Ich sah ihn erstaunt an. Er hatte an diesem Abend mehr getrunken als sonst.
Voller Selbstironie fragte er mich, wobei er seinen Worten mit Kopfbewegungen eine besondere Bedeutung zu verleihen suchte: »Können Sie sich überhaupt vorstellen, was ich gewohnheitsmäßig jeden Monat für Medikamente, Vitamine, Hormone, Duftwässerchen, Salben und so weiter ausgegeben habe?«
Ich wartete darauf, daß er weiterspräche, aber er senkte die Augenlider, als ob die Anstrengung ihn erschöpft hätte, drehte sich um, schloß die Tür hinter sich und ging.
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Das Zelt war übervoll von Menschen, und auf dem Platz, wo der Maulid[30] gefeiert wurde, wimmelte es, als sei dies der Tag der Auferstehung. Leuchtraketen explodierten in der Luft, und ihr aufflammendes Licht durchschnitt die Dunkelheit, denn es war Maulid, der Geburtstag des Propheten. Der Rolls-Royce verlangsamte seine Fahrt und kam vor dem Zelt zum Stehen. Ihm entstieg Tolba Marzuq, und Scharen von Angehörigen der Dimirdaschijja-Sekte[31] eilten herzu, ihn zu begrüßen. Das war die Glaubensrichtung derer, die die Liebe zum Propheten mit der zum britischen Hochkommissar gleichermaßen im Herzen trugen. Der Besitzer des Rolls-Royce warf mir einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann stolz von mir ab. Damals sagte man, du seist betrunken dorthin gekommen, betrunken, ebenso, wie du heute bei mir erschienen bist. Der Vorsänger wurde aufgefordert, in die Mitte des Zeltes zu treten und anzustimmen: »O allerhöchster Himmel.«In den letzten Stunden der Nacht sang er: »Oh, könnte ich dich sehen!« und versetzte die Gläubigen in einen Wahnsinnstaumel des Entzückens.
Wann war nur jene seltsame Nacht gewesen? Genau wußte ich es nicht mehr, aber gewiß vor dem Tod des verehrten Mannes, sonst wäre mir der Gesang nicht in dieser Schönheit im Gedächtnis geblieben.
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Ich saß allein im Entree der Pension, niemand außer mir war da, als es an der Tür läutete. Ich öffnete das Guckloch, so wie Madame es stets tat, und sah ein Gesicht vor mir, dessen Anblick mich sofort froh stimmte. Es war das braunhäutige Gesicht eines Fellachenmädchens, von einem schwarzen Tuch umrahmt, gut geschnitten, sehr natürlich in seinem Ausdruck und beeindruckend durch den hübschen, wachen Blick seiner Augen. »Wer bist du?«
»Ich bin Zuchra«, sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit, als nenne sie den Namen einer hochberühmten Persönlichkeit.
Lächelnd fragte ich sie: »Und was willst du, Zuchra?«
»Ich möchte Madame Mariana sprechen.« Ich öffnete ihr die Tür, und sie trat ein, mit einem kleinen Bündel in der Hand. »Wo ist Madame?« fragte sie und schaute sich suchend um.
»Sie wird bald kommen. Nimm doch Platz!« Sie setzte sich auf einen Sessel und nahm ihr Bündel auf den Schoß. Ich kehrte voll frischer Energie zu meinem Platz zurück. Dann schaute ich sie an, ihren kräftigen, anmutigen Körper, ihre Jugendfrische, ihre außergewöhnliche Schönheit, und war sehr glücklich.
Um mit ihr in ein Gespräch zu kommen, fragte ich: »Du sagtest, du heißt Zuchra?«
»Zuchra Salama.«
»Woher stammst du, Zuchra?«
»Aus al-Zijadijrja in der Provinz Buhera[32] im Nordwesten.«
»Bist du mit Madame verabredet?«
»Nein.«
»Dann willst du…«
»Ich bin gekommen, um mit ihr zu sprechen.«
»Sie kennt dich natürlich?«
»Ja.«
Ihre Jugend und ihre Schönheit erfüllten mich mit einem Glück, wie ich es schon lange nicht mehr verspürt hatte. Ich fragte sie weiter: »Lebst du schon lange in Alexandria?«
»Ich habe nie hier gelebt, aber ich bin oft mit meinem verstorbenen Vater hier zu Besuch gewesen.«
»Und woher kennst du Madame?«
»Mein Vater brachte ihr immer Käse, Butter, Butterschmalz und frische Hühnchen ins Haus, und ich habe ihn manchmal begleitet.«
»Aha, ich verstehe. Und jetzt möchtest du übernehmen, was dein Vater vorher besorgt hat?«
»Nein.« Sie schaute zum Wandschirm, als wolle sie nicht mehr preisgeben, und ich respektierte ihr Geheimnis und mochte sie deswegen nur noch mehr. Mit all meiner Zärtlichkeit wünschte ich ihr insgeheim, daß Gott sie beschützen möge.
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Ich küßte ihre magere Hand, deren Haut wie gegerbtes Leder wirkte, und sagte: »Durch den Segen deiner Gebete bin ich zu einem Mann geworden, wie es ihrer nicht viele gibt. Komm doch mit mir nach Kairo!«
Sie sah mich voller Zärtlichkeit an und entgegnete: »So gebe dir Gott noch mehr von seinen Wohltaten und Segnungen. Aber ich werde dieses Haus nicht verlassen. Es ist mein ganzes Leben.«
Ein enges Haus mit Wänden, von denen die Farbe abblättert, das die Winde ohrfeigen und an dessen Wänden sich das Salz des Meeres abgelagert hat, das der Geruch der Fische erfüllt, die am Ufer der Anfuschi-Bucht zuhauf liegen.
»Aber du wirst hier ganz allein leben«, warnte ich sie.
»Mit mir ist der, der die Nacht und den Tag erschaffen hat«, entgegnete sie.
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Es klingelte, und Zuchra stand auf, um die Tür zu öffnen. Madame sah sie erstaunt an und rief dann: »Zuchra! Das ist doch nicht möglich!« Strahlend über die herzliche Begrüßung küßte ihr das Mädchen die Hand.
»Schön, dich hier zu sehen! Gott hab deinen Vater selig. Hast du geheiratet, Zuchra?«
»Nein.«
»Nicht möglich!« Sie lachte laut und wandte sich dann zu mir: »Zuchra ist die Tochter eines ehrenhaften Mannes, Monsieur Amir.« Sie gingen zusammen hinein, und ich war bewegt von väterlicher Zärtlichkeit.
Als wir uns zum allabendlichen Beisammensein eingefunden hatten, Tolba, Mariana und ich, erklärte Madame: »Endlich kann ich mich ein bißchen ausruhen.« Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Zuchra wird bei mir arbeiten.«
Ein seltsames Gefühl, gemischt aus Freude und Beklommenheit, bemächtigte sich meiner, und ich fragte: »Ist sie denn hierhergekommen, um als Hausmädchen zu arbeiten?«
»Ja, warum nicht? Jedenfalls wird sie sich in einer hervorragenden Position befinden.«
»Aber was…?«
»Sie hatte einen halben Feddan Land gepachtet und hat den selbst bestellt. Wie finden Sie das?«
»Sehr schön, aber warum hat sie ihren Grund und Boden verlassen?«
»Sie ist geflohen.«
»Geflohen?«
»Man hat sie für eine Feudalherrin gehalten«, spöttelte Tolba Marzuq.
»Ihr Großvater wollte sie mit einem Greis in seinem Alter verheiraten, damit sie bei ihm Hausdienste verrichtet. Den Rest können Sie sich denken.«
Traurig warf ich ein: »Das ist gefährlich. So etwas nimmt man im Dorf nicht hin.«
»Sie hat außer ihrem Großvater niemanden als ihre ältere Schwester und deren Mann.«
»Und wenn die herausbekommen, daß sie hier ist?«
»Das ist möglich, aber was macht es schon?«
»Fürchten Sie sich denn nicht?«
»Sie ist schließlich kein Kind mehr. Und ich habe nichts weiter getan, als ihr eine Zuflucht und eine ehrenhafte Arbeit zu bieten.« Dann nachdrücklich: »Monsieur Amir, ich werde sie nicht im Stich lassen!«
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Ich werde meine Aufgaben nicht im Stich lassen, solange Blut in meinen Adern ist, möge die Staatsmacht mit uns tun, was immer sie will.
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Sie unterwies sie, und Zuchra lernte mit überraschender Schnelligkeit. Mariana sagte froh: »Das Mädchen ist erstaunlich, Amir Bey, ganz erstaunlich, klug und stark. Sie begreift sofort, worum es geht. Mein Glück ist perfekt!«
Ein andermal fragte sie mich: »Was meinen Sie, soll ich ihr fünf Pfund geben zusätzlich zu Essen und Kleidung?«
Ich äußerte meine Zustimmung und bat dann: »Stecken Sie sie nicht in moderne Kleider europäischen Zuschnitts!«
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