Ich gebe zu, daß sich meine Schlußfolgerungen eigentlich nur darauf stützen, daß plötzlich das Zitherspiel bei den Parthern Mode wurde. Ich weiß jedoch, daß der wirkliche Nero nicht mehr nach der Macht in Rom strebt. Alle, die dies versuchen oder tun, sind, auch wenn sie eine Dolchnarbe am Halse tragen, falsche Neros, und wir kreuzigen sie, sobald wir ihrer habhaft werden.
Als die vom Senat ausgesandten Männer eintrafen, war man schon dabei, Wasser auf die glühenden Marmorblöcke zu gießen, die zu Kalk zerfielen und die Leichenreste mit einer Kruste überzogen, die alle Einzelheiten verbarg. Nero hatte kein Gebrechen, an dem man seine Leiche hätte erkennen können. Den Zahn, den er sich in Griechenland hatte ziehen lassen, hatte man vorsichtshalber auch dem Leichnam des Unbekannten gezogen.
Die traurigen Reste wurden in einen weißen, goldbestickten Mantel gesammelt, den Nero im selben Winter beim Saturnalienfest getragen hatte. Mit Galbas Genehmigung gab man für die Bestattungsfeier einige hunderttausend Sesterze aus. So liegt nun im Mausoleum der Domitier in einem Porphyrsarkophag in einer Kalkkruste eine halbverbrannte Leiche. Wer will, kann hingehen und sich davon überzeugen, daß Nero wirklich tot ist. Statilia und Acte haben nichts dagegen, daß man sein Andenken ehrt.
Ich habe Dir von Neros Tod berichtet, damit Du bereit bist, falls irgend etwas Unerwartetes geschehen sollte. Nero war ja erst zweiunddreißig Jahre alt, als er seinen symbolischen Tod wählte, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, seine Verbrechen zu sühnen und ein neues Leben zu beginnen. Wo, das läßt er uns raten. Während ich dies schreibe, ist er gerade erst dreiundvierzig.
Mein Mißtrauen erwachte, als mir bewußt wurde, daß sich all dies am Vorabend des Tages zutrug, an dem einst Agrippina ermordet worden war, und daß Nero mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, den Göttern geweiht, aus der Stadt geflohen war. Auch das geheimnisvolle Verschwinden des Sporus ist eine Art Beweis. Nero konnte ohne ihn nicht mehr leben, denn er war dem Äußeren nach ein treues Abbild Poppaeas. Viele Senatoren, die ihren Kopf zu gebrauchen verstehen, sind hinsichtlich Neros Tod der gleichen Ansicht wie ich, aber wir sprechen selbstverständlich nie darüber.
Galba ließ den Leichnam Neros nur des Volkes wegen ordentlich bestatten, das seinen Tod aufrichtig und mit gutem Grund betrauerte. Er wollte die Welt davon überzeugen, daß Nero wirklich tot war. Daher kümmerte er sich nicht darum, daß der Senat ihn zum Staatsfeind erklärt hatte. Aus Mißtrauen dem Senat gegenüber beabsichtigte Galba, die Amtszeit der Senatoren auf zwei Jahre zu begrenzen. Das war ein wahnwitziger Einfall, denn unser Amt hat man von alters her auf Lebenszeit. Deshalb dulden wir auch die Altersschwachen unter uns, die uns manchmal die Zeit stehlen, indem sie ohne Ende von den vergangenen goldenen Zeiten reden. Das ist eine Krankheit, die uns alle einmal trifft. Wir achten daher das Alter und die Dienstjahre – im Gegensatz zu den jungen Leuten, die erst zur Einsicht kommen, wenn sie selbst die Senatorenstiefel anziehen.
Es war also nicht weiter verwunderlich, daß man Galbas Kopf bald um das Forum trug. Der Soldat, der dies tat, mußte die Daumen in seinen Mund stecken, um den Kopf richtig fassen zu können, so kahl war er. Als der Mann seine Belohnung von Otho erhalten hatte, reichte er den Kopf anderen Prätorianern, die ihn weiter um das Lager trugen, lachten und riefen: »Cupido, Galba, nütze deine Jugend!«
Er hatte den Prätorianern nicht einmal bei seiner Thronbesteigung ein passendes Geschenk gemacht, aber sie waren nicht deshalb verbittert. Galba hatte sich in einen Hünen von der germanischen Leibwache verliebt. Er hatte den Mann eine ganze Nacht bei sich behalten und auf alle erdenkliche Weise angestrengt, dann aber am Morgen entlassen, ohne ihm auch nur ein paar Sesterze für einen Schluck Wein zu geben. Statt dessen hatte er ihm gesagt, er müsse dafür dankbar sein, daß er die Freundschaft eines so jugendlichen alten Mannes hatte genießen dürfen. Das war mit ein Grund dafür, daß er gestürzt wurde. Zu des Tigellinus Zeiten hatten die Prätorianer von solchen Männern immer genug und übergenug bekommen.
Ich kehre zu Vespasian zurück. Es war eine Freude zu sehen, wie er sich verwunderte, als ihn die Legionen im Morgengrauen zum Kaiser ausriefen, wie er Einwände machte, die Hände rang und mehrere Male von dem Schild sprang, auf dem man ihn um die Mauern Jerusalems trug. Ein Schild ist allerdings eine unbequeme Sitzgelegenheit, besonders wenn die Soldaten einen, wie sie es mit Vespasian machten, vor Freude in die Luft prellen. Sie waren nämlich dank der Sesterze, die ich hatte austeilen lassen, recht betrunken. Einen Teil des Geldes bekam ich übrigens durch meinen neuen syrischen Freigelassenen wieder zurück. Es war mir gelungen, ihm das ausschließliche Recht zu verschaffen, im Lager Wein zu verkaufen, und er verdiente sehr gut daran, daß er das Schankrecht an die jüdischen Händler des Lagers weiterverkaufte.
Nachdem er den Legionen in Pannonien und Mösien den Sold geschickt und den Kohorten in Gallien wegen der Plünderungen und Gewalttaten an friedlichen Bewohnern einen sanften Verweis erteilt hatte, reiste Vespasian unverzüglich nach Ägypten. Zu diesem Zweck brauchte er die Truppen, die er Titus übergeben hatte, nicht von der Belagerung abzuziehen. Eine kleine Ehrenwache genügte ihm, denn er verließ sich auf die Treue der ägyptischen Garnisonstruppen. Der Treue Ägyptens mußte er sich hingegen persönlich versichern. Nicht, weil Ägypten die Kornkammer Roms ist, sondern weil es uns all das Papier liefert, das man für die ordentliche Verwaltung der Welt braucht, von den Steuereinnahmen ganz zu schweigen.
Die Kunst der Besteuerung hat Vespasian dann zu bisher ungeahnter Höhe entwickelt, so daß wir Wohlhabenden manchmal aus Nase und Ohren zu bluten vermeinen, wenn er uns zwackt … und aus dem Mastdarm könnte ich hinzufügen, denn deshalb bin ich hier in diesem Badeort. Die Ärzte waren wegen meines Zustandes und der Blutungen, die mich schwächten, so besorgt, daß sie mich, anstatt mir Arzneien zu geben, ermahnten, schleunigst mein Testament zu machen.
Ich wandte mich, da die Ärzte mich aufgegeben hatten, an Jesus von Nazareth. Auf der Schwelle des Todes wird ein von seinen Leiden geschwächter Mensch klein und demütig. Ein Gelübde legte ich jedoch nicht ab. Neben meinen zahllosen Verbrechen und meiner Härte wiegen meine wenigen guten Taten gewiß nicht viel, weshalb mir ein Gelübde zwecklos erschien.
Meine Ärzte trauten, ihren Augen nicht, als die Blutungen plötzlich von selbst aufhörten. Sie kamen zu dem Schluß, daß mein Leiden gar nicht lebensgefährlich gewesen war, sondern nur eine Folge meines Ärgers darüber, daß Vespasian gewisse steuertechnische Maßnahmen ablehnte, die der Erhaltung meiner Einkünfte und meines Vermögens dienlich gewesen wären.
Ich gebe zu, daß er uns nicht auspreßt, um sich selbst zu bereichern, sondern nur zum Nutzen des Staates, aber es hat alles seine Grenzen. Selbst Titus verabscheut die Kupfermünzen, die man nun in Rom für die Benutzung der öffentlichen Abtritte entrichten muß, obwohl jeden Tag ganze Körbe voll zusammenkommen. Die neuen Abtritte haben zwar fließendes Wasser und Marmorsitze und sind mit Statuen geschmückt, aber die uralte Bürgerfreiheit ist dahin. Man kann es den Armen nicht verdenken, daß sie aus reinem Trotz ihr Wasser an den Tempelmauern und vor den Türen der Reichen abschlagen.
Als wir vor Alexandria ankamen, zog Vespasian es vor, sich nicht in den Hafen rudern zu lassen, denn in den Becken trieben die stinkenden Leichen von Griechen und Juden. Er wollte den Bewohnern der Stadt Zeit geben, mit ihren Streitigkeiten fertig zu werden und sich in ihren verschiedenen Stadtteilen zu verschanzen, weil er kein unnützes Blutvergießen duldete. Alexandria ist eine viel zu große Stadt, als daß Zwistigkeiten zwischen Griechen und Juden auf eine ebenso einfache Weise hätten bereinigt werden können wie beispielsweise in Caesarea. Wir gingen außerhalb der Stadt an Land, und ich setzte zum erstenmal in meinem Leben den Fuß auf Ägyptens heilige Erde. Ich muß freilich hinzufügen, daß ich mir dabei nur meine feinen weichen Senatorenstiefel schmutzig machte.