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Wie reizend war dieses Bild, das so viel Jugendlichkeit ausstrahlte: Sie stand mit dem linken Bein auf dem Boden, hatte das rechte Knie auf den Sitz gelegt und lehnte sich an die Stuhllehne, sich mit den Handgelenken aufstützend. Sichtlich stolz auf ihre Schönheit, lächelte sie in die Kamera. Der Ausschnitt des klassischen weiten Kleides gab den langen, schlanken Hals und ein marmorgleiches Dekollete frei.

Jetzt hatte sie ihren schwarzen Mantel angezogen und einen blauen Schal umgelegt. Sie wollte zum Arzt gehen, hatte sich aber noch einmal hingesetzt, denn es war noch zu früh, um loszugehen.

»Sagten Sie nicht, die Revolution hätte Sie um Ihr Vermögen gebracht?« fragte ich sie.

Sie hob die Augenbrauen hinter den Brillengläsern und fragte zurück: »Ja, haben Sie denn nicht von der Aktienkatastrophe damals gehört?« Vielleicht sah sie die Wißbegier in meinem Blick und konnte sich vorstellen, was mir durch den Kopf ging, denn sie erklärte: »Alles, was ich während des Zweiten Weltkrieges erworben hatte, ging damals verloren. Glauben Sie mir, ich habe es nur durch meinen Mut verdient, als ich nämlich beschloß, in Alexandria zu bleiben, während es die meisten anderen aus Furcht vor deutschen Angriffen verließen und nach Kairo oder aufs Land gingen. Ich strich einfach die Fensterscheiben blau an und zog die Vorhänge zu. Getanzt wurde bei Kerzenschein. Großzügiger und spendierfreudiger als damals die Offiziere des Empire ist gewiß niemand.«

Ich fand mich allein, nachdem sie fortgegangen war, und blickte ihrem ersten Mann in die Augen, so, wie er auch mich ansah. Wer mag dich wohl getötet haben und mit welcher Waffe? Wie viele von unserer Generation hast du umgebracht, bevor man dich umbrachte? Von unserer guten alten Generation, die so viele Opfer bringen mußte wie keine andere.

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Immer noch ertönte französische Musik. Was das Schicksal mir in meiner Einsamkeit zumutet, ist wirklich grausam. Mariana hatte ein heißes Bad genommen, als sie vom Arzt zurückkam. Jetzt saß sie da, in einen weißen Burnus gehüllt, das gefärbte Haar geflochten und mit Dutzenden von weißen Haarnadeln hochgesteckt.

Sie stellte das Radio auf Flüsterton, um selbst auf Sendung zu gehen, und fragte: »Monsieur Amir, Sie haben sicher viel Geld?«

»Warum, haben Sie irgendwelche Projekte?« fragte ich vorsichtig zurück.

»Nein, aber in Ihrem Alter — selbst in meinem, obwohl ich viel jünger bin als Sie — ist nichts so schlimm wie Armut und Krankheit.«

Immer noch vorsichtig, erklärte ich: »Ich habe in gesicherten materiellen Verhältnissen gelebt und hoffe, bis zu meinem Tod so leben zu können.«

»Ich kann mich nicht erinnern, daß Sie je das Geld mit vollen Händen ausgegeben hätten.«

Zögernd erwiderte ich: »Ich hoffe, daß meine Ersparnisse mich überleben.«

Sie winkte desinteressiert ab: »Der Arzt hat mir diesmal Mut gemacht, und ich habe ihm versprochen, mir keine Sorgen zu machen.«

»Es tut nicht gut, sich mit Sorgen zu belasten!«

»Wir wollen fröhlich sein und uns vergnügen, wenn die Silvesternacht kommt!«

»Ja!« gab ich lachend zurück, »so, wie es uns unsere Herzen erlauben.«

Sie wiegte genießerisch den Kopf und flüsterte vor sich hin: »O ihr Silvesternächte, wie schön ihr wart!«

»Sie wurden ja favorisiert von höchstrangigen Männern!« murmelte ich, in Erinnerungen versunken.

»Aber nur ein einziges Mal habe ich wahre Liebe erlebt.« Sie zeigte auf das Foto des Kapitäns und fuhr dann fort: »Einer von den Studenten, die ich heute bediene, hat ihn umgebracht.« Stolz betonte sie: »Es war eine Pension für vornehme Leute. Ich hatte einen Koch, einen Küchenjungen, einen Kellner, eine Waschfrau und zwei Stubendiener. Heute kommt nur noch einmal die Woche eine Waschfrau.«

»Viele aus der alten Oberschicht beneiden Sie darum, wie es Ihnen heute geht.«

»Aber ist das Gerechtigkeit, Monsieur Amir?«

»Jedenfalls ist es normal, Madame.«

Ich lachte begütigend, als ich sah, wie ihr Gesicht sich verfinsterte.

Der Allerbarmer lehrte dich

Den Koran zum Vortrage.

Den Menschen schuf er an dem Schöpfungstage,

Und lehrte ihn, was klar er sage.

Bahn halten Sonn' und Mond bei Nacht und Tage;

Und Stern und Baum sind in Anbetungslage.

Er hob den Himmel und setzt' ein die Waage.[21]

Ich las weiter in der Sure »Der Allerbarmer«, die ich liebte, seit ich auf der Azhar gewesen war. Ich hatte es mir in einem großen Sessel bequem gemacht und die Füße auf ein Kissen gelegt. Es regnete in Strömen. Die Wasserfluten klatschten auf die Stufen der Eisentreppe im Lichthof.

Was auf der Erd' ist, muß vergehn,

Und nur das Antlitz deines Herrn wird bestehn,

Das herrlich ist zu nennen.[22]

Plötzlich brachen von draußen Stimmen in die Stille. Ich hob den Kopf vom Koran und lauschte. War das ein Gast oder ein Neuankömmling? Marianas Stimme war von einer Herzlichkeit, die nur der Begrüßung eines guten, alten Freundes gelten konnte. Da wurde auch gelacht. Der harte Tonfall einer hohlen Stimme kristallisierte sich heraus. Wer konnte das sein? Es war später Nachmittag, und es regnete heftig. Die Wolken am Himmel tauchten das Zimmer in nächtliches Dunkel. Ich knipste die Lampe an, als durch die Jalousien hindurch das zuckende Licht eines Blitzes drang und das permanente Donnergrollen kurzzeitig besiegte.

Ihr Heer der Genien und Menschen,

Wenn ihr entrinnen könnt den Grenzen

Des Himmels und der Erd', entrinnt nur!

Ihr werdet ohne Vollmacht nicht entrinnen![23]

Er war ziemlich klein und dick, hatte Pausbacken, ein Doppelkinn und trotz seiner dunklen Gesichtsfarbe blaue Augen. Sein unverkennbar aristokratisches Gepräge ergab sich aus dem Stolz seines Schweigens, wenn er einmal schwieg, und den ausgewogenen, wohlbedachten Bewegungen seines Kopfes und seiner Hände, die seine Worte begleiteten, wenn er sprach.

Madame nannte mir am Abend seinen Namen: Tolba Bey Marzuq, und erklärte mir: »Er war stellvertretender Minister für religiöse Stiftungen und eine hochbedeutende Persönlichkeit.« Mehr brauchte sie mir nicht zu sagen, denn ich hatte ihn durch meinen Beruf während der Zeit der politischen und Parteienkämpfe von weitem kennengelernt. Er gehörte zu den Anhängern des Hofes und war so von Haus aus ein Feind der Wafd-Partei. Ich entsann mich auch, daß sein Besitz und Vermögen vor einem Jahr oder auch schon vor längerer Zeit sequestriert worden waren und daß man ihm seine Einkünfte bis auf einen festgesetzten Betrag genommen hatte. Madame zeigte sich so glücklich und gefühlvoll, wie sie nur konnte. Immer wieder pries sie ihre alte Freundschaft zu Tolba Bey. Ihre überströmende Begeisterung ging so weit, daß sie ihn als eine alte Liebe bezeichnete.

Als wir dann miteinander sprachen, sagte mir der Mann: »Ich habe früher viel von Ihnen gelesen.« Ich lachte vielsagend, und er lachte seinerseits: »Sie waren für mich ein Paradebeispiel für die Macht einer Rhetorik, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, Lappalien zu verteidigen.« Er brach in ein langes Gelächter aus, aber ich hatte keine Lust, mich mit ihm zu streiten.

Madame wandte sich schadenfroh an mich: »Tolba Bey ist ein alter Schüler der Jesuiten. Wir werden von jetzt an gemeinsam französische Schlager hören und Sie alleine leiden lassen.«

»Er ist gekommen, um bei uns zu wohnen«, sagte sie dann und streckte ihm beide Hände zum Willkommen entgegen. Ich hieß ihn meinerseits willkommen, und sie fuhr voller Bedauern fort: »Er besaß tausend Feddan[24] Land. Er konnte mit Geld nur so um sich werfen.«

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21

Die Übertragung folgt im wesentlichen der von Friedrich Rücken, bis auf die Verse der 24. Sure, die bei Rückert fehlen.

Sure 55 (»Der Allerbarmer«), Verse 1-8

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22

Sure 55 (»Der Allerbarmer«), Verse 25, 26

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23

Sure 55 (»Der Allerbarmer«), Vers 33

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24

Feddan: Flächenmaß, 0,42 ha.