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»Die Zeit, da man mit Geld um sich warf, ist vorbei«, setzte der Mann widerwillig entgegen.

»Wo ist jetzt eigentlich Ihre Tochter, Tolba Bey?«

»In Kuwait, zusammen mit ihrem Mann, dem Bauunternehmer.«

Ich wußte, daß sein Vermögen sequestriert worden war, weil man ihn des illegalen Geldtransfers ins Ausland beschuldigt hatte, aber er erklärte sein Unglück so: »Ich habe mein gesamtes Vermögen wegen eines kleinen Scherzes verloren.«

»Wurde eigentlich ein Ermittlungsverfahren gegen Sie eingeleitet?« fragte ich ihn.

»Es war ganz einfach so, daß sie mein Geld brauchten«, erwiderte er verächtlich.

Die Frau sah ihn prüfend an und meinte dann: »Sie haben sich sehr verändert, Tolba Bey.«

Sein kleiner Mund zwischen den Pausbacken lächelte. »Ich hatte einen Schlaganfall, der mich fast das Leben gekostet hätte.« Als wolle er sich selbst trösten, fuhr er fort: »Aber ich darf wieder in mäßigen Mengen Whisky trinken.«

Er tauchte das Croissant in Tee mit Sahne und aß dann so vorsichtig, wie es jemand tut, der seinem neuen Gebiß noch nicht traut. Nur wir beide saßen am Frühstückstisch. Die wenigen Tage, die vergangen waren, hatten uns einander näher gebracht, hatten die Schranken der Vorsicht zwischen uns beseitigt. Das Gefühl, ein und derselben Generation anzugehören, hatte die alten Gegensätze besiegt, auch wenn wir nach wie vor unterschiedliche, einander entgegengesetzte Temperamente hatten. Aber es gab Zeiten, da brachen die verdrängten Widersprüche hervor, gewannen an Bedeutung, führten zu Spannungen.

So fragte er mich einmal ohne jeden Anlaß: »Wissen Sie eigentlich, was die Ursache all des Unglücks ist, das uns betroffen hat?«

»Welches Unglück meinen Sie?« gab ich erstaunt zurück.

»Sie alter Schlaumeier, Sie wissen sehr gut, was ich meine.«

»Mich hat kein Unglück irgendwelcher Art betroffen!«

Er hob die grauen Augenbrauen und erklärte: »Sie haben euch als Volksbewegung und eure Beliebtheit beim Volk ebenso konfisziert, wie sie unser Vermögen eingezogen haben.«

»Vielleicht erinnern Sie sich daran, daß ich aus der Wafd-Partei ausgetreten bin, ja, daß ich mich seit den Ereignissen vom 4. Februar[25] allen Parteien ferngehalten habe?«

»Und wenn schon! Das war ein Schlag, der den Stolz dieser ganzen Generation hinweggefegt hat.«

Um jeden Streit zu vermeiden, wollte ich eine Frage stellen: »Einmal abgesehen von meinem Standpunkt dazu, wüßte ich gern Ihre Meinung zu…«

»Es gibt einen Grund, der weit zurückliegt, für den Strick, den man uns um den Hals gelegt hat«, meinte er mit ebensoviel Ruhe wie Verachtung, »einen Mann, an den sich kaum einer zu erinnern scheint.«

»Wen meinen Sie?«

»Saad Zaghlul.«[26]

Ich mußte lachen, aber er sagte scharf: »Ja doch, als er hartnäckig Haß zwischen den Menschen stiftete, den König angriff, die Volksmassen umbuhlte, hat er eine böse Saat gelegt. Sie hat gekeimt, ist gewachsen und hat sich ausgedehnt wie ein Krebsgeschwür, das uns schließlich den Garaus macht.«

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Es waren nur wenige Menschen im Palma. Tolba Marzuq schaute gern in das fast stehende Nilwasser im Machmudijja-Kanal[27], während ich die Beine ausstreckte und es mir im Liegestuhl bequem machte, als wollte ich im warmen, reinen Sonnenschein ein Schläfchen machen. Wir waren in die Außenbezirke von Alexandria geflohen, dahin, wo es viele Bäume und Blumen gab und an klaren Tagen Wärme und Frieden. Wir hatten in einem segensreichen Winkel des Paradieses Zuflucht gesucht.

Wie nervös mein Freund auch war, wie sehr er übertrieb, er verdiente Mitleid. Jenseits der Sechzig hatte er ein neues, bitteres Leben beginnen müssen. Er beneidete seine Tochter im Exil und hatte seltsame Träume. Er konnte es nicht ertragen, einer Theorie zuzuhören, die die Tragödien seiner Vergangenheit in irgendeiner Weise zu rechtfertigen suchte, und glaubte fest, daß der Anschlag gegen sein Vermögen ein Anschlag gegen die Existenz Gottes, gegen Seine Weisheit und ein gottgefälliges Leben war.

»Als ich hörte, daß Sie in der Pension wohnen, hätte ich beinah davon Abstand genommen, auch einzuziehen.«

Ich konnte das kaum glauben, so fragte ich ihn, warum er denn überhaupt dort hatte einziehen wollen.

»Ich hatte mir die Pension Miramar in der Hoffnung ausgesucht, dort nur noch ihre Besitzerin vorzufinden, die schließlich europäischer Abstammung ist.«

Was denn seine schlechte Meinung über mich am Ende ausgeräumt habe, fragte ich ihn.

»Ich habe nachgedacht und kam schließlich zu der Überzeugung, daß die Geschichte keinen Spitzel kennt, der über achtzig war.«

Ich lachte lange und wollte dann wissen: »Und warum haben Sie Angst vor Spitzeln?«

»Im Grunde habe ich gar keine, aber manchmal mache ich mir Luft, indem ich offene Reden führe.« Nervös fuhr er fort: »Im Rif[28] gab es keinen Platz mehr für mich, und die Atmosphäre in Kairo läßt mich meine Erniedrigung ständig spüren. Da fiel mir meine frühere Geliebte ein. Ich sagte mir: Sie hat in einer Revolution ihren Gatten verloren und in der nächsten ihr Vermögen. So sprechen wir beide dieselbe Sprache.«

Er lobte mich, weil ich trotz meines hohen Alters noch so rüstig war, und verführte mich dazu, mit ihm Filme zu besuchen und in die Cafes zu gehen, die im Winter geöffnet hatten.

Einmal fragte er: »Warum wohl hat Gott von der Politik der Stärke Abstand genommen?« Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte, so erklärte er: »Ich meine die Sintflut, Stürme und ähnliches.«

»Ja, glauben Sie denn, daß die Sintflut mehr Menschen vernichtet hat als die Bombe von Hiroshima?« erwiderte ich.

Er fuchtelte zornig mit den Händen und brauste auf: »Ja, bedienen Sie sich nur der Propagandalosungen der Kommunisten, Sie Schlaumeier. Die größte Sünde an der Menschheit begingen die USA, als sie sich weigerten, die Weltherrschaft anzutreten, solange nur sie allein im Besitz der Atombombe waren.«

»Sagen Sie mir lieber, wollen Sie Ihr Verhältnis mit Mariana wieder aufnehmen?«

Er mußte lachen: »Was für eine verrückte Idee! Ich bin ein alter Mann, den das Leben und die politischen Verhältnisse arg zugerichtet haben. Mich wird auch ein Wunder nicht mehr aufrichten. Und ihr sind von ihrer Weiblichkeit nur die künstlichen Farben geblieben.« Noch einmal lachte er auf und fragte dann: »Und Sie, haben Sie Ihre Vergangenheit so ganz vergessen? Ich habe damals in der Zeitschrift >al-Kaschkul< von Ihren Skandalaffären gelesen, zum Beispiel davon, wie Sie in der Mohammed-Ali-Straße Frauen nachgestiegen sind, die ganz in ihre Milaja[29] gehüllt waren.«

Ich lachte, ohne mich dazu zu äußern, so fragte er: »Sind Sie schließlich zur Religion und ihren Satzungen zurückgekehrt?«

»Und Sie? Manchmal kommt es mir so vor, als ob Sie an gar nichts glauben.«

Ärgerlich gab er zurück: »Wie sollte ich nicht an Gott glauben, da ich in seiner Hölle schmore!«

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»Menschen wie Sie sind für die Hölle erschaffen! Gott wird Ihnen keinerlei Segnungen zuteil werden lassen! Verlassen Sie diese Stätte der Reinheit, so wie Satan aus dem Gnadenreich Gottes verjagt wurde!«

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Die große Uhr im Salon schlug Mitternacht. Der Wind pfiff durch den Lichtschacht. Ich saß in den großen Sessel versunken, und Trägheit und Wärme hinderten mich daran, ins Bett zu gehen. Einsamkeit bedrückte mich, als ich so allein im Zimmer saß, aber ich sagte mir: Was nützt die Reue, wenn man die achtzig hinter sich hat!

Plötzlich öffnete sich die Tür, ohne daß jemand angeklopft hätte. Tolba Marzuq stand auf der Schwelle und sagte: »Entschuldigung, ich habe am Licht in Ihrem Zimmer gemerkt, daß Sie noch nicht schlafen.«

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25

Ereignisse vom 4. Februar: Am 4. 2.1942 zwang Großbritannien Ägypten durch einen Staatsstreich eine als probritisch geltende Wafd-Regierung auf, die das Parlament von 1938 auflöste, bis Oktober 1944 regierte und das Ansehender Wafd-Partei im Lande diskreditierte.

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26

Saad Zaghlul: (1857-1927) Organisator der Wafd-Partei, als deren Führer mehrfach Ministerpräsident.

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27

Machmudijja-Kanal: Kanal im Süden Alexandrias, 1819-23 zur Trinkwasserversorgung der Stadt angelegt.

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28

Rif: Das flache Land (im Gegensatz zur Stadt).

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29

Milaja: Schwarzer Umhang der ägyptischen Frauen.