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Nie zuvor hatte ich gehört, daß diese Worte der Zuneigung mit solch überströmender Zärtlichkeit gesagt wurden. Dabei hätte es durchaus sein können, daß mich Dutzende unschuldiger Kindermünder in gleicher Weise angesprochen hätten, die Münder meiner Kinder und Enkel nämlich, die ich heute hätte, wäre nicht damals in verstockter Dummheit ein Vorwurf gegen mich erhoben worden, eine Beschuldigung, zu der kein Mensch auf dieser Erde das Recht hat.

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Ein weißer Gesichtsschleier, der die Augen frei ließ. Die alte Frau trat aus dem Tor in die Gasse und sagte: »Komm, Mädchen, es hat aufgehört zu regnen.«

Das Mädchen mit dem weißen Schleier folgte ihr, schritt vorsichtig über den schlüpfrigen Boden und wich einer großen Pfütze aus. Von ihrer Schönheit ist mir heute nur noch der Eindruck von damals in Erinnerung geblieben.

Ich trat zur Seite und sagte bei mir: »Lob dem Schöpfer, der solche Schönheit in seiner Gnade erschaffen hat!« In meines Herzens Tiefe erzitternd, faßte ich den Vorsatz: »Ich will mein Vertrauen auf Gott setzen, und je eher, desto besser!«

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Wir waren allein im Entree. Ich saß unter dem Bild der Jungfrau, deren blaue Augen gedankenschwer dreinschauten. Seit den Mittagsstunden hatte es ununterbrochen geregnet, und hin und wieder grollte Donner durch die Wolken.

»Monsieur Amir, es liegt etwas in der Luft«, erklärte Madame. Vorsichtig fragend schaute ich sie an, da fuhr sie mißbilligend fort: »Zuchra!« Dann, nach einer kurzen Pause: »Und Sarhan al-Buheri!«

Mir wurde zwar beklommen zumute, aber ich fragte ganz naiv zurück: »Was meinen Sie damit?«

»Sie wissen sehr wohl, was ich meine!«

»Aber das Mädchen…«

»In solchen Dingen täusche ich mich nicht.«

»Das Mädchen ist anständig und weiß sich richtig zu verhalten, meine liebe Mariana.«

»Wie auch immer sie sein mag, ich habe es nicht gern, wenn sich etwas hinter meinem Rücken tut!«

Zuchra soll also entweder anständig bleiben oder tun, was dir nützt. Ich durchschaue dich, du alte Vettel!

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Ich träume — während meines Nachmittagsschläfchens — von der blutigen Demonstration, nach der die Engländer den Platz vor der Azhar stürmten. Als ich die Augen öffne, dröhnen mir die Stimmen der Demonstranten und die Schüsse durchs Hirn. Nein, das sind andere Stimmen, außerhalb meines Zimmers, die durch die Pension hallen. Ich ziehe mir den Morgenrock an und trete voller Beunruhigung auf den Gang. Alle stehen im Entree. Einige sind lediglich neugierig wie ich. Sarhan al-Buheri aber ist aufgeregt, zornig, rückt seine Krawatte und seinen Hemdenkragen zurecht. Ebenso Zuchra. Blaß vor Zorn steht sie da. Der Kragen ihres Kleides ist zerrissen. Ihre Brust hebt und senkt sich. Husni Allam im Morgenrock setzt gerade eine schreiende und schimpfende fremde Frau vor die Tür, die Sarhan al-Buheri ins Gesicht spuckt, bevor sich die Tür hinter ihr schließt.

Madame ruft: »Das ist doch unmöglich, wir sind eine angesehene Pension!«

»Das geht zu weit!« protestiert sie heftig. Dann leert sich das Entree, und nur wir drei bleiben zurück, sie, ich und Tolba Marzuq. »Was ist denn nur passiert?« frage ich, immer noch schlaftrunken. »Ich habe nicht viel mehr gesehen als Sie«, erwidert Tolba Marzuq. Madame geht in Sarhans Zimmer, offenbar, um zu hören, was geschehen war.

»Unser Freund al-Buheri scheint ein ausgesprochener Don Juan zu sein«, setzt Tolba Marzuq das Gespräch fort. »Was veranlaßt Sie zu dieser Meinung?«

»Haben Sie denn die Frau nicht gesehen, die ihn angespuckt hat?«

»Aber wer war die fremde Frau?«

»Eine Frau, irgendeine Frau!«

»Eine Frau, die ihrem abhanden gekommenen Mann hinterherlief«, fährt er lachend fort.

Dann kommt Zuchra, immer noch aufgeregt, und stößt hervor, ohne daß sie jemand gefragt hat: »Ich habe Ustas Sarhan die Tür geöffnet, da war ihm die Frau auf den Fersen, ohne daß er es merkte, und dann gab es ein heftiges Handgemenge zwischen beiden.«

Madame kehrt zurück, während Zuchra noch dasteht, und erklärt: »Das Mädchen war seine Verlobte, wenn ich es richtig verstanden habe.«

Die Angelegenheit wird nun verständlich, so meine ich, aber Tolba Marzuq fragt boshaft: »Und was hatte Zuchra damit zu tun?«

»Ich wollte zwischen ihnen vermitteln«, entgegnet Zuchra, »und dann geschah, was Sie gesehen haben.«

»Du bist wirklich eine brillante Faustkämpferin!« stellt der Mann fest. »Wollen wir doch die Geschichte als beendet ansehen!« bitte ich.

Im Namen Gottes, des Barmherzigen,

des Erbarmers

Ta-sin-mim

Dies sind die Zeichen

Des offenkundigen Buches.

Vortragen wollen wir dir von der Kunde

Moses und Pharaos, nach der Wahrheit,

Für solche, die da glauben.

Nun, Pharao war gewaltig auf der Erde,

Und er spaltete ihre Bewohner in Gruppen.

Tat dabei Unrecht einer Gruppe von ihnen,

Indem er schlachtet' ihre Söhne

Und beschämt' ihre Frauen.

Ja, er war einer von den Frevlern.

Wir aber wollen Huld erweisen

Den Unterdrückten auf der Erde,

Und sie machen zu Vorständen,

Und sie machen zu Erben.[41]

Ich höre, wie jemand an die Tür klopft. Madame kommt lächelnd herein und setzt sich vor mich auf einen Schemel, auf den ich manchmal meine Beine ausstrecke. Im Lichtschacht heult der Sturm. Ich bin noch im Morgenmantel. Das Zimmer wirkt schläfrig durch sein Halbdunkel, das die wirkliche Tageszeit verbirgt.

Ein Lachen unterdrückend, erklärt sie: »Ich komme mit einer seltsamen Nachricht zu Ihnen.«

»Einer hoffentlich erfreulichen«, murmle ich, schließe den Koran und lege ihn auf die kleine Kommode.

»Zuchra hat beschlossen, sich weiterzubilden.«

Ich schaue sie ausdruckslos an, denn ich verstehe nicht, was sie sagen will.

»Wirklich, sie hat beschlossen, sich weiterzubilden. Sie hat mir gesagt, sie würde jeden Tag eine Stunde verschwinden, um Unterricht zu nehmen.«

»Das ist tatsächlich erstaunlich!« meine ich.

»Im fünften Stock dieses Hauses wohnt eine Familie, deren eine Tochter Lehrerin ist. Mit der hat sie eine Absprache getroffen.«

»Ich kann nur wiederholen: Das ist ganz erstaunlich!«

»Ich habe von mir aus nichts dagegen eingewandt, auch wenn es mir um ihren Lohn leid tut, den die Lehrerin nun einkassieren wird.«

»Das ist nett von Ihnen, Madame! Aber ich bin verblüfft im wahrsten Sinne des Wortes.«

Als Zuchra mir den Nachmittagskaffee bringt, scherze ich: »Du verbirgst mir etwas, du kleine Geheimniskrämerin!«

»Vor Ihnen kann man doch nichts verbergen!« entgegnet sie scheu.

»Und dein Entschluß, dich weiterzubilden? Erzähl mir doch, wie bist du daraufgekommen?«

»Alle Mädchen lernen heutzutage etwas. Die Straßen sind voll von ihnen!«

»Aber du hast doch früher nicht daran gedacht?« Sie lacht fröhlich, und ich fahre fort: »Du hast dir gesagt, daß du hübscher bist als sie. Und solange sie nichts lernen, brauchst du auch nichts zu lernen, stimmt's?« Sie schaut mich glücklich an, ohne etwas zu sagen, so fahre ich fort: »Aber das ist nicht alles.«

»Was sollte denn sonst noch sein?«

Ich zögere einen Moment und sage dann: »Da ist auch noch unser Freund Sarhan al-Buheri.« Sie wird rot und senkt den Blick. Voller Mitgefühl versuche ich, auf sie einzuwirken: »Daß du dich weiterbilden willst, ist eine gute Idee, Sarhan aber…«

Ich zögere, so fragt sie: »Was ist mit ihm?«

»Diese ehrgeizigen jungen Männer!«

»Wir stammen alle von Adam und Eva ab!« entgegnet sie ärgerlich.

»Das ist richtig, aber…«

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41

Sure 28 (»Die Erzählung«), Verse 1-6