Mein Vater las das Blatt, errötete und steckte es rasch weg. Narcissus fuhr mit der gleichen Offenheit fort: »Der Kaiser ist stolz auf seine Gelehrsamkeit und seine Menschenkenntnis, aber er bleibt leicht an Einzelheiten hängen und kann manchmal einen ganzen Tag ununterbrochen über alte Geschichten reden, nur um sein gutes Gedächtnis unter Beweis zu stellen. Darüber vergißt er dann gern die Hauptsache.«
Mein Vater sagte verlegen: »Wer hat nicht in seiner Jugend einmal in Baiaes Rosenhainen gewacht! Für mich ist das alles vorbei und vergangen. Doch ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Man hat mir ja berichtet, wie streng Kaiser Claudius und im besonderen Valeria Messalina über die Sitten des Ritterstandes wachen.«
»Vielleicht lasse ich dich eines Tages wissen, wie du dich mir erkenntlich zeigen kannst«, erwiderte Narcissus mit einem bleichen Lächeln. »Ich bin als habgierig verschrien, aber begehe nicht den Fehler, mir Geld anzubieten, Marcus Manilianus. Ich bin ein Freigelassener des Kaisers. Daher gehört alles, was ich besitze, dem Kaiser, und alles, was ich tue, das tue ich, so gut ich es weiß und verstehe, zum Besten des Kaisers und des Staates. Doch wir müssen uns beeilen, denn der günstigste Augenblick, ein Anliegen vorzutragen, ist gleich nach einem Opfermahl, wenn sich der Kaiser auf seine Mittagsruhe vorbereitet.«
Er führte uns in den südlichen Empfangssaal, dessen Wände Malereien schmückten, die den Trojanischen Krieg darstellten. Mit eigener Hand ließ er den Lattenvorhang vor dem Fenster herunter, so daß die Sonne nicht so heiß in den Raum brannte. Kaiser Claudius erschien gestützt von zwei Sklaven, die ihn auf einen Wink von Narcissus auf den Thron setzten. Er summte die Faunushymne vor sich hin und blinzelte uns kurzsichtig entgegen. Als er saß, sah er würdevoller aus, denn da er gestanden war, obwohl sein Kopf hin und her pendelte und er sich beim Mahl mit Soßen und Wein bekleckst hatte. Er war übrigens nach seinen Statuen und den Abbildungen auf den Münzen leicht wiederzuerkennen. Der Wein hatte ihn offensichtlich für den Augenblick heiter gestimmt, und er war bereit, sich eifrig den Staatsgeschäften zu widmen, ehe ihn der Schlaf überkam.
Narcissus stellte uns vor und sagte rasch: »Der Sachverhalt ist klar. Hier sind die Nachweise über die Herkunft und das Vermögen sowie die Empfehlung des Zensors. Marcus Mecentius Manilianus hat sich als Mitglied des Rates der Stadt Antiochia ausgezeichnet und verdient volle Genugtuung für das Unrecht, das ihm angetan wurde. Er selbst strebt nicht nach äußeren Ehren, aber sein Sohn kann zu einem treuen Diener des Staates heranwachsen.«
Kaiser Claudius rollte die Akten auf, während er etwas über den Astronomen Manilius murmelte, den er in seiner Jugend gekannt hatte. Die Herkunft meiner Mutter erregte seine Aufmerksamkeit, und er versank in gelehrte Betrachtungen. »Myrina«, sagte er, »das war die Königin der Amazonen, die gegen die Gorgonen kämpfte, aber dann kam der Thraker Mopsos, den Lykurg in die Verbannung geschickt hatte, und tötete sie. Myrina heißt sie übrigens nur als Göttin. Ihr irdischer Name war Batieia. Es wäre passender gewesen, deine Gattin hätte diesen irdischen Namen getragen. Vermerke und verbessere das in den Akten, Narcissus.«
Mein Vater dankte dem Kaiser ehrerbietig für diese Berichtigung und versprach, sogleich dafür Sorge zu tragen, daß die Statue, welche die Stadt Myrina meiner Mutter errichtet hatte, auf Batieia umbenannt werde. Der Kaiser mußte den Eindruck gewinnen, meine Mutter sei in Myrina eine hochangesehene Frau gewesen, da die Stadt sie sogar durch eine Statue ehrte.
»Deine griechische Herkunft ist vornehm«, sagte er zu mir und betrachtete mich wohlwollend mit seinen rotgeäderten Augen. »Die Bildung ist das Erbe Griechenlands, Roms Stärke ist die Staatskunst. Du bist rein und schön wie eine meiner Goldmünzen, die ich mit einer lateinischen Inschrift auf der einen und einer griechischen auf der anderen Seite prägen ließ. Wie kann ein so schöner, stattlicher Knabe Minutus heißen! Das ist übertriebene Bescheidenheit.«
Mein Vater beeilte sich zu erklären, daß er den Tag meiner Mannesweihe hinausgeschoben hatte, damit mein Name gleichzeitig in die Ritterrolle im Tempel des Castor und des Pollux eingeschrieben werden könne. Es wäre eine große Ehre für ihn, fügte er hinzu, wenn Kaiser Claudius selbst mir einen passenden Zunamen gäbe. »Ich habe Güter bei Caere, und mein Geschlecht geht zurück in die Zeit, da Syrakus der Seeherrschaft Caeres ein Ende bereitete. Doch über diese Dinge weißt du mehr als ich, Clarissimus.«
»Dachte ich mir nicht, daß mir deine Züge bekannt vorkommen!« rief Claudius entzückt. »Ich habe dein Gesicht und deine Augen auf den alten etruskischen Grabmalereien gesehen, die ich in meiner Jugend studierte, obwohl sie durch Feuchtigkeit und mutwillige Hände schon arg beschädigt waren. Da du selbst Mecentius heißt, soll dein Sohn den Namen Lausus erhalten. Weißt du auch, wer Lausus war, Minutus?«
Ich antwortete ihm, daß Lausus der Sohn des Königs Mecentius gewesen sei, der mit Turnus gegen Äneas kämpfte. »So steht es in deiner Geschichte der Etrusker geschrieben, sonst wüßte ich es nicht«, sagte ich mit unschuldsvoller Miene.
»Hast du wirklich trotz deiner Jugend schon mein bescheidenes Buch gelesen, Minutus?« fragte Claudius und bekam vor Rührung den Schluckauf. Narcissus klopfte ihm leicht auf den Rücken und befahl den Sklaven, Wein zu holen. Claudius ließ auch uns Wein anbieten, ermahnte mich jedoch väterlich, keinen unvermischten Wein zu trinken, bevor ich nicht so alt sei wie er. Narcissus nützte diesen Augenblick und bat ihn, die Verleihung der Ritterwürde an meinen Vater durch seine Unterschrift zu bestätigen. Claudius schrieb bereitwillig seinen Namen nieder, obwohl er, wie ich glaube, schon vergessen hatte, worum es sich handelte.
Mein Vater fragte: »Ist es wirklich dein ausdrücklicher Wille, daß mein Sohn Lausus heißen soll? Wenn dem so ist, wird Kaiser Claudius selbst bei ihm Pate stehen, und das ist die höchste Ehre, die mir zuteil werden kann.«
Claudius trank mit wackelndem Kopf von seinem Wein und sagte mit besonderer Betonung: »Schreibe auch das auf, Narcissus. Und du, Mecentius, schicke mir nur einen Boten, wenn dem Knaben das Haar geschnitten werden soll. Ich will dein Gast sein, sofern mich nicht wichtige Staatsangelegenheiten hindern.«
Er stand entschlossen auf, stürzte beinahe, ehe die Sklaven vorspringen und ihn stützen konnten, und sagte nach einem kräftigen Rülpser: »Meine vielen gelehrten Beschäftigungen haben einen zerstreuten Menschen aus mir gemacht, so daß ich mich alter Begebenheiten besser erinnere als jüngst vergangener. Daher lasse ich sofort aufschreiben, was ich gelobe und was ich verbiete. Doch nun will ich meine Mittagsruhe halten und sehen, ob ich mich erbrechen kann, denn sonst bekomme ich Magenschmerzen von dem zähen Ziegenfleisch.«
Als er, wiederum von seinen Sklaven gestützt, den Saal verlassen hatte, riet Narcissus meinem Vater: »Laß deinen Sohn am nächstbesten günstigen Tag die Männertoga anlegen und gib mir Nachricht. Es ist möglich, daß der Kaiser wirklich an sein Versprechen denkt und bei ihm Pate steht. Zumindest kann ich ihn an den Namen und das Versprechen erinnern, und dann wird er so tun, als wäre es ihm selbst eingefallen.«
Tante Laelia hatte große Mühe, einige Vornehme ausfindig zu machen, die dem Geschlecht der Manilier zugerechnet werden durften. Einer der Gäste war ein uralter ehemaliger Konsul, der mich freundlich an der Hand hielt, als ich das Schwein opferte. Die meisten waren aber Frauen in Tante Laelias Alter, die wohl hauptsächlich die Aussicht auf eine gute Mahlzeit ins Haus gelockt hatte. Sie schnatterten wie eine Herde Gänse, während mir der Barbier das Haupthaar schnitt und den dünnen Flaumbart schor. Ich konnte mich ihrer kaum erwehren, als sie mir die Männertoga anlegten und mir dabei die Glieder streichelten und die Wangen tätschelten, und sie wußten sich vor Neugier nicht zu fassen, als ich um meines Gelübdes willen den Barbier mit in mein Zimmer nahm, damit er mir dort auch die Körperhaare abschere, die meine Mannheit bezeugten. Ich legte sie zusammen mit den Barthaaren in eine silberne Büchse, deren Deckel mit einem Mond und einem Löwen verziert war. Der Barbier schwatzte und scherzte, während er seine Arbeit verrichtete, und versicherte mir, es sei durchaus nichts Ungewöhnliches, daß vornehme Jünglinge, wenn sie die Männertoga bekamen, ihre Schamhaare der Göttin Venus opferten, um ihre Gunst zu gewinnen.