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Ich lachte, ohne etwas darauf zu antworten. Dann ließ ich den Blick über die Wände schweifen, auf die Marianas Vergangenheit ihre Spuren gezeichnet hatte. Da hing das Bild des Kapitäns in Uniform mit hoher Mütze und dickem Schnurrbart, ihr erster Mann, vielleicht auch ihr erster und letzter Geliebter, der in der Revolution von 1919[8] getötet worden war. An der gegenüberliegenden Wand über dem Schreibtisch das Bild ihrer alten Mutter. Sie war Lehrerin gewesen. Im Blickfeld im Saal hinter dem Wandschirm hing das Foto ihres zweiten Mannes, des Kaviarkönigs und Besitzers des Ibrahimijja-Palais[9]. Er hatte eines Tages Bankrott gemacht und Selbstmord begangen.

»Wann haben Sie eigentlich die Pension eröffnet?«

»Fragen Sie mich bitte lieber, wann ich sie eröffnen mußte!«

»Im Jahre 1925«, sagte sie dann.

Im Jahr des Unglücks und der Ärgernisse.[10]

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»Da sitze ich wie ein Gefangener im eigenen Hause, und dem König werden die Unterstützungsschreiben zugesandt!«

»Das ist doch alles nur Lüge und Erfindung, Exzellenz.«

»Und ich dachte immer, die Revolution hätte die Menschen von ihren Schwächen geläutert.«

»Die Substanz ist Gott sei Dank immer noch in Ordnung. Ich lese Ihnen den Artikel von morgen vor, Euer Gnaden.«

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Sie rieb sich das Gesicht mit Zitronensaft ein und sagte: »Ich war eine Dame, Monsieur Amir. Ich liebte das süße Leben, liebte Licht und Pracht und Luxus, liebte elegante Kleider und vornehme Salons. Ich überstrahlte alle anderen Gäste wie die Sonne.«

»Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.«

»Aber Sie haben nur die Pensionsinhaberin kennengelernt.«

»Auch sie leuchtete wie die Sonne.«

»Die Gäste waren vornehme Leute, aber das war kein Trost für meinen sozialen Abstieg.«

»Sie sind immer noch eine richtige Dame!«

Sie nickte mit dem Kopf und fragte dann: »Und Ihre Freunde von früher, was ist aus ihnen geworden?«

»Was das Schicksal über sie verhängt hat.«

»Warum haben Sie nicht geheiratet, Monsieur Amir?«

»Ich hatte Pech. Hätten wir wenigstens Kinder!«

»Oh…, keiner meiner beiden Ehemänner war fähig, ein Kind zu zeugen!«

Ich bin ziemlich sicher, daß du diejenige bist, die nicht fähig war, ein Kind zu bekommen. Das ist schon deswegen bedauerlich, weil wir nur in der Welt sind, um Kinder in sie zu setzen.

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Jenes große Haus, das später in ein Hotel umgewandelt wurde und das jedem, der über den Gaafar-Khan[11] geht, wie eine alte Festung vorkommt, sein alter Hof, durch den dann ein Weg zum Khan al-Khalili[12] angelegt wurde, sie sind eingemeißelt in meinem Herzen, sie und die alten Häuser darum herum und der uralte Club. Sie prägen meine Erinnerung an den Rausch der ersten Liebe, die zur Hoffnungslosigkeit verurteilt war. Der Turban und der weiße Bart und harte Lippen, die »Nein« sagten, die in blindem Fanatismus das Todesurteil über die Liebe verhängten, über die Liebe, die Millionen Jahre vor jeder Religion auf diese Welt kam.

»Maulaja[13], ich möchte nach dem Brauch Gottes und seines Gesandten ein Mitglied Eurer Familie werden.«

Er schwieg. Eine Tasse Kaffee stand unberührt zwischen uns. Ich fuhr fort: »Ich bin Journalist, habe einiges Vermögen, bin der Sohn eines Scheichs, der Diener in der Moschee unseres Herrn Abul Abbas al-Mursi war.«

»Gott erbarme sich seiner«, entgegnete er, »er war ein frommer, gottesfürchtiger Mann.« Die Gebetskette fest umklammernd, fuhr er fort: »Mein Sohn, du warst einer von uns. Du warst eine Zeitlang Stipendiat der Azhar[14].« Wann würde das jemals vergessen sein, diese alte Geschichte!

»Dann wurdest du von der Azhar gewiesen. Du erinnerst dich?«

»Maulaja, das ist doch längst vorbei. Damals konnte man wegen der geringsten Lappalie verwiesen werden. Wenn sich zum Beispiel einer in jugendlichem Temperament dazu verleiten ließ, einmal abends auf das Podium eines Musikanten zu steigen. Es reichte auch, eine freimütige Frage zu stellen.«

»Kluge Leute haben ihn dann verurteilt, weil er abscheulicher Dinge bezichtigt wurde«, sagte er eisig.

»Maulaja, wer kann einen Menschen der Ketzerei bezichtigen, wo doch niemand als Gott das menschliche Herz kennt?«

»Das kann der sehr wohl, dem Gott die rechte Leitung zuteil werdenläßt!«

Verdammt, wer will von sich behaupten, daß er sich im Glauben wirklich auskennt? Gott hat sich den Propheten offenbart, wir aber sind solcher Offenbarungen weitaus bedürftiger als sie. Denn wenn wir tastend nach dem rechten Platz in dem großen Haus suchen, das man die Welt nennt, muß uns der Schwindel befallen.

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Wir wollen uns vor Trägheit hüten. An einem sonnigen Morgen spazierenzugehen, ist erquicklich. Wie schön sind die warmen Tage im Palma[15] und im Pelikan! Selbst wenn du ganz allein zwischen mehreren Generationen einer Familie sitzt. Der Vater liest die Zeitung, die Mutter stickt, und die Söhne spielen. Wenn doch einfallsreiche Leute für Alleinstehende ein Gerät erfunden hätten, das sich mit ihnen unterhält, oder einen Roboter, der mit ihnen Tricktrack spielt. Oder wenn man ihnen neue Augen einsetzte, mit denen sie sich noch einmal in die Blumen dieser Erde und in alle Farben des Himmels verlieben könnten!

Wir lebten ein langes Leben voller Ereignisse und Gedanken. Mehr als einmal wollten wir sie in Tagebüchern aufzeichnen, wie es unser alter Freund Achmed Schafiq Pascha[16] getan hat. Aber wir haben diesen Vorsatz nie in die Tat umgesetzt, und dann verlor er sich irgendwo zwischen dem Aufschieben und dem Hoffen auf später. Heute ist von diesem alten Vorsatz nur noch die Wehmut über das geblieben, was nun endgültig verloren ist, denn meine Hand ist zittrig geworden, mein Gedächtnis schwach, meine Kräfte sind geschwunden. Heimgegangen zur ewigen Ruhe sind für mich heute meine Erinnerungen an die Azhar, ist meine Freundschaft mit dem Scheich Ali Machmud, mit Zakarija Achmed und Sajjid Darwisch[17], ist die Volks-Partei mit dem, was mir an ihr gefiel und was mich an ihr störte, ist die Nationale Partei mit ihren Aufschwüngen und ihren Torheiten, ist die Wafd-Partei[18] mit ihrem die Zeit überdauernden internationalen revolutionären Denken, ist das Parteiengezänk, das mich im Schneckenhaus kühler, wirkungsloser Neutralität Zuflucht suchen ließ, sind die Muslimbrüder, die ich nicht mochte, die Kommunisten, die ich nicht verstand, ist die Revolution mit ihrer Tragweite und ihrer Absorptionsfähigkeit für alle politischen Strömungen, die es vorher gab, vorbei sind auch meine Liebesabenteuer und die Mohammed-Ali-Straße[19] mit ihren Lokalen, ist schließlich gar mein Widerwille gegen die Ehe. Wenn meinen Erinnerungen beschieden gewesen wäre, niedergeschrieben zu werden, es wären wirklich Denkwürdigkeiten.

Voller Wehmut ging ich zum Atheneus, zu Pastroudis und in den Antoniadis-Garten[20]. Ich setzte mich eine Weile in die Halle des Windsor- und des Cecil-Hotels, wo sich in früheren Zeiten die Paschas und die ausländischen Spitze trafen, damals der beste Platz, um Neuigkeiten zu hören und Ereignisse zu verfolgen. Aber ich sah nur wenige Ausländer, Orientalen sowohl als Europäer. Als ich zurückkam, erfüllten mich zwei Gebete zu Gott, das eine, daß er mir gnädig bestimmen möge, meine Glaubensprobleme zu lösen, und das andere, daß er mir keine Krankheit schicken möge, die mir die Fähigkeit nahm, mich zu bewegen, ohne daß ich jemanden fände, der mich dann an der Hand führte.

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8

Revolution von 1919: Breite antibritische Erhebung, nachdem die Engländer Demonstrationen in Kairo und anderen großen Städten unterdrückt, Saad Zaghlul als Führer der Nationalbewegung inhaftiert und exiliert hatten.

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9

Ibrahimijja: Badestrand im Westen Alexandrias.

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10

Ereignisse von 1925: Bei den Wahlen im März 1925 nach der Auflösung des Parlaments durch königliches Dekret im Dezember 1924 gewann die Wafd-Partei. Doch löste der Premierminister Achmed Ziwar Pascha das Parlament auf.

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11

Khan Gaafar: Straße in al-Gamalijja in Altkairo.

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12

Khan al-Khalili: Bedeutendster Markt traditionellen Stils im Zentrum von Kairo.

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13

Maulaja: Anrede an einen islamischen religiösen Würdenträger.

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14

al-Azhar: 988 in Kairo gegründete islamische Hochschule, bis heute bedeutend.

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15

Palma: Gartenrestaurant am Machmudijya-Kanal im Süden Alexandrias.

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16

Achmed Schafiq: (1860-1940) schrieb mit seinen Memoiren 1934/6 eine Geschichte der Wafd-Partei.

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17

Ali Machmud: (1902-1949), zu seiner Zeit berühmter Koranrezitator.

Zakarija Achmed: (1890-1961), bekannter ägyptischer Komponist.

Sajjid Darwisch: (1893-1923), berühmter Sänger arabischer Musik in Ägypten.

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18

Volks-Partei: Im März 1907 als erste moderne politische Gruppierung Ägyptens gegründete Partei der säkularisierten, in Europa ausgebildeten Oberschicht, vertrat Ideen des britischen Liberalismus und Utilitarismus.

Nationale Partei: 1907 gegründete Partei, die eine türkisch-ägyptische Allianz gegen die Briten, auch panislamische Ideen vertrat. Ihre Rolle im ägyptischen Parlament bis 1952 war im Vergleich zum Wafd unbedeutend.

Wafd-Partei: Partei, die zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Sturz der Monarchie 1952 das politische Leben in Ägypten stark bestimmte. Vertrat zunächst die Interessen der progressiven Mittelschichten gegen die Briten, später die der Großbourgeoisie und Großgrundbesitzer.

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19

Mohammed-Ali-Straße: Im 19. Jahrhundert angelegte große Straße in Kairo, vom Platz al-Ataba al-Khadra zum Fuß der Zitadelle. War bekannt für ihre Amüsierlokale. Heute Scharia al-Qal'a.

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20

Atheneus: griechisches Restaurant in Alexandria.

Antoniadis-Garten: Park im Süden von Alexandria, früher Landsitz eines reichen Griechen.

Pastroudis: Griechisches Geschäft für Kuchen und Süß waren in Alexandria.