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Der Mann ruft mir zu: »Was, Sie sitzen immer noch hier, Alter?«

Ich gähne überrascht und frage, wie spät es ist.

Mariana antwortet mit alkoholschwerer Zunge: »Es ist zwei Stunden nach Mitternacht!«

Da küßt der Mann sie und will sie in sein Zimmer schieben. Sie fügt sich ihm nach kaum nennenswertem Widerstand. Dann schließt sich die Tür hinter ihnen. Ich schaue ihnen nach und habe das Gefühl zu träumen.

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Wir sitzen am Frühstückstisch allein zusammen. Mariana ist noch nicht erschienen, während Zuchra gegangen ist, nachdem sie den Tisch gedeckt hat.

Ich sehe ihn an und finde, daß er mitgenommen, ja krank aussieht.

Scherzend rufe ich ihm zu: »Einen gesegneten Hochzeitsmorgen!«

Zunächst ignoriert er mich, dann murmelt er: »Sie müssen es gewesen sein, der mich verhext hat!«

Als ich ihn neugierig anschaue, muß er lachen und bekennt: »Es war ein Fiasko, blamabel und lächerlich gleichermaßen!«

»Wovon reden Sie?« frage ich, mich dumm stellend.

»Sie wissen genau, wovon ich rede, Sie Schlaumeier!«

»Von Mariana?«

Noch einmal muß er lachen, dann berichtet er: »Wir versuchten das Unmögliche, taten alles, was man sich nur vorstellen kann, aber ohne Erfolg. Als sie sich ausgezogen hatte, sah sie aus wie eine zerschmelzende Figur aus einem Wachsfigurenkabinett. Und ich war entsetzt.«

»Sie sind verrückt!«

»Dann bekam sie eine Nierenkolik. Stellen Sie sich das vor! Sie fing an zu weinen und beschuldigte mich, ich sei herzlos zu ihr.«

Nach dem Frühstück kommt er mit mir auf mein Zimmer, setzt sich auf einen Stuhl unmittelbar vor mich hin und erklärt: »Mir schwebt vor, demnächst nach Kuwait zu fliegen. Der Verstorbene erteilte mir ein Fetwa[67] darüber!«

»Der Verstorbene?«

»Sarhan al-Buheri!« Er lacht kurz auf und sagt dann ohne den geringsten äußeren Bezug zum Vorhergehenden: »Er wollte mich mit einer seltsamen Logik von der Revolution überzeugen!«

Da ich ihn fragend anschaue, fährt er fort: »Er versicherte mir, es gebe keinen Ersatz für die Revolution als entweder die Kommunisten oder die Muslimbrüder! Und glaubte, mich damit in die Enge getrieben zu haben.«

»Aber das ist vollkommen richtig«, bekräftige ich überzeugt.

Er lacht spöttisch und meint: »Nein, es gibt noch eine dritte Lösung!«

»Und die wäre?«

»Amerika!«

Zornig protestiere ich: »Amerika soll uns regieren!«

»Warum nicht?« entgegnet er mit verträumter Ruhe. »Über die liberale Rechte!«

Verärgert über seine Utopien, fordere ich ihn auf: »Gehen Sie lieber nach Kuwait, bevor Sie den Verstand verlieren!«

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Die Zeitungen liefern uns jetzt Nachrichten über das Verbrechen. Seltsame und widersprüchliche Nachrichten. Mansur Bahi hat zwar den Mord gestanden, aber er hat niemanden von seinem Motiv überzeugen können. Er hat gesagt, er habe Sarhan al-Buheri getötet, weil der — seiner Meinung nach — es verdiente, getötet zu werden. Und warum er es verdiente? Aufgrund niederträchtiger Eigenschaften und Verhaltensweisen, die jedoch nicht auf ihn beschränkt seien. Und warum er gerade ihn ausgewählt habe? Rein zufällig. Er hätte auch genausogut jemanden anders wählen können. So gab er zur Antwort. Wer hat sich davon schon überzeugen lassen! Hat der junge Mann den Verstand verloren? Oder gibt er vor, den Verstand verloren zu haben?

Der gerichtsmedizinische Bericht hat festgestellt, daß der Tod durch das Offnen der Schlagader des linken Arms mit einem Rasiermesser eingetreten sei, nicht durch Fußtritte, wie der vorgebliche Mörder gestanden hat. So ist es wahrscheinlich, daß der Tod durch Selbstmord erfolgt ist, nicht durch einen Mord.

Schließlich wird auch die Beziehung des Toten zu einem großangelegten Versuch, Garn zu schmuggeln, aufgedeckt. Das bestätigt den Selbstmordverdacht.

Wir fragen uns, welche Strafe Mansur Bahi wohl verdient. Ja, es kann wirklich nur eine leichte Strafe sein. Er wird sein Leben weiterleben können. Aber wie muß ihm ums Herz sein? Was wird er denken?

Traurig sage ich: »Er ist ein hervorragender junger Mann. Aber er leidet an einer uns unbekannten Krankheit. Er muß sich von ihr kurieren lassen!«

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Da steht Zuchra vor mir, wie ich sie bei der ersten Begegnung gesehen habe, aber viel trauriger. Die letzten Tage haben mehr zu ihrer Reifung beigetragen als all die Jahre vorher. Ich nehme ihr die Tasse aus der Hand und verberge meine Beklommenheit hinter einem Lächeln.

»Ich gehe morgen früh«, sagt sie, als sei das ganz natürlich.

Ich hatte versucht, Mariana dazu zu bewegen, ihre Meinung zu ändern, aber sie blieb hartnäckig. Andererseits hatte mir Zuchra gesagt, daß sie selbst dann nicht geblieben wäre, wenn Madame ihre Ansicht geändert hätte.

Wieder bekräftigt sie zuversichtlich: »Ich werde es besser haben, als ich es hier hatte!«

»Gott sei Dank!« entgegne ich herzlich.

Sie lächelt sanft und verspricht mir: »Ich werde Sie nie vergessen!«

Ich bedeute ihr, sie möge näher zu mir kommen, küsse sie dankbar auf die Wange und sage: »Ich danke dir, Zuchra!«

Dann flüstere ich ihr zu: »Du kannst sicher sein, daß deine Zeit hier nicht verloren war. Denn wer erkennt, wer nicht für ihn taugt, weiß wie durch ein Wunder, was für ihn richtig und wünschenswert ist!«

Wie immer, wenn ich erregt bin, flüchte ich mich zur Sure »Der Allerbarmer« und lese:

Der Allerbarmer lehrte dich

Den Koran zum Vortrage.

Den Menschen erschuf er

Und lehrte ihn die klare Sprache.

Sonne und Mond hieß er halten die Bahn.

Sterne und Bäume beten ihn an.

Er hob den Himmel und setzt ein die Waage,

Daß Ihr recht haltet das Gewicht

und nicht verkürzt die Waage!

Die Erde setzt er um des Menschen willen,

Fruchtbäume drauf und Palmen mit Fruchthüllen

Und Korn auf Halmen und duftende Basilien.

Ihr Menschen und Ihr Genien!

Welche Gnade Eures Herrn wollt Ihr verkennen?[68]

Aussprachebezeichnung

gh: am hinteren Gaumen gesprochenes abgeschliffenes g, dem Zäpfchen-r ähnlich

kh: wie ch im deutschen »Bach«

q: am hinteren Gaumen gesprochenes k

s: stimmloses s wie deutsches ß etwa in »saßen«

th: wie englisches stimmloses th etwa in »through«

z: stimmhaftes s wie im deutschen »Rose«

Rezensionen

Alexandria — die Stadt des Sonnenlichts, von Himmelswasser rein gewaschen, das Herz von Erinnerungen, voll der Süße des Honigs und der Bitternis von Tränen… In der Pension Miramar logieren Grandseigneurs und Playboys, abgesprungene Revolutionäre und aufsteigende Funktionäre. Alle umwerben sie die Magd Zuchra, die schöne, energische Fellachin. Verstrickungen ergeben sich, Intrigen, ein mysteriöser Todesfall.

»Erzählkunst begegnet uns, wie sie heute nur noch selten anzutreffen ist.«

Treffpunkt Bibliothek

»Die sensibel geschilderten Protagonisten des Romans vermitteln mehr Erkenntnisse über den Zustand Ägyptens als Hunderte von Artikeln und Fernseh-Dokumentationen es je vermochten.«

Süddeutsche Zeitung, München

»Heute wirkt >Miramar< wie ein Menetekel.«

Tages-Anzeiger, Zürich
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67

Fetwa: Gutachten des religiösen Rechts, hier ironisch gebraucht.

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68

Sure 55 (»Der Allerbarmer«), Verse 1-13