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»Die Welt ist doch anders geworden!«

»Die Welt ist anders geworden, aber sie haben sich bis jetzt nicht geändert!«

Sie schaut nachdenklich vor sich hin und erzählt dann von ihren Plänen: »Wenn ich lesen und schreiben kann, lerne ich ein Handwerk, zum Beispiel Schneidern!«

Weil ich befurchte, daß ich zuviel gesagt, sie verletzt habe, frage ich: »Liebt er dich denn wirklich?«

Sie nickt bejahend mit dem Kopf, so sage ich: »Dann möge Gott dich beschützen und glücklich machen!«

Ich helfe ihr gelegentlich bei ihren ersten Schritten in dieser unbekannten Welt, der Welt der Buchstaben und Zahlen. Alle haben von ihrem Entschluß erfahren und ihn lange debattiert, aber niemand macht sich über sie lustig. Jedenfalls nicht in ihrer Gegenwart. Ich glaube, alle mögen sie, jeder auf seine Weise.

Tolba Marzuq verfolgt den Fall, denn ihm bleibt keins ihrer Geheimnisse verborgen. Er stellt mir die Frage: »Was wäre eigentlich die beste Lösung für Zuchras Problem? Daß sich eines Tages noch ein Filmproduzent bei uns einmietet? Was meinen Sie dazu?«

Blöder Kerl!

Als ich eines Nachmittags wie gewohnt zu unserem Beisammensein im Entree gehen will, sehe ich Zuchra neben einem fremden Mädchen auf dem Kanapee sitzen. Ich erkenne auf den ersten Blick, daß es die Lehrerin sein muß. Ein hübsches Mädchen vom Lande. Sie beehrt uns mit ihrer Gegenwart, weil sie Besuch in ihrer Wohnung hat. Madame hat sie, wie es ihre Art ist, bereits ausgefragt und einiges in Erfahrung gebracht, was sie wissen wollte. Sie berichtet, daß sie bei ihren Eltern wohne und daß sie einen Bruder habe, der in Saudi-Arabien arbeite. Die Lehrerin erscheint nun öfter in der Pension und ist stets des Lobes voll über den Fleiß ihrer Schülerin.

Einmal, als Zuchra mir den Nachmittagskaffee bringt, fällt mir auf, daß sie düster dreinblickt. Ich frage sie, wie es ihr geht, da antwortet sie matt: »Ich bin stark wie ein Pferd!«

»Und deine Lektionen?«

»Von der Seite gibt es nichts zu klagen.«

»So bleibt nur unser Freund al-Buheri«, meine ich beunruhigt. Wir schweigen eine Weile, als lauschten wir dem strömenden Regen, dann sage ich: »Ich ertrage es nicht, dich traurig zu sehen.«

»Das glaube ich Ihnen«, sagt sie dankbar.

»Was ist denn passiert?«

»Das Glück läßt mich im Stich.«

»Ich habe dir vorn ersten Tag an gesagt…«

»Die Angelegenheit ist nicht so einfach, wie Sie meinen.« Dann schaut sie mich niedergeschlagen an und fragt voll innerer Erregung: »Was soll ich tun? Ich liebe ihn doch! Was soll ich nur tun?«

»Ist dir klar geworden, daß er lügt?«

»Nein, er liebt mich wirklich. Aber er redet immer von Hindernissen.«

»Ein Mann, der eine Frau liebt…«

»Er liebt mich«, sagt sie nachdrücklich, »aber er redet immer von Hindernissen.«

»Für die kannst du doch nichts«, sage ich zärtlich. »Jedoch mußt du deinen Weg selbst wissen.«

»Was nützt es mir zu wissen, was ich tun muß, wenn ich es nicht tun kann!« wendet sie ein.

»Exzellenz, wie konnten Sie es übers Herz bringen…«

»Ich hatte zwischen zwei Dingen zu wählen«, unterbrach er mich, »entweder eine Anleihe bei der Agro-Kredit-Bank aufzunehmen und gleichzeitig auf deren Wunsch bekannt zu geben, daß ich von nun an gegen die Wafd-Partei antrete, oder meinen finanziellen Ruin zu erklären.«

»Viele hätten aber sicher das letztere vorgezogen!«

»Schweigen Sie!« schrie er wütend. »Sie besitzen keine Handbreit Land, haben weder Sohn noch Tochter! Ich wurde geschlagen und in die Qasr-al-Nil-Kaserne gesperrt. Aber meine Tochter ist mir lieber als alles auf der Welt!«

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»Kommen Sie mit mir!« flüstert Madame mir zu, »Zuchras Familie ist da!«

Ich folge ihr ins Entree und sehe Zuchras Schwester und ihren Mann dort sitzen. Das Mädchen steht mitten im Raum und blickt sie hart und unnachgiebig an.

»Es ist gut, daß du zu Madame gegangen bist«, sagt der Mann, »aber daß du geflohen bist, ist eine Schande!«

»Du hast uns in ganz al-Zijadijja bloß gestellt!« fügt ihre Schwester hinzu.

Zuchra entgegnet in heftigem Zorn: »Ich bin frei, und niemand hat das Recht, sich in meine Angelegenheiten zu mischen.«

»Wenn dein Großvater hätte reisen können…«

»Nach dem Tod meines Vaters habe ich niemanden mehr, der für mich da ist und dem ich Rechenschaft schuldig wäre!«

»Pfui! Ist er denn so ein schlechter Mensch, weil er dich mit einem anständigen Mann verheiraten wollte?«

»Er wollte mich verkaufen…«

»Gott verzeihe dir! Komm jetzt mit uns!«

»Ich gehe nicht mehr zurück, und wenn die Welt untergeht!« Ihr Schwager will etwas sagen, aber sie kommt ihm zuvor: »Du hast mir überhaupt nichts zu befehlen!«

»Ich führe hier ein anständiges Leben, ich lebe von meiner Hände Arbeit!« betont sie und weist auf Madame.

Ich habe den Eindruck, als wollten sie ihr offen ihre Meinung über Madame, die Pension und das Bild der Jungfrau sagen. Doch können sie das nicht in Gegenwart von Madame.

»Zuchra ist die Tochter eines Mannes, den ich verehrt habe«, greift Madame ein. »Ich behandle sie wie meine Tochter. Wenn sie hierbleiben will, so ist sie mir herzlich willkommen!«

Madame sieht mich auffordernd an, so bitte ich: »Denk nach, Zuchra, und triff deine Wahl!«

Aber sie bleibt hartnäckig: »Ich werde nicht zurückkehren, und wenn die Welt untergeht!«

Die Reise endet also mit einem Mißerfolg. Als der Mann mit seiner Frau hinausgeht, sagt er zu Zuchra: »Du hättest den Tod verdient!«

Wir debattieren über das Ganze. Dann fordert mich Zuchra auf: »Sagen Sie mir offen Ihre Meinung!«

»Ich wünschte, daß du in dein Dorf zurückgingest.«

»In die Schande soll ich zurückgehen?«

»Ich habe gesagt: >Ich wünschte<, Zuchra. Mein Wunsch wäre, daß du zurückgehst und dadurch glücklich wirst.«

»Ich liebe meinen Boden und das Dorf, aber Elend mag ich nicht!«

Als Madame hinausgeht, um irgend etwas zu erledigen, nutzt sie die Gelegenheit und sagt traurig: »Sehen Sie, hier ist die Liebe, die Möglichkeit, etwas zu lernen, hier sind Sauberkeit und Hoffnung!«

Ich verstehe ihre Traurigkeit. Wie sie war ich mit meinem Vater aus dem Dorf geflohen. Wie sie hatte ich das Dorf geliebt, aber das Leben dort als beengend empfunden. Dann bildete ich mich weiter, wie sie es tun will. Wie sie wurde ich grundlos beschuldigt, auch mir wurde von einigen Leuten gesagt, ich verdiene den Tod. Wie sie faszinierten mich die Liebe, die Möglichkeit, etwas zu lernen, die Sauberkeit und die Hoffnung.

Ich bitte zu Gott, daß er dich glücklicher werden läßt als mich, Zuchra.

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Der Herbst neigt sich seinem Ende zu, aber in Alexandria macht das Wetter, was es will. Es beglückt uns mit einem strahlenden warmen Morgen, und der Ramlah-Platz erfreut sich der Sonnenstrahlen unter einem klarblauen Himmel. Machmud Abul-Abbas[42], der Zeitungsverkäufer, lächelt mir zu, als ich vor seiner Auslage mit den bunten Umschlägen von Zeitschriften und Büchern stehe.

Er lächelt mir zu und sagt: »Mein sehr verehrter Herr!« In der Annahme, er habe sich verrechnet, sehe ich ihn fragend an, wie er da hochgewachsen und hübsch vor mir steht.

»Mein verehrter Herr, Sie wohnen in der Pension Miramar?« will er von mir wissen. Bejahend nicke ich mit dem Kopf. Er fragt weiter: »Entschuldigen Sie, gibt es in dieser Pension nicht ein Mädchen namens Zuchra?« Plötzlich interessiert, antworte ich: »Ja.«

»Wo sind ihre Angehörigen?«

»Aber warum fragen Sie?«

»Entschuldigung, ich möchte um ihre Hand anhalten.«

Ich denke kurz nach und sage dann: »Ihre Angehörigen sind im Rif, und ich glaube, sie versteht sich nicht mit ihnen. Haben Sie sie selbst schon ins Vertrauen gezogen?«

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42

Abul-Abbas al-Mursi: (gest. 13. Jh.), Lokalheiliger von Alexandria, gilt als Patron der Fischer und Seeleute.