mutter mit flatterndem Mantel zu ihm hinstürzte, um ihn vor den Hufen des Pferdes zu retten. Die Kleinsten bekamen allerdings sehr zahme, gut dressierte Reittiere, die sofort stehenblieben, um den aus dem Sattel Gefallenen zu schützen. Nein, was diese römischen Edlen ritten, das waren wahrhaftig keine wilden Streitrösser. Wir hatten in Antiochia feurigere Pferde gehabt.
Einmal sah ich unter den Zuschauern Valeria Messalina mit ihrem glänzenden Gefolge und betrachtete sie neugierig. In ihre Nähe konnte ich freilich nicht gelangen, und aus der Ferne gesehen erschien sie mir nicht so berückend schön, wie man sie mir geschildert hatte. Ihr siebenjähriger Sohn, dem Kaiser Claudius zum Andenken an seine Siege in Britannien den Namen Britannicus gegeben hatte, war ein schmächtiges, bleiches Bürschchen, das offensichtlich vor dem Pferd, das es ritt, Angst hatte. Er hätte eigentlich auf Grund seiner Herkunft diese Wettkämpfe anführen müssen, doch das war unmöglich, denn sobald er sich aufs Pferd setzte, schwollen seine Züge an, und seine Augen begannen zu tränen. Nach jeder Reitübung war sein Kindergesicht von einem brandroten Hautausschlag bedeckt, und er konnte mit seinen aus den Höhlen getretenen Augen kaum ein paar Schritte weit sehen.
Unter dem Vorwand, daß Britannicus zu jung sei, ernannte Claudius den Sohn seiner Nichte Domitia Agrippina, Lucius Domitius, zum Anführer der Reiterschar. Lucius war noch keine zehn Jahre alt, aber er war der genaue Widerpart des schüchternen Britannicus, sehr kräftig für sein Alter und ein unerschrockener Reiter. Nach den Übungen blieb er oft allein auf dem Platz zurück und führte waghalsige Kunststücke vor, um den Beifall der Zuschauer zu gewinnen. Von den Domitiern hatte er das rötliche Haar geerbt. Daher nahm er während der Übungen gern den Schutzhelm ab, um den Leuten zu zeigen, daß er einem Geschlecht von Gewalttätern entstammte. Mehr als um der Domitier willen bewunderten und rühmten ihn jedoch die Leute darum, daß er der Sohn der Schwester des Kaisers Gajus war, so daß in seinen Adern sowohl das Blut Julias, der Tochter Julius Caesars, als auch das des Marcus Antonius floß. Sogar Barbus ereiferte sich, wenn er ihn sah, und rief ihm mit seiner rauhen Stimme, die jedesmal brüllendes Gelächter unter den Umstehenden auslöste, freundliche, wenn auch unflätige Scherzworte zu.
Es hieß, seine Mutter Agrippina wage es nicht, wie die anderen Mütter zu den Reitübungen zu kommen, weil sie Valeria Messalinas krankhafte Eifersucht fürchte und sich überhaupt, des Schicksals ihrer Schwester eingedenk, so selten wie möglich in der Öffentlichkeit zeige. Doch Lucius Domitius bedurfte des Schutzes seiner Mutter nicht. Er gewann die Bewunderung der Zuschauer durch sein jungenhaft frisches Auftreten. Er beherrschte seinen Körper gut und bewegte sich mit Anmut, seine Augen blickten kühn, und die älteren Kameraden schienen nicht eifersüchtig zu sein, sondern fügten sich willig seinem Befehl.
Sehnsüchtig stand ich oft, an die blankgewetzte Einzäunung gelehnt und sah den Reitern zu. Doch mein Müßiggang fand bald ein Ende. Mein Vater beschaffte mir einen trübseligen, übellaunigen Lehrer der Beredsamkeit, der jedes Wort, das ich sagte, spöttisch berichtigte und mich wie absichtlich nur aus langweiligen Büchern vorlesen ließ, die Selbstbeherrschung, Bescheidenheit und andere Mannestugenden lehrten. Mein Vater hatte offenbar die besondere Gabe, lauter Lehrer ausfindig zu machen, die mich um den Verstand brachten.
Während das Haus repariert wurde, bewohnten Barbus und ich ein Zimmer im oberen Stockwerk, das nach Weihrauch roch und auf dessen Wänden magische Zeichen zu sehen waren. Ich beachtete sie nicht weiter, da ich annahm, sie stammten noch aus der Zeit des Astronomen Manilius, aber sie bewirkten, daß ich immer schlechter schlief und böse Träume hatte, so daß ich bald von meinen eigenen Schreien erwachte, bald von Barbus geweckt werden mußte, weil ich, von einem Mahr heimgesucht, laut stöhnte. Mein Rhetor wurde des Lärms und der Hammerschläge, die das Haus erfüllten, bald müde und nahm mich in die Vorlesungssäle der Thermen mit.
Seine mageren Glieder und sein runder, gelblicher Bauch stießen mich ab, und noch größere Abscheu empfand ich, wenn er mitten in seinen spöttischen Reden plötzlich schmeichelnd meine Arme zu streicheln begann und sagte, ich hätte in Antiochia gewiß mit der griechischen Liebe Bekanntschaft gemacht. Er wollte, daß ich, solange die Arbeiten in unserem Haus andauerten, bei ihm wohnte, in einem schäbigen Mietshaus in Suburra, wo er im obersten Stockwerk ein Zimmer hatte, das man nur über eine Leiter erreichen konnte. Dort, meinte er, wäre es ihm möglich, mich ganz ungestört zu unterrichten und in ein Leben der Weisheit einzuführen.
Barbus durchschaute seine Absichten. Er gab ihm zuerst eine ernste Warnung und dann, als diese nichts fruchtete, eine Tracht Prügel, die den Weisen so einschüchterte, daß er sich nie wieder blicken ließ und sich nicht einmal traute, meinen Vater um seinen Lohn zu bitten. Andrerseits wagten wir beide nicht, meinem Vater den wahren Grund für sein merkwürdiges Verschwinden zu verraten. Daher glaubte dieser, ich hätte einen hervorragenden Lehrer durch meine Widersetzlichkeit vergrämt und schließlich gar verscheucht.
Wir bekamen deshalb Streit miteinander, und ich rief trotzig: »Gib mir lieber ein Pferd, damit ich mit anderen jungen Männern Bekanntschaft schließen und mit meinesgleichen verkehren kann, um zu lernen, was in Rom Sitte und Brauch ist.«
»Ein Pferd hat dich schon in Antiochia ins Unglück gebracht«, erwiderte darauf mein Vater. »Kaiser Claudius hat eine sehr vernünftige Verordnung erlassen, wonach ein alter oder sonstwie gebrechlicher Senator oder Ritter bei den Standesaufmärschen sein Pferd am Zügel führen darf, ohne aufsitzen zu müssen. Sogar den für ein Amt erforderlichen Waffendienst braucht man nicht mehr wirklich abzuleisten.«
»O Zeiten! O Sitten!« sagte ich boshaft. »Dann gib mir wenigstens soviel Geld, wie ich brauche, um mir unter Schauspielern, Musikern und Wagenlenkern aus dem Zirkus Freunde zu machen. Wenn ich mich an dergleichen Leute halte, lerne ich auch die verweichlichten jungen Römer kennen, die sich vor dem Waffendienst drücken.«
Aber auch davon wollte mein Vater nichts wissen. »Tante Laelia hat mich schon gewarnt und mir vorgehalten, ein Jüngling wie du dürfe nicht zu lange die Gesellschaft Gleichaltriger entbehren«, gab er jedoch immerhin zu und fuhr fort: »Bei meinen Geschäften habe ich einige Schiffsreeder und Getreidehändler kennengelernt. Jetzt, nach der Hungersnot, läßt Kaiser Claudius in Ostia einen neuen Hafen ausbauen, und er zahlt eine Entschädigung für jedes Schiff, das mit einer Getreideladung an Bord sinkt. Auf Anraten Marcius’ des Fischers habe ich Anteile an diesen Schiffen erworben, da man nun keine Verluste mehr zu befürchten braucht, und manch einer hat sich schon ein Vermögen damit gemacht, daß er alte, längst untaugliche Schiffe wieder ausrüstete und in See schickte. Ich kenne jedoch den Lebenswandel dieser Emporkömmlinge und verspüre keine Lust, dich mit ihren Söhnen bekannt zu machen.«
Ich hatte immer mehr das Gefühl, daß er selbst nicht wußte, was er eigentlich wollte. »Bist du denn nach Rom gekommen, um reich zu werden?« fragte ich.
Mein Vater wurde zornig und antwortete heftig: »Du solltest am besten wissen, daß ich mir nichts sehnlicher wünsche als ein einfaches Leben fern den Geschäften, aber meine Freigelassenen haben mich gelehrt, daß es ein Verbrechen gegen den Staat und das Gemeinwohl ist, seine Goldmünzen in Beuteln und Truhen zu horten. Außerdem will ich noch mehr Land in Caere kaufen, wo meine eigentliche Familie herstammt, denn Manilier sind wir nur durch Adoption, das darfst du nie vergessen.«