Tigellinus machte den Prinzen von Chalkis betrunken und mißbrauchte ihn für seine Gelüste. Darauf beging der Knabe in Gegenwart seiner Mitschüler Selbstmord, da seine religiösen Vorurteile ihm den Verkehr mit Männern verboten. Er hätte hernach nie nach seinem Vater erben und König von Chalkis werden können. Aus Rache dafür zündeten die Knaben die Gärten des Tigellinus an, so daß der große Brand von neuem ausbrach, als er schon im Verlöschen zu sein schien. Jucundus war mit dabei. Er starb also nicht ganz ohne Schuld. Ich muß allerdings hinzufügen, daß den neu auflodernden Flammen das Viertel Suburra zum Opfer fiel, das seit eh und je ein Schandfleck für Rom gewesen war.
Domitian sagte sich in seiner feigen Listigkeit, daß ihn niemand ausgerechnet im jüdischen Stadtteil suchen würde, denn die Juden haßten Vespasian und sein ganzes Geschlecht wegen der Belagerung Jerusalems und der ungeheuren Verluste, die die Aufständischen erlitten hatten, als sie in ihrem Übermut zuerst in offener Feldschlacht zu kämpfen wagten und von Vespasian in die Zange genommen und aufgerieben wurden.
Apollonius von Tyana versuchte übrigens noch vor seiner Abreise, sich zugunsten der Griechen in die inneren Machtkämpfe Alexandrias einzumischen. Als er sich von Vespasian verabschiedete, bevor er sich auf das Boot begab, das ich ihm gekauft hatte, sagte er: »Ich habe aufgehorcht, als ich hörte, daß du in einer Schlacht dreißigtausend und in einer anderen fünfzigtausend Juden vernichtet hast. Schon damals dachte ich: Wer ist dieser Mann? Er könnte zu Besserem taugen! Die Juden haben seit langem nicht nur Rom, sondern die ganze Menschheit verraten. Ein Volk, das sich von allen anderen absondert, das nicht mit anderen essen und trinken will und sich sogar weigert, die herkömmlichen Gebete und Weihrauchopfer zu verrichten, ein solches Volk steht uns ferner als Susa und Baktra. Es wäre besser, wenn nicht ein Jude am Leben bliebe.«
So unduldsam sprach der größte Weise aller Zeiten, weshalb ich ihn gerne auf die Reise schickte und im Innern wünschte, sein Boot möchte sinken oder die Wilden in Nubien möchten ihn auf ihre Bratspieße stecken. Am meisten beunruhigte mich allerdings sein Geschwätz über die Demokratie. Vespasian neigte allzusehr zu gerechtem Denken und hatte mehr das Beste des Volkes im Auge denn seinen eigenen Vorteil als Kaiser.
Apollonius von Tyana besaß ohne Zweifel übernatürliche Kräfte. Wir rechneten uns später aus, daß er wirklich in demselben Augenblick, als es geschah, das Kapitol hatte brennen sehen. Einige Tage danach kroch Domitian aus dem Keller der Jüdin hervor und rief sich frech selbst zum Kaiser aus. Daran war freilich zum Teil der Senat schuld, der von einem Achtzehnjährigen auf dem Kaiserthron größeren Nutzen zu haben glaubte als von Vespasian, der gewohnt war zu befehlen, wenn es not tat. An Vitellius rächte sich Domitian für den Schrecken und die Demütigung, die er hatte ausstehen müssen, indem er dem Volk die Erlaubnis gab, ihn mit dem Kopf nach unten an einer Säule des Forums aufzuhängen und langsam mit kleinen Dolchstichen zu töten. Danach wurde die Leiche an einem eisernen Haken zum Tiber geschleift. Auch aus solchen Gründen darfst Du Dich nie der Willkür des Volkes ausliefern. Liebe Dein Volk, soviel Du willst, mein Sohn, aber halte es in Zucht.
All dies wußten wir jedoch damals in Alexandria noch nicht. Vespasian war hinsichtlich der zu wählenden Regierungsform noch immer im Zweifel, obwohl er zum Kaiser ausgerufen worden war. Die Republik war ihm, wie allen älteren Senatoren, lieb. Wir sprechen oft und gern von ihr, machen aber deshalb keine Dummheiten. Die Verzückung des Apollonius überzeugte ihn nicht, da er bei der langsamen Postverbindung keine Möglichkeit hatte, die Wahrheit seines Gesichts zu überprüfen. Da hielt es die Priesterschaft Alexandrias für gut, ihm seine eigene Göttlichkeit zu bestätigen, so daß endlich die Prophezeiungen wahr wurden, die seit einem Jahrhundert von einem Kaiser gesprochen hatten, der aus dem Osten kommen werde.
Eines heißen Morgens, als Vespasian vor dem Serapistempel zu Gericht saß, wo er, um die Götter Ägyptens zu ehren, sein Richterpodium hatte aufstellen lassen, traten auf den Rat der Priester zwei Kranke vor ihn hin und baten um Heilung. Der eine war blind, der andere lahm. Vespasian mochte nichts unternehmen, denn vor dem Tempel war eine große Menge Volks zusammengeströmt, um den Kaiser zu begaffen, und er wollte nicht in aller Augen zum Gespött werden.
Ich aber hatte plötzlich das Gefühl, all dies schon einmal erlebt zu haben: die Säulen des Tempels, der Richterstuhl, die Volksmenge, ja ich glaubte sogar die beiden Männer zu kennen. Da entsann ich mich des Traums, den ich in meiner Jugend im Lande der Briganter gehabt hatte. Ich erinnerte Vespasian daran und ermahnte ihn, zu tun, was er in meinem Traum getan hatte. Widerstrebend stand er auf und spuckte dem Blinden auf die Augen, worauf er den Lahmen kräftig gegen sein Bein trat. Der Blinde erhielt sein Augenlicht zurück, und das verkürzte Bein des Lahmen genas so rasch, daß wir unseren Augen nicht trauten. Da glaubte Vespasian endlich, daß er zum Kaiser geboren war, obwohl er sich nach diesem Ereignis weder heiliger noch göttlicher fühlte als zuvor oder zumindest alle Gefühle dieser Art verbarg.
Ich weiß gewiß, daß er später nie wieder seine Kräfte an dergleichen Heilungen erprobte. Ich bat ihn einmal, seine göttliche Hand auf meine blutende Darmöffnung zu legen, als er mich, über meinen Zustand bekümmert, auf meinem Sterbebett besuchte. Er weigerte sich mit aller Bestimmtheit und sagte mir, das seltsame Geschehnis in Alexandria habe so an seinen inneren Kräften gezehrt, daß er in der darauffolgenden Nacht ernstlich fürchtete, den Verstand zu verlieren. »Wahnsinnige Kaiser hat Rom genug gehabt«, sagte er, und darin hatte er recht. Einer solchen Gefahr durfte ich Rom Deinetwegen nicht aussetzen, auch um den Preis meiner Gesundheit nicht.
Manch einer, der nur glaubt, was er selbst zu sehen, zu hören und zu riechen vermag – obgleich man den Sinnen des Menschen nicht immer trauen darf –, wird geneigt sein, an meinem Bericht zu zweifeln, da die Zauberkniffe der ägyptischen Priester berühmt sind. Ich kann aber bezeugen, daß die Serapispriester jeden Kranken genau untersuchen, bevor sie zulassen, daß man eine Wunderheilung an ihm versucht. Verstellung und Heilung einer eingebildeten Krankheit hieße nach ihrem Glauben die Götter beleidigen.
Ich weiß außerdem, daß auch Paulus nicht jedem seine Schweißtücher zur Heilung ernsthafter Krankheiten schicken ließ. Einen Mann, der Krankheit heuchelte, hätte er schonungslos aus der Gemeinschaft der Christen ausgestoßen. Ich möchte also aufgrund meiner eigenen Erfahrungen meinen, daß Vespasian wirklich die beiden Kranken heilte. Wie das möglich ist, kann ich freilich nicht erklären. Ich will auch zugeben, daß Vespasian gut daran tut, seine Macht nicht von neuem zu erproben. Diese Wunderheilungen zehren gewißlich entsetzlich an den Kräften.
Von Jesus von Nazareth wird berichtet, er habe es nicht zugelassen, daß einer heimlich auch nur seine Mantelquasten berührte. Er fühlte wohl sogleich, wie ihn die Kräfte verließen. Zwar hat er Kranke geheilt und Tote auferweckt, aber nur auf flehentliche Bitten hin oder aus Mitleid mit den Angehörigen. Im allgemeinen war er nicht darauf erpicht, Wunder zu tun. Er tadelte die, welche sahen und doch nicht glaubten, und pries jene selig, die nicht sahen und doch glaubten. So hat man mir berichtet. Mein eigener Glaube wiegt zwar nicht mehr, als ein Sandkorn wiegen mag, und ich fürchte sehr, ihm wird er nicht genügen, aber ich will zumindest versuchen, ehrlich zu sein und ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Weil ich gerade die Zauberkniffe der ägyptischen Priester erwähnte: Da fällt mir ein Grieche in Alexandria ein, der das Erbe seiner Väter und die Mitgift seiner Gattin an wahnwitzige Erfindungen verschwendete und so hartnäckig um Vortritt bei Vespasian bat, daß wir ihn zuletzt empfangen mußten. Er berichtete mit leuchtenden Augen von seinen Erfindungen und pries insbesondere die Kraft des Wasserdampfs, der seiner Meinung nach imstande wäre, die schweren Mühlsteine zu treiben. Vespasian fragte ihn: »Was fangen wir dann aber mit den Sklaven an, die sich damit ihr Brot verdienen, daß sie die Mühlsteine drehen? Versuche einmal auszurechnen, wie viele Arbeitslose da der Staat ernähren müßte.«