Es ist in der ganzen Zeit, die ich mich hier in diesem Kurort aufhalte, in dessen Nähe das Gut ihrer Eltern liegt, nichts Schlimmes zwischen uns geschehen. Ein einziges Mal habe ich sie geküßt, und das eine oder andere Mal habe ich wohl auch mit meiner groben Hand die Haut ihrer Arme gestreichelt. Mehr wünschte ich nicht, denn ich will ihr nicht weh tun oder sie vor der Zeit in die Einsamkeit und die heiße Wüste der menschlichen Leidenschaft stürzen. Es ist genug, daß bei meinen Erzählungen ihre Wangen sich röteten und ihre Augen zu glänzen begannen. Ihren Namen sage ich Dir nicht. Du wirst ihn auch in meinem Testament nicht finden, weil ich auf anderen Wegen, die ich für vernünftiger hielt, dafür gesorgt habe, daß sie nie Not zu leiden braucht und daß sie eine große Mitgift hat, wenn sie eines Tages dem jungen Mann begegnet, der ihrer Liebe wert ist. Mag sein, daß ich sie für verständiger halte, als sie ist, nur weil sie so gern und geduldig dem Geschwätz eines alternden Mannes lauschte, aber ich glaube, ihr künftiger Gatte wird großen Nutzen von ihrem angeborenen Verständnis und Fassungsvermögen haben, wenn er sich eine Zukunft im Dienst des Staates aufbauen will.
Sie wird sicherlich einen Ritter wählen. Das weiß ich, weil sie so in Pferde vernarrt ist. Ihretwegen ließ ich mir meine Lieblingsstute bringen und begann wieder zu reiten. Ich glaube, ihre bloße Nähe und ihr warmes Mitgefühl haben mir zur Genesung verholfen, denn unsere Freundschaft entbehrt aller verzehrenden Leidenschaft.
Ich weiß. Du hast getrauert und sogar Deinen Vater gehaßt, als der schneeweiße Hengst, der von Kaiser Gajus Caligulas »Blitz« abstammt, plötzlich aus Deinem Stall verschwunden war. Es machte mir Spaß, mir diesen Hengst zu verschaffen, um mich selbst daran zu erinnern, was es im Grunde bedeutet, römischer Senator zu sein. Gajus hatte beschlossen, »Blitz« zum Senator zu ernennen. Deshalb wurde er so grausam ermordet. Ich kenne den Senat zur Genüge und sage Dir, er hat sich überschätzt. Er hätte sich einen triftigeren Grund ausdenken müssen.
Ich hörte jedenfalls, daß Du, nachdem Du die Toga angelegt hattest, beim Festumzug der Ritterschaft auf einem schneeweißen Hengst geritten bist. Das gehört sich nicht für einen Jüngling in Deinem Alter, glaube mir, Julius. Ich hielt es daher für richtig, Dir den Hengst wegzunehmen. Ich schenke ihn lieber einem klugen fünfzehnjährigen Mädchen zum Andenken, das in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit lebt. Schließlich komme ich noch immer für den Unterhalt Deines Stalles auf, wenn Du ihn auch Deinen eigenen nennst.
Ich kann es nicht verhindern, daß der Klatsch Roms mich auf den verschiedensten Wegen erreicht. Versteh mich recht, wenn Du dies eines Tages liest. Ich hielt es nicht für nötig, irgendwelche Gründe anzugeben. Du magst mich meinetwegen hassen, weil plötzlich Dein schönstes Reitpferd verschwand. Und wenn Du nicht genug Verstand hast, zu begreifen, warum es notwendig war, dann hasse mich, solange du willst.
Diesen Hengst schenke ich ihr zum Abschied, denn sie hat nicht einmal eine goldene Kette angenommen, die ich ihr zum Andenken geben wollte. Das Pferd wird sie wohl annehmen können. Ihre Eltern können sich Nebeneinkünfte verschaffen, indem sie den Hengst für die Zucht verwenden. Auf diese Weise wird der Pferdestamm dieser Gegend verbessert, mit dem wirklich kein Staat zu machen ist. Sogar meine alte fromme Stute erweckt hier Neid.
Wenn ich an mein Leben denke, fällt mir oft ein Gleichnis ein, das Du aus dem Munde des Linus gehört haben wirst. Es war einmal ein Herr, der seinen Knechten einige Pfunde Silber zu verwahren gab, da er selbst fortreiste. Der eine Knecht vergrub sein Pfund in der Erde, während der andere das seine vermehrte und verdoppelte. Von mir kann kaum jemand behaupten, ich hätte mein Pfund vergraben. Im Gegenteil, ich habe mein Vätererbe vermehrt, hundertfach könnte ich sagen, wenn es nicht unbescheiden klänge. Du wirst es in meinem Testament sehen. Ich meine aber nicht nur irdische Pfunde, sondern auch gewisse andere Werte. Jedenfalls habe ich beinahe doppelt soviel Nilpapier von der feinsten Sorte für meine Erinnerungen verwendet als mein Vater seinerzeit für seine Briefe an Tullia, die Du eines Tages ebenfalls lesen wirst.
Der Herr sprach zu seinem Knecht: »Du guter und treuer Knecht, geh ein in die Freude deines Herrn.« Das finde ich schön gesagt, obwohl ich für mich selbst nichts dergleichen erhoffen darf. Aber Jesus von Nazareth hat eine eigentümliche Art, einen geschwind aufs Ohr zu schlagen, sowie man etwas zu wissen glaubt. Kaum eine Woche war vergangen, seit ich mich vor den beiden Sophisten damit gebrüstet hatte, ich würde nie um etwas beten, da flehte ich ihn in meinen Schmerzen auch schon inniglich an, er möge meine Blutung stillen, ehe ich verblutete. Die besten Ärzte Roms vermochten mir nicht zu helfen. Mein Leiden heilte jedoch von selbst. Hier in diesem Kurort, wo ich fleißig Wasser trinke, fühle ich mich gesünder und froher als je in den letzten zehn Jahren. Ich habe sogar die sonderbare Gewißheit, daß ich noch für irgendeinen Zweck gebraucht werde, obwohl ich nichts gelobt habe. Noch ein paar Worte über das helläugige Mädchen, das meine Gesellschaft war und mir so viel Freude schenkte, daß mir bei seinem bloßen Anblick das Herz schmolz. Ich begriff anfangs nicht, warum ich ihr schon begegnet zu sein glaubte. So wohlbekannt erschien mir alles an ihr, sogar ihre kleinsten Bewegungen. In meiner Einfalt gab ich ihr ein Stück von Antonias Seife und ein Fläschchen von dem Parfüm, das Antonia verwendet hatte. Ich fand, sie erinnerte mich auf unbestimmte Art ein wenig an Antonia, und hoffte, der bekannte Duft der Seife und des Parfüms würde der Ähnlichkeit nachhelfen.
Es geschah aber gerade das Gegenteil. Ich bemerkte, daß diese betäubenden Düfte nicht zu ihrem frühlingsfrischen Wesen paßten. Sie störten mich nur. Als ich sie dann aber küßte und ihre Augen dunkel werden sah, da erblickte ich in ihrem Gesicht das Gesicht Antonias, aber auch die Züge Lugundas und, was das Wunderlichste von allem war, das Gesicht Deiner Mutter Claudia, wie es in ihrer Jugend gewesen war. Und als ich so eine lange Weile ihren Mädchenleib in meinen Armen hielt, ohne ihr etwas antun zu wollen, da erkannte ich in ihr auf merkwürdige Weise alle die Frauen wieder, die ich in meinem Leben am meisten geliebt habe. Ich weiß, daß nach ihr keine Frau mehr mein Leben teilen wird. Ich habe Liebe genug und übergenug erfahren. Mehr soll der Mensch nicht begehren.
Als ich mit eigener Hand diese letzten Zeilen niedergeschrieben hatte, gebot das Schicksal selbst mir, meine Erinnerungen abzuschließen. Vom Senat kam ein Eilbote mit der Nachricht, daß Roms Kaiser Vespasian nahe Raete, der Heimat seines Geschlechts, gestorben ist. So konnte er seinen siebzigsten Geburtstag nicht mehr feiern, aber man sagt, er habe versucht, sich aufzurichten und stehend in den Armen derer, die ihn stützten, zu sterben.
Sein Tod wird noch zwei Tage geheimgehalten, bis Titus in Raete eingetroffen ist. Unsere erste Aufgabe im Senat wird es sein, Vespasian zum Gott auszurufen. Er hat es verdient, denn er war von allen Kaisern Roms der frömmste, selbstloseste, arbeitsamste und gerechteste. Daß er von Plebejern herstammte, ist nicht seine Schuld, und es ist ohne Belang, sobald er ein Gott ist. Als alter Freund will ich seinem Priesterkollegium beitreten, da ich bisher noch kein Priesteramt bekleidet habe. Ich denke an Deine Zukunft, mein lieber Sohn, und muß dieses Verdienst meinen bisherigen hinzufügen. In Eile mit eigner Hand, Dein Vater Minutus Lausus Manilianus.