»Minutus«, sagte ich widerstrebend, denn von seiner Erzählung und mehr noch von seiner eintönigen Stimme begann sich mir der Kopf zu drehen. »Müßtest du nicht, ohne mich zu fragen, wissen, wie ich heiße, da du doch einmal so ein großer Magier warst?« fragte ich spöttisch.
»Minutus, Minutus«, wiederholte er. »Die Macht, die mich bewohnt, sagt mir, daß du einen anderen Namen bekommen wirst, ehe der Mond sich zum drittenmal rundet. Doch laß mich weiterberichten: Ich glaubte den galiläischen Zauberern nicht, sondern heilte im Namen ihres Gottes, bis sie mich zu verfolgen begannen und in Jerusalem wegen einer kleinen goldenen Erosfigur vor Gericht schleppten. Eine reiche Frau hatte sie mir aus eigenem freien Willen geschenkt. Sieh mir in die Augen, Minutus. Sie behexten sie jedoch mit all ihren Künsten, bis die Frau zuletzt vergaß, daß sie selbst mir die Figur gegeben hatte, und behauptete, ich hätte mich unsichtbar gemacht und sie ihr gestohlen. Du wirst mir hoffentlich glauben, daß ich mich unsichtbar machen kann. wann immer ich will! Ich zähle bis drei, Minutus: eins, zwei, drei. Nun siehst du mich nicht mehr.«
Er verflüchtigte sich tatsächlich für einen Augenblick, so daß ich den Eindruck hatte, auf eine schimmernde Kugel zu starren, die ein Mond sein mochte. Dann schüttelte ich jedoch kräftig den Kopf, schloß die Augen und öffnete sie wieder, und da saß er wieder vor mir.
»Ich sehe dich wie zuvor, Zauberer Simon«, sagte ich mißtrauisch. »Aber ich mag dir nun nicht mehr in die Augen blicken.«
Er lachte freundlich, machte eine wegwerfende Geste mit beiden Händen und sagte: »Du bist ein widerspenstiger Bursche, und ich will dich zu nichts zwingen, denn das würde zu nichts führen. Aber sieh dir Laelia Manilia an.«
Ich wandte mich nach Tante Laelia um. Sie hatte die Hände erhoben und beugte sich mit entrücktem Gesicht zurück. Die Falten um ihren Mund und um ihre Augen glätteten sich, und ihre ganze Gestalt war straff und jugendlich geworden.
»Wo bist du gerade, Laelia Manilia?« fragte Simon der Zauberer gebieterisch.
Mit zarter Jungmädchenstimme antwortete Tante Laelia augenblicklich: »Ich bade in deiner Quelle. Das Wasser umspült mich so wonniglich, daß ich an allen Gliedern zittere.«
»Dann setze dein göttliches Bad nur fort, Laelia«, ermahnte der Zauberer sie, und zu mir gewandt sagte er: »Das ist ein sehr einfaches kleines Kunststückchen, das niemandem schadet. Dich könnte ich so verhexen, daß du unaufhörlich stolperst und dir die Füße und die Hände aufschlägst, weil du so widerspenstig bist. Doch warum sollte ich meine Kraft an dich verschwenden? Wir wollen dir lieber weissagen, da du nun einmal da bist. Helena, du schläfst.«
»Ich schlafe, Simon«, antwortete die Priesterin Helena unterwürfig, obwohl ihre Augen weit geöffnet waren.
»Was siehst du über diesen Jüngling, der Minutus heißt?« fragte der Zauberer.
»Sein Tier ist der Löwe«, sagte die Priesterin. »Aber der Löwe kommt wild auf mich zugerannt, und ich kann ihm nicht ausweichen. Hinter dem Löwen sehe ich einen Mann, der mit todbringenden Pfeilen droht. Sein Gesicht erkenne ich nicht, er ist noch zu weit in der Zukunft. Deutlich sehe ich aber einen großen Raum mit Fächern an den Wänden, in denen Buchrollen liegen.
Eine Frau reicht ihm eine offene Rolle. Die Frau ist jung, sie hat geschwärzte Hände, und ihr Vater ist nicht ihr Vater. Nimm dich vor ihr in acht, Minutus. Nun sehe ich Minutus auf einem schwarzen Hengst reiten. Er trägt einen blinkenden Brustharnisch. Ich höre das Lärmen eines Volkshaufens. Der Löwe, er ist gleich bei mir, ich muß fliehen. Simon, Simon, rette mich!«
Sie stieß einen Schrei aus und schlug die Hände vors Gesicht. Simon befahl ihr rasch, aufzuwachen, dann blickte er mich forschend an und fragte: »Du bist doch nicht etwa selbst ein Zauberer, da ein Löwe dich so eifersüchtig bewacht? Sei getrost, du brauchst keine bösen Träume mehr zu haben, wenn du nur im Traum daran denkst, deinen Löwen zu Hilfe zu rufen. Hast du gehört, was du hören wolltest?«
»Das Wichtigste habe ich gehört«, gab ich zu. »Es war mir angenehm, mag es nun die Wahrheit gewesen sein oder nicht, und ich werde bestimmt an dich und deine Tochter denken, wenn ich eines Tages auf einem schwarzen Hengst durch einen lärmenden Volkshaufen reite.«
Darauf wandte sich Simon der Zauberer an Tante Laelia, rief sie beim Namen und sagte: »Es wird Zeit für dich, aus der Quelle zu steigen. Möge dein göttlicher Freund dich zum Zeichen dessen in den Arm kneifen. Du weißt, es tut nicht weh, es brennt nur angenehm.«
Tante Laelia erwachte langsam aus ihrer Verzauberung und tastete mit der gleichen entrückten Miene wie zuvor nach ihrem linken Arm. Ich betrachtete ihn neugierig und sah, daß sich darauf wirklich ein großer blauer Fleck bildete. Tante Laelia rieb ihn und zitterte vor Wonne am ganzen Körper, so daß ich den Blick abwenden mußte. Die Priesterin Helena lächelte mich an. Ihre Lippen waren flehend halb geöffnet. Ich mochte aber auch sie nicht ansehen. Ich war verwirrt und fühlte ein Prickeln am ganzen Körper. Daher verabschiedete ich mich. Tante Laelia mußte ich am Arm nehmen und aus dem Zimmer des Zauberers führen, so benommen war sie noch immer.
Im Laden draußen nahm die Priesterin ein kleines schwarzes Ei aus Stein reichte es mir und sagte: »Das schenke ich dir. Möge es deine Träume beschützen, wenn der Vollmond scheint.«
Ein starker Widerwille, irgend etwas von ihr anzunehmen, ergriff mich, und ich sagte: »Ich kaufe es. Wieviel willst du dafür haben?«
»Nur eines deiner hellen Haare«, sagte die Priesterin Helena und streckte schon die Hand aus, um mir ein Haar auszureißen. Aber Tante Laelia wehrte sie erschrocken ab und flüsterte mir zu, ich solle der Frau lieber Geld geben.
Ich hatte keine kleineren Münzen bei mir und gab ihr ein ganzes Goldstück. Vielleicht hatte sie es sich durch ihre Weissagung verdient. Sie nahm es gleichgültig entgegen und sagte höhnisch: »Du schätzt ein Haar von dir sehr hoch ein, aber vielleicht hast du recht. Die Göttin weiß es.«
Vor dem Tempel fand ich Barbus wieder, der, so gut es ging, vor uns zu verbergen trachtete, daß er die Gelegenheit genützt und Wein getrunken hatte. Er ging auf unsicheren Beinen hinter uns her. Tante Laelia war froh gestimmt, streichelte den blauen Fleck auf ihrem Arm und sagte: »So gut war Simon der Zauberer schon lange nicht mehr zu mir. Ich fühle mich erfrischt und verjüngt und spüre keine Schmerzen mehr. Aber ich bin froh, daß du seiner schamlosen Tochter keins von deinen Haaren gegeben hast. Mit Hilfe eines solchen Haares hätte sie im Traum dein Bett heimsuchen können.«
Sie schlug sich erschrocken mit der Hand auf den Mund, sah mich zweifelnd an und sagte: »Du bist ja nun kein Kind mehr. Gewiß hat dir dein Vater diese Dinge schon erklärt. Ich weiß jedenfalls ganz bestimmt, daß Simon der Zauberer manchmal einen Mann behext, damit er sich zu seiner Tochter legt. Der Mann gerät ganz und gar in ihre Gewalt, aber dafür hat er dann auf andere Weise Glück und Erfolg. Ich hätte dich vorher warnen müssen, dachte aber nicht an dergleichen, weil du ja noch minderjährig bist. Was Helena wollte, erkannte ich erst, als sie dich um ein Haar bat.«
Nach dem Besuch bei Simon dem Zauberer hatte ich wirklich keine Alpträume mehr. Wenn der Mahr erschien und von mir Besitz ergreifen wollte, dachte ich im Traum an Simons Rat und rief meinen Löwen. Er kam sofort, legte sich neben mich, um mich zu beschützen, und war in allem so wirklich und lebendig, daß ich mit der Hand sein Fell streicheln konnte. Wenn ich dann aus meinem leichten Schlaf erwachte, bemerkte ich freilich, daß ich eine Falte in der Decke gestreichelt hatte.
Ich hatte so große Freude an meinem Löwen, daß ich ihn hin und wieder auch ohne Grund rief, wenn ich gerade einschlief, und sogar auf den Straßen der Stadt konnte ich mir einbilden, der Löwe gehe hinter mir her und bewache meine Schritte.