Sein Flügelmann hatte bereits Vollschub gegeben und war nicht mehr zu sehen; er befand sich wohl schon oberhalb der Viertausend-Fuß-Marke.
Während die Maschine stieg, schwoll das Turbinengeräusch an, und der Propeller schnitt durch rauchige Luft. Nun sah Gershon Lichtblitze, rote Nadelstiche im getarnten Boden. Die Nadelstiche waren Mündungsblitze der Artillerie.
Die Luft war von Rauch geschwängert: etwa doppelt so schlimm wie der durchschnittliche Smog von Los Angeles. Der Rauch regte Gershons Phantasie an. Dort unten unterhielten Hunderte, wenn nicht Tausende von Bauern rauchige Feuer auf ihren matschigen Feldern.
Jeder von ihnen trug seinen Teil dazu bei, um ihm, Gershon, und seinen Kameraden das Leben schwerzumachen. Man durfte gar nicht darüber nachdenken - dann wurde einem nämlich bewußt, wie groß dieses Land war und welche Schläge es verkraftete.
Also verdrängte Gershon den Gedanken daran.
Nun ging er in den Horizontalflug. »Marschflug«, wies er seinen Flügelmann an.
Die Radarüberwachung meldete sich über Funk. Damit hatte er schon gerechnet. Er schaltete die Taschenlampe ein, um die Karte zu markieren.
Gershon hatte eigentlich ein Ziel in Südvietnam angreifen sollen. Doch nun wies die Leitstelle ihm ein neues Ziel zu.
Gershon änderte den Kurs. Die Maschine spulte weitere Kilometer über dem anonymen, komplexen Dschungel ab.
Nach dem Einsatz würden die Verantwortlichen alle Beweise für die Mission vernichten und melden, daß der Angriff wie geplant in Südvietnam stattgefunden habe.
Und nicht im neutralen Kambodscha.
Und wie bei vorherigen Einsätzen würde Gershon auch diesmal wieder einen falschen Bericht abfassen müssen.
Er schaute gen Himmel. Irgendwo dort oben war Apollo 13 zum Mond unterwegs.
Gershon tat sich schwer damit, das grandiose Abenteuer am Himmel, bei dem drei Männer ihr Leben für eine sinnvolle Sache riskierten, mit diesem sinnlosen und verlogenen Scheißkrieg auf einen Nenner zu bringen.
Nach einer Stunde lief ein Zittern durch die Maschine -Schwingungen in Längsrichtung, so daß er im Sitz hin und her ruckte. Ein Nachtflug schien aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen, bis man vor Angst fast den Verstand verlor. Er wußte nicht, ob solche Vibrationen ein echter Defekt waren oder nur eine Erscheinung, die er am Tag gar nicht zur Kenntnis genommen hätte.
Er versuchte sie abzureiten, und nach einer Weile ebbten die Schwingungen tatsächlich ab. Die Produktion dieser Maschinen - der einsitzigen Douglas A-1 Skyraider - war 1957 eingestellt worden. Vor dreizehn Jahren. Sie dürften eigentlich gar nicht mehr fliegen. Die Ersatzteilversorgung wurde nur noch durch das Ausschlachten von Flugzeugwracks gewährleistet.
In der Dunkelheit mußte Gershon nach Zeit und Entfernung fliegen: eine Art >Pi-mal-Daumen<-Navigation, die lediglich auf Kurs, Geschwindigkeit und Flugzeit basierte. Präzise war das nicht. Dennoch wähnte Gershon sich nun über der vom KBO gemeldeten Position. Der KBO war sein Kampfbeobachter, der freundliche kambodschanische Späher, der den Auftrag hatte, seine Bomben ins Ziel zu bringen.
Er drehte an den Knöpfen des Funkgeräts. »Hallo Topdog, hier ist Pilgrim. Wie ist die Verständigung? Topdog, Pilgrim. Wie ist die Verständigung?«
Ein paar Kilometer entfernt hörte er das Bellen einer Siebenunddreißig-Millimeter-Flak.
Gershon übte sich in Geduld. Schließlich war der arme Kerl dort unten im finsteren Dschungel von feindlichen Soldaten umzingelt.
Es rauschte im Funkgerät, und dann ertönte eine entfernte Stimme. »Pilgrim. Topdog. Du kommst Topdog zu Hilfe?«
»Ja, Topdog. Pilgrim kommt dir zu Hilfe. Du hast böse Buben?«
»Rager, rager, Pilgrim.« Rager sollte Roger bedeuten. Der KBO sprach den Slang, den die Piloten mit den Eingeborenen vereinbart hatten, mit denen sie zusammenarbeiteten. »Hab viele, viele böse Buben. Sie sind überall. Sie schießen mit großem Gewehr auf mich.«
Großes Gewehr? Gershon spähte hinunter in die Dunkelheit. Er sah keine Mündungsblitze von Artilleriegeschützen; also wurde das Gefecht vielleicht nur mit Gewehren ausgetragen.
Vor Gewehren hatte Gershon keine Angst. Es war sogar irgendwie prickelnd. Die Kugeln prasselten wie Regen auf eine Blechbüchse und machten kleine Löcher ins Flugzeug.
Aber >großes Gewehr< bedeutete vielleicht auch einen Mörser.
Er vermochte es nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Topdog hingegen befand sich im Brennpunkt des Geschehens, im Höllenschlund auf dem schwarzen Erdboden.
»Gut, Topdog, du gibst uns deine Koordinaten. Wir holen dich raus.« Gershon knipste die Taschenlampe an, notierte die Zahlen und verglich sie mit den Einträgen auf der Karte.
Die Koordinaten stimmten nicht mit dem Ort überein, an dem der KBO sich befinden sollte.
Gershon rief seinen Flügelmann: »He. Bestätigst du das?«
»Bestätigt.«
»Entweder weiß er nicht, wo er ist, oder er ist hundert Kilometer von hier entfernt.«
»Du mußt ihn rufen, Pilgrim.«
Gershon zögerte und fragte sich, was er tun solle. Diese Art von Versteckspiel war bei einem KBO nicht ungewöhnlich.
Dann drangen wiederum Stimmen durch die Dunkelheit zu den Bombern herauf und gaben Koordinaten für den Bombenabwurf durch. Und wenn die Besatzungen diese Koordinaten dann überprüften, stellte sich heraus, daß sie die Position der eigenen Truppen bezeichneten.
»Topdog, hier ist Pilgrim. Hörst du mein Flugzeug?«
»Pilgrim, Topdog. Ich höre dein Flugzeug. Du kommst nach Norden vielleicht drei Kilometer.« Gershon flog nach Norden.
Gershon schaute nach unten. Die Berge hier waren hoch, und bei der Flughöhe von zehntausendfünfhundert Fuß war nicht mehr viel Platz dazwischen.
»He, Topdog. Hörst du mein Flugzeug jetzt?«
»Rager, rager, Pilgrim. Du nun über meiner Position.«
Es lag ein Tal unter ihm, eine schwarze Wunde in der Landschaft, die mit dem Pelz des Dschungels bedeckt war.
»Topdog, Pilgrim sieht großes Tal. Wo bist du?«
»Rager, Pilgrim. Böse Buben im Tal. Du wirfst Bombe in Mitte von Tal.«
Das hätte einen Präzisionsabwurf erfordert. »Topdog, ich will wissen, wo du bist.« Schließlich wollte Gershon den KBO nicht auch noch wegpusten.
»Pilgrim, Topdog oben auf Berg. Du bombardierst böse Buben.«
»In Ordnung, Topdog, Pilgrim wirft Bombe ins Tal.«
Gershon positionierte den Waffenwahlschalter so, daß eine Unterflügel-Napalmbombe von fünfhundert Pfund ausgelöst wurde. Dann schaltete er eine Positionslampe ein, um dem Flügelmann seine Flugrichtung anzuzeigen.
Er drückte die Maschine im Vertrauen auf die Instrumente nach unten und ging in einen Vierzig-Grad-Sturzflug.
Er unterschritt die Gipfelhöhe der Berge und näherte sich schnell dem Ziel. Durch das Bombensichtgerät sah er die schimmernden Konturen des Tals.
Der Zeiger des Höhenmesser rotierte, und Gershons Atem ging unregelmäßig. Er machte sich keine Sorgen wegen der Flak; im Moment kam es nur darauf an, nicht am Boden zu zerschellen.
Er drückte auf den Auslöser.
Die fünfhundert Pfund lösten sich mit einem Ruck von der Maschine. Er zog das Flugzeug hoch und grunzte unter der Last von drei Ge auf der Brust.
Die Napalmbombe explodierte wie ein Feuerwerkskörper über der Landschaft. Sie glich einer riesigen Glühlampe, die plötzlich auf dem Talboden aufleuchtete und den rauchigen Himmel über ihm in eine milchige Kuppel verwandelte. Es war ein gespenstischer, fast schöner Anblick.
»Pilgrim! Du hast Bombe Nummer Eins. Sehr gut. Du machst das gleiche noch mal.«
»Gut, Topdog, wir werden sie hier plazieren.«
Gershon tauschte mit dem Flügelmann die Position, und nun ging dieser in den Sturzflug. Im Tal war es nicht länger dunkel; es hatte sich in ein Inferno aus Flammen und den Leuchtspuren von Zwanzig-Millimeter-Geschossen verwandelt, die wie feurige Juwelen funkelten. Gershon erhaschte einen Blick auf die Maschine seines Flügelmanns, deren Konturen sich vor dem Feuer abzeichneten. Der Flügelmann drehte eine Rolle und ging in den Horizontalflug.