»Amir Bey, legen Sie doch bitte ein gutes Wort für mich bei seiner Exzellenz, dem Pascha, ein!«[3]
»Exzellenz!« verwandte ich mich beim Pascha, »der Mann hat zwar nicht gerade hervorragende Zeugnisse, aber er hat seinen Sohn im Krieg verloren, und man sollte ihn deswegen für den Bezirk kandidieren lassen.« Er stimmte meinem Vorschlag zu, Gott gebe ihm dafür den schönsten Platz in seinem Paradies.
Er mochte mich und las meine Artikel mit aufrichtigem Interesse. Einmal sagte er zu mir: »Sie sind wirklich das Gewissen der Nation!« — er sprach es aber, Gott hab ihn selig, mit seinem Nuscheln so undeutlich aus, daß es sich anhörte wie: »Das Gebiß der Nation.« Einige ehemalige Kollegen von der Nationalen Partei hörten das, und immer, wenn sie mich sahen, rief mir einer zu: »Ein herzliches Willkommen dem Gebiß der Nation!«
Dennoch, es waren die Tage des Ruhms, des kämpferischen Geistes, die Tage des Heldentums.
Amir Wagdi war damals eine Persönlichkeit. Er war so einflußreich, daß Freunde zu ihm kamen, wenn es etwas zu bitten galt, Feinde ihn mieden, wo es etwas zu fürchten gab.
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Im Zimmer hänge ich meinen Erinnerungen nach, lese oder überlasse mich einem Schläfchen. Im Entree ist Gelegenheit, Radio zu hören und mit Mariana zu plaudern. Wenn ich eine andere Art des Zeitvertreibs suche, so ist im Erdgeschoß das Cafe Miramar. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß ich irgendwo jemanden treffe, den ich kenne oder der mich kennt, nicht einmal im Trianon.[4]
Die Freunde von früher sind nicht mehr da, diese Zeiten sind vorbei. Ich weiß, wie du im Winter bist, Alexandria. Bei Sonnenuntergang kehrst du deine Straßen und Plätze leer, und nur noch der Wind, der Regen und die Einsamkeit treiben ihr Spiel in ihnen. Aber in deinen Zimmern pflegt man trauliche Zwiegespräche und plaudert des Abends und nachts miteinander.
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»Dieser Greis, diese Mumie im schwarzen Anzug, ist wohl ein Überlebender der Arche Noah!«
Derjenige, den die Zeit, diese Komödiantin, zum Chefredakteur gemacht hatte, meinte: »Diese altarabische Rhetorik, die Sie verwenden, ist passe. Können Sie denn nicht im Stil des Düsenzeitalters schreiben?«
Düsenzeitalter! O du Marionette, die vor Fett und Dummheit birst! Die Feder wurde für Menschen erfunden, die Verstand und Geschmack besitzen, nicht für verrückte Randalierer, die als Dauergäste in Spielklubs und Nachtbars fungieren. Aber das Schicksal hat uns dazu verdammt, zeit unseres Lebens im Gefolge von Kollegen zu arbeiten, die neu sind im Gewerbe. Sie haben ihr Wissen im Zirkus aufgeschnappt und sind nun in die Redaktionen eingefallen, um in der Rolle von Seiltänzern zu brillieren.
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Ich saß im Morgenmantel im Sessel, während Mariana es sich auf dem schwarzen Kanapee bequem gemacht hatte. Aus dem Radio erklang Tanzmusik von einem französischen Sender. Ich hätte lieber etwas anderes gehört, aber ich wollte sie nicht stören. Sie hielt die Augen geschlossen, als ob sie träume, und wiegte den Kopf im Takt wie früher.
»Wir waren Freunde und sind es noch immer, meine Liebe.«
»Ein ganzes Leben lang.«
»Aber wir haben uns nicht ein einziges Mal geliebt.« Sie lachte auf und sagte dann: »Sie haben doch einen Hang zur Provinz, bestreiten Sie es nicht!«
»Bis auf ein einziges Mal, erinnern Sie sich noch?« Diesmal lachte sie lange und bestätigte dann: »Ja, einmal kamen Sie mit einer Khawagijja[5], und ich habe von Ihnen verlangt, daß Sie sich als >Amir Wagdi und Frau< eintrügen.«
»Noch etwas anderes hat mich Ihnen fern gehalten: Sie waren eine Luxusfrau. Das Monopol auf Sie hatten die Spitzen der Gesellschaft.«
Sie strahlte in vollkommenem Glück. Mariana, für mich ist es sehr wichtig, daß du mich überlebst, und sei es nur um einen einzigen Tag, damit ich mir nicht noch eine andere Bleibe suchen muß. Mariana, du bist ein lebendiges Zeugnis dafür, daß die Vergangenheit keine Einbildung ist, von der Zeit des Imams Mohammed Abduh[6] bis heute.
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»Leben Sie wohl, Ustas!«
Er warf mir einen verdrießlichen Blick zu, denn er ärgerte sich jedesmal, wenn er mich sah.
»Es ist an der Zeit, daß ich mich verabschiede!« fuhr ich fort.
»Ein schwerer Verlust für mich«, sagte er und verbarg seine Erleichterung, »aber ich wünsche Ihnen alles Gute!«
Damit war alles zu Ende. Eine Seite der Geschichte wurde umgeschlagen, ohne ein Abschiedswort, geschweige denn eine ehrende Abschiedsfeier oder vielleicht auch nur eine kleine Meldung im Stil des Düscnzeitalters. O ihr Feiglinge, ihr Patrioten, habt ihr keine Helden außer Fußballspielern?
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Ich schaute sie unverwandt an, wie sie da unter dem Jungfrauenbild saß, und sagte dann: »Nicht einmal die schöne Helena in ihrer besten Zeit war so attraktiv!«
»Bevor Sie kamen, saß ich hier immer allein«, lachte sie, »ich erwartete niemanden mehr, war ständig von einer Nierenkolik bedroht.«
»Das kommt hoffentlich so bald nicht wieder! Aber was ist aus Ihren Leuten geworden?«
»Sie sind alle ausgewandert«, seufzte sie, verzog den faltigen Mund und fuhr dann fort: »Ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte. Athen habe ich niemals in meinem Leben gesehen. Ich bin hier geboren. Die kleinen Pensionen werden jedenfalls nicht verstaatlicht.«
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Wahrhaftigkeit der Rede, Hingabe zur Arbeit und Zuneigung unter den Menschen anstelle von Gesetzen — dafür stehe ich ein… Wie gut hast du damals gesprochen! Gott hat dich geehrt, daß er dich zur rechten Zeit sterben ließ und mit zwei Statuen zu deinem Andenken.
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»Ägypten ist doch Ihre Heimat, und Alexandria hat nicht seinesgleichen!«
Draußen heulte der Wind. Langsam senkte sich die Dunkelheit hernieder. Sie stand auf und zündete drei Kerzen eines Kronleuchters an, der unten in eine Art Weintraube auslief. Dann ging sie wieder zu ihrem Platz zurück und sagte: »Ich war eine Dame, eine wirkliche Dame.«
»Sie sind heute noch eine Dame, meine Liebe.«
»Trinken Sie noch wie in früheren Zeiten?«
»Ein Gläschen am Abend. Ich nehme nur noch ganz leichte Kost zu mir. Darum bin ich trotz meines hohen Alters noch so rüstig.«
»Oh, Monsieur Amir. Sie sagten, Alexandria habe nicht seinesgleichen. Nein, die Stadt ist nicht mehr so, wie wir sie früher kannten. Heute sieht man hier den Abfall auf den Straßen liegen.«
»Meine Liebe«, erklärte ich mitfühlend, »sie muß eben ihren eigentlichen Bewohnern wiedergegeben werden!«
»Aber wir sind es, die sie geschaffen haben!« protestierte sie erregt.
»Liebe Mariana, trinken Sie denn wie in früheren Zeiten?«
»Nein, nicht ein einziges Glas mehr. Ich leide unter Bluthochdruck wegen meiner Nieren.«
»Am besten wäre, man stellte uns nebeneinander ins Museum. Aber versprechen Sie mir bitte, daß Sie nicht vor mir sterben!«
»Monsieur Amir, die erste Revolution hat mir meinen ersten Mann genommen, die zweite hat mich um mein Geld und meine Leute gebracht. Warum das alles?«
»Sie leben doch, Gott sei Dank, in gesicherten materiellen Verhältnissen, und heute sind wir Ihre Leute. Dergleichen passiert in der Welt jeden Tag von neuem.«
»Was ist das nur für eine Welt!«
»Wollen wir nicht von dem französischen auf einen arabischen Sender umstellen?«
»Nur an dem Abend, wo die Lieder von Umm Kulthum[7] gespielt werden. Sonst gibt es für mich keinen anderen Sender!«
»Wie Sie wünschen, meine Liebe.«
»Sagen Sie mir doch, warum quälen Menschen sich gegenseitig? Und warum werden wir immer älter?«
3
4
6