»Sie kommt manchmal und holt Zeitungen, aber sie ermutigt mich nicht gerade.«
Noch am selben Abend sucht er Madame auf und hält um Zuchras Hand an. Madame fragt Zuchra, nachdem er gegangen ist. Aber sie weist ihn sofort und ohne nachzudenken zurück.
Als Mariana uns — mir und Tolba — die Geschichte erzählt, wirft ihr der Mann vor: »Sie haben sie verdorben, Madame. Sie haben aus ihr ein adrettes Mädchen gemacht und ihr Ihre Kleider angezogen. Jetzt hat sie hier Umgang mit hervorragenden jungen Männern und bekommt Flausen im Kopf. Das wird ein böses Ende geben!«
Als sie mir den Nachmittagskaffee bringt und wir wie jeden Tag miteinander allein sind, sprechen wir über die Angelegenheit.
»Du hättest darüber nachdenken sollen!« ermahne ich sie im nachhinein.
»Aber Sie wissen doch alles!« protestiert sie.
»Es schadet nie, wenn man etwas bedenkt und sich mit jemandem berät.«
»Sie denken, ich stehe so tief, daß ich nicht nach Höherem schauen darf!« tadelt sie mich.
Ich mache eine abwehrende Handbewegung. »Ich halte ihn ganz einfach für einen geeigneten Ehemann.«
»Mit ihm würde ich ein Leben führen genau wie auf dem Dorf, vor dem ich geflohen bin.«
Mir gefällt ihr Argument nicht, aber sie fährt fort: »Ich habe einmal gehört, wie er sich mit einem Freund unterhielt, ohne daß er mich sah. Er sagte, daß Frauen zwar unterschiedlich sind, aber doch in einem übereinstimmen. Jede Frau sei ein anmutiges Tier ohne Verstand und Religion. Das einzige Mittel, sie zu zähmen, seien Fußtritte.« Sie sieht mich herausfordernd an.» Ist es denn eine Schande, wenn ich mir ein Leben wünsche, in dem ich geachtet werde?«
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Obwohl ich mein Bedauern geäußert habe, fühle ich eine grenzenlose Hochachtung für sie. Ich werde dich nicht mit Altweiberweisheiten belästigen. Saad Zaghlul hörte sich zwar die Ratschläge der alten Männer durchaus an, aber er folgte meistens den Meinungen der jungen. Gott beschütze dich, Zuchra!
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»Es geschehen wichtige Dinge um Sie herum, und Sie wissen nichts davon, Alter!« sagt Tolba Marzuq und lächelt boshaft. Wir sitzen allein im Entree. Nur der unaufhörlich strömende Regen leistet uns Gesellschaft.
»Was ist passiert?« frage ich, schlimme Nachrichten erwartend.
»Der Don Juan von al-Buhera bereitet im verborgenen einen Umsturz vor.«
Die Angelegenheit interessiert mich, weil sie mit Zuchra zu tun hat, so frage ich ihn, was er meint.
»Er hat nicht mehr das alte Ziel. Er steuert jetzt geradewegs auf ein neues zu.«
»Sprechen Sie deutlicher und ohne Schadenfreude!«
»Gut, jetzt ist die Ustasa[43] an der Reihe.«
»Die Lehrerin meinen Sie?«
»Genau! Ich habe beobachtet, wie sie Blicke miteinander tauschten, und Sie wissen ja, daß ich langjährige Erfahrungen mit dieser Art der Verständigung habe.«
»Was sind Sie doch für ein Mann! Ständig nehmen Sie Ihre bösen Gedanken für die Realität!«
»Papa Amir«, spottet er schadenfroh, »ich fordere Sie auf, sich das artigste aller Dramen im Miramar nicht entgehen zu lassen!«
Ich entschließe mich, ihm keinen Glauben zu schenken, bin aber doch voller Unruhe. Da erzählt uns Husni Allam am selben Tag von einer Auseinandersetzung, die es zwischen Sarhan al-Buheri und Machmud Abul-Abbas, dem Zeitungsverkäufer am Ramlah-Platz, gegeben habe. Ich ahne, was dahintersteckt, aber was daraus geworden ist, übersteigt meine Vorstellungskraft.
»Sie schlugen so aufeinander ein, daß Passanten eingreifen mußten«, berichtet Husni.
»Haben Sie die Prügelei beobachtet?« fragt ihn Tolba Marzuq. »Nein, ich habe unmittelbar danach erfahren, was geschehen ist.«
»Wurde die Polizei gerufen?« erkundigt sich Madame teilnahmsvoll. »Nein, es endete mit einer Flut von Beschimpfungen und Drohungen.« Sarhan erwähnt den Vorfall nicht, und wir vermeiden es, davon zu reden. Mir fällt wieder ein, was Tolba von Sarhan und der Lehrerin erzählt hat, da packen mich Kummer und Sorgen.
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»Treue kennt der Seemann kaum — gebt, Augen, meinen Träumen Raum!«
Wir hatten so laut geklatscht und gerufen, daß er es wieder und wieder sang, sang bis zum Morgengrauen. Damals war ich jung, voller Kraft, aß gut und trank viel. Aber mein Herz litt unter der Last seines Kummers.
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Ich träume vom Tod meines Vaters.
Erst gegen Morgen bin ich in Schlaf gesunken. Ich sehe, wie sie ihn aus dem Säulengang der Abul-Abbas-Moschee tragen, wo ihn der Tod ereilt hat. Dann bringen sie ihn nach Hause. Ich weine. Der Aufschrei meiner Mutter klingt mir im Ohr. Ich höre ihn immer noch, als ich die Augen öffne.
O Gott, was geschieht da draußen? Ist es wie beim letzten Mal? Die Pension Miramar hat sich in eine Arena verwandelt. Aber als ich aus meinem Zimmer trete, ist alles vorbei. Mariana sieht mich und kommt zu mir, als suche sie bei mir Hilfe.
Wir gehen in mein Zimmer, und sie ruft: »Das geht zu weit, das geht zu weit, ab mit ihnen allen in die Hölle!«
Ich sehe sie schlaftrunken an, und sie erzählt mir die neue Geschichte. Sie sei von lautem Gezänk aufgewacht, habe ihr Zimmer verlassen und gesehen, wie draußen Husni Allam und Sarhan al-Buheri aufeinander einprügelten. »Husni Allam?«
»Ja. Warum nicht? Es muß doch hier jeder sein Stück von der allgemeinen Tollheit abbekommen!«
»Aber aus welchem Grund?« frage ich verärgert.
»Tja, dafür müssen Sie einen Schritt zurückgehen, bis zu einem Vorfall, den ich auch nicht miterlebt habe, weil ich schlief wir ihr alle.«
»Und sie?«
»Zuchra sagt, Husni Allam sei betrunken von draußen hereingekommen und habe versucht…«
»Nein!«
»Ich glaube ihr, Monsieur Amir.«
»Ich auch, aber bei Husni war nie zu beobachten, daß er…«
»Wir können die Augen nicht überall haben! Sarhan wachte im rechten Moment auf, und dann geschah es.«
»Wie bedauerlich!«
Sie streicht sich über den Hals, als wolle sie ihre vom vielen Schreien schmerzenden Stimmbänder beruhigen, und sagt dann: »Das geht zu weit…, sollen sie alle zur Hölle fahren!«
»Jedenfalls Husni Allam!« schränke ich ärgerlich ein.
Sie sagt nichts dazu, ereifert sich auch nicht mehr, sondern verläßt mürrisch das Zimmer.
Als Zuchra am nächsten Nachmittag zu mir kommt, blicken wir uns vielsagend an.
Ich murmle: »Es tut mir sehr leid, Zuchra!«
»Das sind Männer ohne jeden Anstand!« entgegnet sie zornig.
»Dies ist aber auch nicht der richtige Platz für dich!«
»Ich habe mich noch immer meiner Haut wehren können, und das habe ich diesmal auch getan!«
»Aber das ist nicht das ruhige Leben, das man einem lieben Mädchen wie dir wünscht!«
»Mistkerle gibt es überall«, widerspricht sie, »auch auf dem Dorf.«
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Nach Tagen verlasse ich wieder die Pension, eine beißende Kälte, tosende Stürme und heftige Regenfälle haben mich in ihr gefangengehalten. Es waren scheußliche Tage. Wir hatten uns in die Zimmer verkrochen, aber auch in unseren Schneckenhäusern ließ uns das Wetter keine Ruhe. Regen peitschte gegen die Fenster, die Wände erzitterten unter den Schlägen des Donners, Blitze flammten auf wie Warnsignale, der Sturmheulte unheimlich wie böse Geister.
Als ich die Pension verlasse, empfängt mich das andere Gesicht Alexandrias, frei von Zorn, wieder sanftmütig geworden. Dankbar spüre ich die reinen, goldenen Sonnenstrahlen, blicke auf die Wellen, die unschuldig plätschern, während in den Himmel kleine Wölkchen gezeichnet sind, die sich gegenseitig zuzupusten scheinen. Ich setze mich ins Trianon, um einen Kaffee mit Milch zu trinken, so wie ich es früher mit Garabli Pascha, dem Scheich Gawisch[44] und Madame Lapraska tat, der einzigen Französin, die ich neben einem ganzen Schwarm von Frauen ausprobiert habe, die in die Milaja gehüllt waren. Tolba Marzuq setzt sich für eine Weile zu mir, dann geht er zur Halle des Windsor-Hotels[45], um sich dort mit einem alten Freund zu treffen.
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