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Dana war aber noch nicht fertig: »Hundertzehn Sekunden nach dem Start veranlaßte der Sicherheitsbeauftragte die Zerstörung der Booster. Wäre dies ein bemannter Flug gewesen, hätte der Rettungsturm die Apollo-Kommandokapsel nach dem Ausfall der Haupttriebwerke von der Rakete abtrennen müssen. Hätte das Rettungssystem jedoch versagt -wofür ein paar Systemkomponenten sprechen, die später aus dem Atlantik geborgen wurden -, wäre die Kapsel dem Feuerball möglicherweise unbeschadet entkommen. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß eine Explosion in der Kapsel selbst stattfindet oder daß sie durch Hitze und Feuer signifikant in Mitleidenschaft gezogen wird. Wenn die Kapsel beschädigt würde, dann wohl eher durch die hohen Kräfte beim Aufprall auf das Wasser als durch die Explosion selbst.«

Nun wurden zum erstenmal Unmutsäußerungen im Publikum laut.

Reflexartig erhob Udet sich.

»Ich verwahre mich gegen den Ton der letzten Äußerungen. Es handelt sich um reine Spekulationen. Die AS-5B04 war Gott sei Dank nicht bemannt, und wenn sie es doch gewesen wäre, hätten wir keinen Grund zu der Annahme, daß das Rettungssystem versagen würde, zumal ich keinen Sinn darin sehe, derart detailliert und in aller Öffentlichkeit Hypothesen über das Schicksal der Besatzung eines bemannten Raumflugs anzustellen.« Die Lichtreflexe des orangefarbenen Feuerballs -dessen Standbild noch immer auf der Leinwand zu sehen war -spielten über seine Brille und seine Wangen.

»Soll ich darauf antworten, Gregory?« fragte Joe Muldoon in seiner Eigenschaft als >Moderator<.

Dana bekundete mit einem Achselzucken seine Zustimmung.

Muldoon wandte sich dem Publikum zu, wobei die Konturen des hageren Gesichts sich im Schein der Lampe abzeichneten. »Hans, ich glaube nicht, daß wir in der Lage sind, diese Sache zu beschönigen. Wir müssen sehr wohl die Weiterungen für das bemannte Raumfahrtprogramm erörtern. Und wir müssen uns der Tatsache stellen, daß es schon bei früheren VB-Tests Anzeichen für destabilisierende Schwingungen beim Brennen der Feststoff-Booster gegeben hat.«

»Der Verlust der AS-5B04 wurde nicht durch den Defekt eines Feststoff-Boosters verursacht!« schrie Udet.

»Dennoch sind Probleme bei den Boostern aufgetreten, und sie haben zum Verlust der Rakete beigetragen«, sagte Muldoon. »Das haben wir doch gesehen. Überhaupt habe ich den Eindruck, daß die ganze Konstruktion schon von der Konzeption her riskanter ist als die alten FlüssigbrennstoffKonfigurationen. Bedenken Sie, daß sogar Saturn V-Starts erfolgreich waren, bei denen wir ganze Triebwerke verloren hatten. Wenn man aber auf einem dieser verdammten FeststoffBooster reitet, stellt sich nicht die Frage, ob die Post abgeht, sondern nur, in welche Richtung. Niemand von uns will den Einsatz der modernisierten Saturns einstellen; es geht nur darum, daß wir die Konsequenzen der Kompromisse, die wir bei der Konstruktion eingegangen sind, offen diskutieren. Wenn wir nicht mit offenen Karten spielen, wird der Kongreß uns nämlich das Fell über die Ohren ziehen.«

Muldoon ließ den Blick über die versammelten Delegierten schweifen. »Ihr wißt, in welcher Lage wir uns befinden, Leute; das Haushaltsdefizit ist in diesem Jahr so hoch, daß jedes

Programm - einschließlich Ares - Gefahr läuft, vom Haushaltsausschuß gestrichen zu werden. Sie mögen nun einwenden, es sei ungerecht, daß man bezüglich unserer Fehler aus einer Mücke einen Elefanten macht, während andere Behörden noch viel größere Böcke schießen und nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden -, doch unsere Behörde steht nun einmal im Rampenlicht. Sie müssen das als Tatsache akzeptieren. Also müssen wir uns eine blütenweiße Weste bewahren. Fragen könnt ihr zum Schluß stellen, Leute; ich will das hier erst noch zu Ende bringen.«

Udet, der noch immer stand, wagte keine Widerrede. Kompromisse. Ihr redet von Kompromissen. Das Programm ist doch ein einziger Kompromiß. Für die Saturn VB haben wir von Anfang an nur die Hälfte der beantragten Mittel bekommen. Die Hälfte! Ohne Kompromisse würdet ihr jetzt nicht ins All fliegen. Und dann lamentiert ihr über die Konsequenzen, über den Verlust einer einzigen Rakete!

Er hielt das nicht mehr aus. Entschuldigungen murmelnd, drängte er sich an den neben ihm sitzenden Leuten vorbei, bis er den Gang erreicht hatte. Dann stakste er in den hinteren Bereich des Raums.

Mein Gott. Sind wir wirklich schon auf das Niveau dümmlicher Schuldzuweisungen gesunken? Ich verlange nur -und mehr habe ich nie verlangt -, daß ihr mir das Werkzeug gebt, das ich brauche, um meine Arbeit zu erledigen. Um den Traum zu verwirklichen. Auch mit der Hälfte der Ressourcen werde ich noch Lösungen für euch finden. Aber für Wunder bin ich nicht zuständig; ich vermag keine hundertprozentige Sicherheit und Zuverlässigkeit zu garantieren. Wann werdet ihr das endlich begreifen?

Es schien ein weiter Weg bis zur Tür. Alle wichen seinem Blick aus.

Danas gleichmütige Präsenz auf dem Podium war wie eine schwärende Wunde in Udets Seite.

Samstag, 5. Juni 1982 Newport Beach

Die Ereignisse trieben dem Höhepunkt entgegen.

Es war ihr Hochzeitstag. Obwohl JK ihr Blumen und ein Kärtchen mitbringen würde und ihr schon am Morgen einen Kuß auf die Wange gegeben hatte, wußte Jennine aus Erfahrung, daß es seine Sekretärin Bella war, die solche Ereignisse in seinem Terminkalender vermerkte und auch die Karte und den übrigen Kram besorgte. JK selbst verschwendete keinen Gedanken daran.

An diesem Abend wollten sie ausgehen. Das machten sie vielleicht zweimal im Jahr. Doch JK kam nicht nach Hause. Das war nicht ungewöhnlich. Als Jennine ihn im Büro anrief, war Bella am Apparat. Sie setzte ihr höflich auseinander, daß er nicht in der Firma war. Im Klartext hieß das: er ist mit den Jungs einen bechern gegangen. Und so war es dann auch. JK kam nach elf stockbesoffen nach Hause und parkte den Wagen undiszipliniert in der Einfahrt.

»Du solltest in diesem Zustand nicht mehr fahren«, sagte Jennine. Sie haßte den nörgelnden Tonfall, der sich bei ihr in solchen Momenten immer einstellte.

»O Gott, das Essen. Schatz, es tut mir leid«, lallte JK. »Ich hab’s glatt vergessen. Wir holen’s morgen nach. In Ordnung?«

Nein, du Idiot. Es ist nicht in Ordnung. Überhaupt habe ich das Gefühl, daß es nie in Ordnung war.

Sie ging zu Bett.

Nach einer Stunde legte er sich zu ihr. Er streichelte ihr zärtlich das Gesicht, fuhr übers Nachthemd und legte ihr die Hand auf die Brust.

Doch sie wandte sich ab. Sie war viel zu angespannt und verärgert. Nicht nur, daß sein Atem nach Schnaps stank; er roch aus jeder Pore nach Alkohol.

Immerhin war er bei ihr. Bei diesem Gedanken beruhigte sie sich und glitt in den Schlaf ab. Immerhin ist er bei mir. Vielleicht gelingt es mir morgen, ihn zu überreden, wenigstens einmal früher nach Hause zu kommen.

Bevor sie einschlief, klingelte das Telefon. JK reagierte sofort. »Lee.«

Sie hatte die Entwicklung von Columbias MEM-Programm mitverfolgt. Weil JK Arbeit mit nach Hause nahm und dort auch regelmäßig Geschäftsbesprechungen anberaumte - wobei er sie fast nie vorher informierte -, verfolgte sie das Programm gezwungenermaßen mit.

Einmal nahm JK sie nach Boston mit, wo die Firma Avco den Hitzeschild des MEM herstellte. Es war ein faszinierender Ort. Die Beschichtung des Hitzeschilds bestand aus wärmeabsorbierendem Epoxidharz, einer Substanz, welche die Avco-Ingenieure >Avcoat 5026-39< nannten. Eingeschlossen war das Epoxidharz in einem Wabenkern aus Titan, der mit der Unterseite der Kapsel verklebt wurde. Das Epoxidharz wurde mit einer Spritzpistole in die einzelnen Zellen gepumpt. Diese Arbeit mußte von Hand erfolgen, wobei die Techniker insgesamt zweihunderttausend Waben zu befüllen hatten. Falls eine Röntgenuntersuchung eine Luftblase an den Tag brachte, wurde die entsprechende Zelle mit einem Zahnarztbohrer entkernt und mit einer neuen Füllung beschickt.