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Vespasian warf mir einen Blick zu und lächelte verschmitzt. »Was würde das Volk denken! Aber, beim Herkules, ich hätte lieber dich an meiner Seite als Domitian, diesen sittenlosen, krumm gewachsenen Lügenhals!«

Das sagte er, lange bevor er von dem Sieg bei Cremona, der Belagerung des Kapitols und dem feigen Verhalten Domitians erfuhr. Um das Andenken seiner Großmutter zu ehren, mußte Vespasian später Domitian dann doch im Triumphzug hinter Titus mitreiten lassen, aber er gab ihm ein Maultier zu reiten. Das Volk verstand die Anspielung.

Nachdem wir die Frage der Thronfolge als vernünftige Men- sehen in freundschaftlichem Einvernehmen von allen Seiten beleuchtet hatten, ging ich bereitwillig auf seinen Vorschlag ein, daß Titus nach ihm und vor Dir regieren solle, wenngleich ich von Titus eine weit geringere Meinung hatte als sein Vater. Seine Geschicklichkeit im Fälschen von Handschriften ließ mich an seinem Charakter zweifeln. Aber Väter sind blind.

Sobald Vespasian seine Macht in Rom gefestigt hatte, eroberte Titus auf seinen Befehl Jerusalem. Die Zerstörung der Stadt war wirklich so entsetzlich, wie sie Flavius Josephus beschreibt. Die Beute war aber auch danach, und ich wurde für meine Auslagen reichlich entschädigt. Titus hatte den Tempel eigentlich nicht zerstören wollen. Das hatte er Berenike im Bett geschworen. Während der Kämpfe war es jedoch unmöglich, die Ausbreitung des Brandes zu verhindern. Die ausgehungerten Juden zogen sich erbittert kämpfend von Haus zu Haus, von Keller zu Keller zurück, so daß die Legionäre, die geglaubt hatten, sie brauchten die Stadt nur zu besetzen, schwere Verluste erlitten.

Mich kann bald jeder, der will, zu Pferde auf den Reliefs des Triumphbogens abgebildet sehen, den wir auf dem Forum zu errichten beschlossen. Anfangs fiel es Vespasian allerdings nicht ein, daß auch ich mir das Triumphzeichen verdient hatte, an dem mir um Deinetwillen so viel lag. Ich mußte ihm immer wieder beweisen, daß ich während der Belagerung der Nächsthöchste nach ihm gewesen war und daß ich mich furchtlos den Pfeilen und Wurfsteinen der Juden ausgesetzt hatte und sogar am Fuß verwundet worden war.

Erst als Titus edelmütig ein Wort für mich einlegte, gestand mir Vespasian das Triumphzeichen zu. Er hatte mich nie als Krieger im eigentlichen Sinne des Wortes betrachtet, weil ich an der Belagerung und Eroberung Jerusalems so viel verdiente. Die Senatoren, die zur Zeit ein Triumphzeichen besitzen, kann man an den Fingern einer Hand aufzählen, und einige von uns haben ihr Zeichen ohne eigenes Verdienst erhalten, um es einmal zu sagen, wie es ist.

Nachdem er als Triumphator die Treppe zum Kapitol hinaufgekrochen war, füllte Vespasian einen Korb mit Schutt von der Tempelruine und trug ihn auf seinen Schultern in das Tal hinunter, das aufgefüllt werden sollte. Er tat dies, um dem Volk seine Frömmigkeit und Demut zu zeigen und ihm mit gutem Beispiel voranzugehen. Von uns erwartete er, daß wir uns finanziell am Wiederaufbau des Jupitertempels beteiligten.

Er hat auch aus allen Teilen der Welt Abschriften von alten Gesetzen, Verordnungen, Verträgen und Sonderrechten seit der Gründung der Stadt herbeischaffen lassen. An die dreitausend solche Bronzetafeln hat er bisher gesammelt, und er verwahrt sie als Ersatz für die bei dem großen Brand geschmolzenen im neuen Gebäude des Staatsarchivs.

Soviel ich weiß, hat er ihnen nichts von eigener Hand hinzugefügt, obwohl er Gelegenheit gehabt hätte, seine Abstammung von Vulcanus selbst herzuleiten, wenn ihm darum zu tun gewesen wäre. Er begnügt sich aber noch immer mit dem verbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Während ich dies schreibe, hat er nun das zehnte Jahr als Kaiser geherrscht, und wir bereiten uns darauf vor, seinen siebzigsten Geburtstag festlich zu, begehen. Ich selbst bin in zwei Jahren fünfzig und fühle mich erstaunlich jugendlich dank der Pflege, dem Gesundheitswasser und einem weiteren Umstand, der daran schuld ist, daß ich mich nun gar nicht mehr beeile, von hier fortzukommen, sondern die Niederschrift meiner Erinnerungen in die Länge ziehe, wie Du vielleicht schon bemerkt haben wirst.

Die Ärzte haben mir schon vor einem Monat erlaubt, nach Rom zurückzukehren, aber ich danke Fortuna, daß ich diesen Frühling erleben durfte. Ich fühle mich so sehr verjüngt, daß ich mir unlängst mein Lieblingspferd bringen ließ, um wieder zu reiten, obwohl ich mich seit Jahren damit begnügte, bei den Umzügen mein Pferd am Zügel zu führen. Dank der Verordnung des Claudius ist das noch immer gestattet, und wir alternden Männer machen von der Erlaubnis gern Gebrauch, weil wir leider immer schwerer werden.

Weil ich gerade von Fortuna spreche: Deine Mutter ist immer merkwürdig eifersüchtig auf den einfachen Holzbecher gewesen, den ich von meiner Mutter erbte. Vielleicht erinnert er sie allzu deutlich daran, daß Du zu einem Viertel griechisches Blut in den Adern hast. Zum Glück weiß sie nicht, welch niederer Herkunft dieses Blut ist. Wie dem auch sei, ich schenkte diesen Becher vor einigen Jahren Linus, einmal weil ich des ewigen Gezänkes Deiner Mutter müde war, und zum andernmal weil ich in einer Stunde der Übersättigung meinte, ich hätte nun genug Erfolg gehabt. Die Christen können meiner Meinung nach Fortunas Gunst brauchen, und außerdem hat Jesus von Nazareth selbst nach seiner Auferstehung aus diesem Becher getrunken. Damit sich der Holzbecher nicht zu rasch abnützte, habe ich einen Prunkbecher aus Gold und Silber schmieden lassen, der ihn umschließt und auf der einen Seite das Bild des Kephas im Relief zeigt, auf der anderen Seite dagegen das des Paulus.

Diese Bilder sind sehr ähnlich geworden, denn der Handwerker, der sie machte, hat die beiden selbst oft gesehen und überdies die Zeichnungen anderer und ein Mosaik als Vorlage benutzt. Zwar waren die beiden Juden und duldeten als solche keine Menschenbilder, aber Paulus hat das jüdische Gesetz in manch anderer Hinsicht umgestoßen, weshalb ich nicht glaube, daß er es mir übelnimmt, wenn ich mit Hilfe des Linus sein Aussehen der Nachwelt überliefern will. Wozu, weiß ich freilich selbst nicht. Die Christuslehre hat neben anderen, aussichtsreicheren Religionen, von den Gymnosophisten bis zur Mithras-Bruderschaft, keine Zukunft.

Beide waren sie gute Menschen, und ich verstehe sie nun besser als früher, vor allem Paulus. So geht es einem ja oft: man vergißt gewisse Charakterzüge, die einen ärgerten, und ist endlich imstande, sich ein klares Bild von dem Menschen zu machen, wie er wirklich gewesen ist. Im übrigen besitzen die Christen sogar ein Bild ihres Jesus von Nazareth. Es blieb auf einem Stück Tuch haften, das eine Frau ihm reichte, damit er sich das Blut aus dem Antlitz trockne, als er mit dem Kreuz auf dem Rücken auf einer Straße Jerusalems stürzte. Dieses Bild wäre gewiß nicht auf dem Tuch zurückgeblieben, wenn er selbst es nicht gewollt hätte. Ich folgere daraus, daß er es, im Gegensatz zu den rechtgläubigen Juden, gestattete, daß man ein Bild vom Menschen macht.

Der Becher, den ich weggeschenkt habe, wird fleißig benützt, aber mir scheint, seine Kraft hat wegen des Goldes und des Silbers, das ihn nun umschließt, abgenommen. Jedenfalls streiten die Christen miteinander noch ebenso heftig und scharfsinnig wie eh und je. Linus hat alle Mühe, sie wenigstens so weit zu besänftigen, daß sie nicht mitten unter ihrem heiligen Abendmahl übereinander herfallen.

Was in den dunklen Gassen geschieht, wenn, die verschlossenen Türen geöffnet worden sind und die Teilnehmer am Mahle sich entfernen, mag ich nicht näher schildern. Die Unduldsamkeit und der Neid, die Paulus und Kephas ins Verderben stürzten, herrschen noch immer unter ihnen. Schon aus diesem Grunde kann aus ihnen nichts werden. Ich warte nur noch darauf, daß eines Tages ein Christ einen anderen Christen in Christi Namen erschlägt. Der Arzt Lucas schämt sich all dessen so, daß er nun kein drittes Buch zu dem Werk, das er plante, schreiben will, sondern die Arbeit aufgegeben hat.