Es hilft auch nichts, daß gelehrte und gebildete Menschen sich ihnen angeschlossen haben und sich ebenfalls zu Christus bekennen. Im Gegenteil, die Sache scheint davon nur noch schlimmer geworden zu sein. Kurz vor meiner Erkrankung lud ich zwei Sophisten zum Mahl, weil ich hoffte, ihre Bildung und Vernunft könnten Linus von Nutzen sein, aber die beiden begannen so erbittert miteinander zu streiten, daß sie mir beinahe meine kostbaren alexandrinischen Glasschalen zerschlugen.
Meine Einladung hatte einen rein praktischen Grund. Ich dachte mir, daß gebildete Männer wie sie einsehen würden, wie vorteilhaft es für die Christen wäre, wenn ihr Oberhaupt irgendein Zeichen seines Ranges trüge, etwa eine Kopfbedeckung wie die Mithras-Priester und zu dem einfachen Hirtenstab dazu den gewundenen Himmelsleiterstab der Auguren. Solche äußerlichen Zeichen ihres Bundes würden meiner Meinung nach gewöhnliche Bürger dazu ermuntern, sich ihnen anzuschließen.
Statt eines vernünftigen Gesprächs begannen aber die beiden Männer einen hitzigen Streit, und der eine sagte: »Ich glaube an ein unsichtbares Reich, an die Engel und daran, daß Christus Gottes Sohn ist, denn dies ist die einzige begreifliche Erklärung für die Unbegreiflichkeit und den wahnwitzigen Lauf der Welt. Ich glaube, um zu verstehen.«
Der andere wollte das nicht gelten lassen und entgegnete: »Verstehst du nicht, du kleiner Geist, daß menschliche Vernunft die Göttlichkeit Christi nicht fassen kann? Ich glaube nur, weil die Lehre über ihn absurd und vernunftlos ist. Ich glaube, weil sie sinnlos ist.«
Ich fiel ihnen rasch ins Wort, bevor sie handgemein wurden, und sagte begütigend: »Ich für mein Teil bin kein Gelehrter, obgleich ich die Philosophen und nicht wenige Dichter gelesen und selbst ein Buch über Britannien geschrieben habe, das man noch in den öffentlichen Bibliotheken finden kann. An Gelehrsamkeit und in der Kunst des Disputierens kann ich es nicht mit euch aufnehmen. Viel glaube ich nicht, und ich bete auch um nichts, denn in meinen Augen ist es reine Unvernunft, um etwas zu beten, was ein unerklärlicher Gott selbst am besten weiß. Er gibt mir gewiß, was mir not tut, wenn er so will. Eurer langatmigen Gebete bin ich müde. Wenn ich denn beten müßte, so möchte ich in meiner Sterbestunde flüstern: Jesus Christus, Gottes Sohn, erbarme dich meiner. Ich bilde mir nicht ein, daß meine wenigen guten Taten meine bösen Taten und Verbrechen aufzuwiegen vermögen. Ein Reicher kann nicht ohne Schuld sein. Hat er Schlimmeres nicht auf sich geladen, so sind die Tränen seiner Sklaven sein Verbrechen. Ich verstehe die Menschen, die ihre Habe den Armen schenken, um Christus zu folgen, aber ich selbst behalte und vermehre lieber, was ich besitze, für meinen Sohn und das Gemeinwohl. Es könnte sonst jemandem in die Hände fallen, der grausamer ist als ich, zum Schaden für die vielen, die mein Brot essen. Schont daher bei eurem Streit meine Glasschalen, die nicht nur kostbar sind, sondern auch mir selbst als Erinnerungsstücke teuer.«
Sie beherrschten sich aus Rücksicht auf meinen Rang und meine Stellung, wenngleich sie einander wahrscheinlich an die Kehle fuhren, sobald sie mein Haus und meinen guten Wein verlassen hatten. Glaube aber nicht, mein Sohn Julius, ich sei zu den Christen übergegangen, weil ich all dies erzähle. So viel weiß ich über Jesus von Nazareth und sein Reich, daß ich es nie wagen würde, mir einen so anspruchsvollen Namen zuzulegen und mich Christ zu nennen. Deshalb habe ich mich auch nie für würdig gehalten, die Taufe zu empfangen, sooft auch Deine Mutter mich dazu zu überreden versuchte.
Ich begnügte mich damit, zu sein, was ich bin, mit meinen Schwächen und meinen Fehlern, und ich will mich, wie Du aus diesen Erinnerungen ersiehst, nicht einmal rechtfertigen. Ich habe nur versucht, Dir begreiflich zu machen, mit welcher Unausweichlichkeit ich zu gewissen Taten gezwungen worden bin, die ich später bereute – Taten, die nur Dir zum Vorteil gereichten.
Was meine sittlichen Verirrungen anbelangt, will ich Dir nur sagen, daß kaum ein Mensch ohne Tadel ist, nicht einmal die Heiligen, die sich Gott geweiht haben. Nie aber, das kann ich Dir versichern, habe ich einen anderen Menschen nur zu meinem Genuß mißbraucht. Ich habe in meiner Bettgefährtin immer auch den Menschen gesehen, mochte sie nun Sklavin sein oder Freie.
Meiner Meinung nach geschehen aber die unsittlichsten Dinge nicht im Bett, wie viele glauben, sondern das Schlimmste ist die Verhärtung des Herzens. Hüte Dich davor, daß Du hart in Deinem Herzen wirst, mein Sohn, wer auch immer Du eines Tages sein und vor welch schweren Entscheidungen immer Du stehen wirst. Eine gewisse menschliche Eitelkeit ist, innerhalb vernünftiger Grenzen, wohl erlaubt, nur darfst Du in Deinem Herzen Deine Gelehrsamkeit und Deine Dichtergabe nicht zu hoch einschätzen. Glaube nicht, ich wüßte nicht, daß Du mit Juvenal in der Dichtkunst zu wetteifern trachtest!
Während ich dies schreibe, ist mir, als könnte ich die ganze Welt lieben, weil es mir vergönnt war, noch einen verspäteten Frühling zu erleben. Ich glaube, wenn ich nach Rom zurückkehre, werde ich die Schulden Deines Freundes Juvenal bezahlen, und er mag meinetwegen gerne seinen Bart behalten. Warum sollte ich Dir Kummer machen und Dich von mir entfernen, indem ich einen Menschen verachte, der Dir – wenngleich aus mir unbegreiflichen Gründen – lieb ist.
Mein Herz ist so voll, daß ich erzählen muß. Deshalb will ich Dir noch von dem Frühling berichten, den ich hier erleben durfte. Ich habe sonst niemanden, mit dem ich darüber sprechen könnte, und Du wirst diese Aufzeichnungen ohnehin erst lesen, wenn ich schon tot bin. Vielleicht wirst Du dann Deinen Vater besser verstehen, den Du jetzt nur für einen närrischen Alten hältst. Um wieviel leichter ist es doch, sich mit einem fremden Kind zu verstehen als mit dem eigenen Sohn! Doch das ist wohl eines jeden Vaters Fluch, selbst wenn er das Beste will.
Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Du weißt, daß es mich nie danach gelüstet hat, nach Britannien zurückzukehren, obwohl ich mich dort um meine Besitzungen kümmern könnte und gern auch sehen möchte, wie aus Lugundanum eine richtige Stadt wird. Ich fürchte nur, ich würde Britannien nicht mehr so sehen, wie ich es in meiner Jugend, mit ungetrübten Sinnen, sah, als ich es mit Lugunda durchwanderte. Vielleicht war ich nur von den Druiden verhext, so daß ich sogar Britannien schön fand, aber ich will diese Erinnerung nicht verlieren, indem ich nun mit meinen bald fünfzig Jahren und meinen grob gewordenen, abgestumpften Sinnen noch einmal hinfahre.
In diesem Frühling habe ich aber noch einmal so leben dürfen, als wäre ich noch jung. Freilich ist alles nur eine jener Verzauberungen gewesen, die selbst einem Mann wie mir den Blick mit Lachen und Weinen verdunkeln können. Du wirst nie mit ihr zusammentreffen, mein Sohn, denn ich halte es ihretwegen und meinetwegen für das beste, sie auch selbst nicht mehr aufzusuchen.
Sie ist von verhältnismäßig niederer Herkunft, aber ihre Eltern haben dank ihrer Armut die uralten Überlieferungen und Sitten der Landbewohner bewahrt. Sie wundert sich sogar darüber, daß mein Untergewand aus Seide ist. Ich habe ihr so manches aus meinem Leben erzählt, angefangen von den jungen Löwen, die meine Gattin Sabina seinerzeit in unserem Ehebett aufzog und die ich mit einem Horn füttern mußte. Sie hörte mir geduldig zu, und ich betrachtete den wechselnden Ausdruck ihrer seltsamen Augen.
Ich mußte ja an den Abenden ein wenig Ordnung in meine Erinnerungen bringen, um sie dann teils selbst niederzuschreiben, teils diktieren zu können. Ich hoffe, Du wirst einigen Nutzen von ihnen haben. Wenn Du nur nicht zu viel Gutes von den Menschen glaubst und dann enttäuscht wirst! Kein Herrscher darf sich ganz auf einen anderen Menschen verlassen. Das ist die schwerste Bürde der Alleinherrschaft. Allzu großes Vertrauen rächt sich immer. Denk daran, mein Sohn.
Ich sage Dir all das, weil ich Dich aus ganzem Herzen liebe und weil Du, auch wenn Du es nicht so empfindest, der eigentliche Sinn meines Lebens bist. Es ist, als hätte ich, als ich in ihr einer verspäteten, allzu süßen und zärtlichen Liebe begegnete, gelernt. Dich mehr zu lieben als je zuvor und auch Deine Mutter und ihre weniger guten Seiten besser zu verstehen. Ich verzeihe ihr nun gern die Worte, die sie oft im Zorn sagte. Andrerseits hoffe ich, sie wird mir verzeihen, daß ich nicht anders sein kann, als ich eben bin. Man soll nicht versuchen, einem alten Hund das Bellen abzugewöhnen und das Männchenmachen beizubringen.