Und es war behaglich. Ein solches Versteck hätte Gershon sich als Kind gewünscht, eine Kombination aus Werkstatt, Funkstation und Clubhaus.
Es würde ihm nichts ausmachen, hier für einen Monat auf dem Mars auszuharren, sagte er sich; nicht im geringsten.
Sofern er überhaupt die Gelegenheit dazu bekam.
Die Anwesenden gerieten in Wallung, und Gershon straffte sich, um die Ursache hierfür zu ermitteln.
Jack Morgan kam mit einem Dokument in der Hand auf Lee und Gershon zu. »JK! Haben Sie das schon gesehen?«
Gershon identifizierte das Dokument als Zusammenfassung des vorläufigen Berichts, den Phil Stones >Tiger-Team< über das MEM-Programm verfaßt hatte.
Es handelte sich um eine Fotokopie mit dem Vermerk >Vertraulich<; Gershon vermutete, daß ein Sympathisant innerhalb der NASA Columbia diesen Bericht zugespielt hatte.
Lee überflog den Inhalt. »Mein Gott«, sagte er. »Mein Gott.«
Jack Morgan stand daneben, wobei er die Hände rhythmisch zu Fäusten ballte.
Gershon hatte den Eindruck, daß Lee zitterte. Er rieb sich ständig den linken Arm, als ob er an Schmerzen litte. »Hört euch das an. >Der Fortschritt und die Perspektiven des Programms überzeugen mich nicht. Ich vermag auch keinerlei Anzeichen für eine zukünftige Leistungssteigerung zu erkennen.< Blöder Schwanzlutscher! >Meine Leute und ich haben jegliches Vertrauen in die Kompetenz von Columbia Aviation als Organisation verloren. Ich hege starke Zweifel an Columbias Absicht und Entschlossenheit, den Auftrag ordnungsgemäß auszuführen.. .<«
Jack Morgans Zorn schien sich durch die Beobachtung von Lee zu verflüchtigen. »JK, was haben Sie denn mit Ihrem Arm?«
Lee fuchtelte mit beiden Armen herum. »Vergessen Sie meinen Arm! Hören Sie zu: >Meines Erachtens sollte die NASA drastische Maßnahmen in Betracht ziehen, einschließlich der Möglichkeit, den Auftrag anderweitig zu vergeben.««
Morgan runzelte die Stirn und faßte Lee am rechten Ellbogen. »Hören Sie mir zu, Arschloch. Sie kommen jetzt mit in mein Büro.«
Lee wollte sich losreißen, doch Morgan ließ nicht locker und bedeutete Gershon mit einem Kopfnicken, den anderen Arm zu ergreifen.
Zögernd nahm Gershon Lees knochigen Ellbogen.
Dann bugsierten Morgan und Gershon JK Lee aus dem Reinraum hinaus, vorbei an den glotzenden Technikern. Die drei hatten noch immer die Schutzkleidung an.
Lee fuchtelte mit dem Bericht herum und brüllte wie ein alttestamentarischer Prophet: »>Es ist mir nicht zuzumuten, weiterhin mit einem Auftragnehmer zusammenzuarbeiten, der die Regierung bei einem MultiMilliarden-Dollar-Projekt von nationaler Bedeutung in die Bredouille bringt. < Zum Teufel mit dir, Mr. Phil abgefuckter Stone!«
Nachdem sie Morgans Büro betreten hatten, baute dieser ein tragbares EKG auf.
Lee beäugte das Gerät. »Was soll das?«
»Krempeln Sie die Ärmel hoch, JK.«
»Mein Herz ist in Ordnung.« Lee ließ sich auf Hände und Füße nieder und machte zu Gershons Erstaunen Liegestütze. »Sehen Sie!« rief Lee und schaute zu Morgan hoch, wobei er sich fast den Hals verrenkte. »Wenn ich eine Herzattacke hätte, wäre ich schon tot.«
Jack ignorierte Lees Sprüche. Er bückte sich, packte Lee beim Schlafittchen und stellte ihn wieder hin. Dann drückte er Lee auf einen Stuhl und befestigte die EKG-Elektroden.
Lee hielt noch immer den Stone-Bericht in der Hand. »Seht euch das an! Er hat sogar eine Liste von Leuten erstellt, die gefeuert werden sollten! Sie und ich sind auch dabei, Jack! -Schwanzlutscher!«
Morgan betrachtete die EKG-Kurve und schaute dann Lee an. »Sie müssen ins Krankenhaus.«
»Hühnerkacke«, pöbelte Lee. »Ich stecke mitten in einem abgefuckten Abnahmetest.« Er stand auf und wollte zur Tür hinaus.
Morgan verstellte ihm einfach den Weg und nickte Gershon zu. »Rufen Sie Mr. Cane an«, trug er ihm auf. »Sagen Sie ihm, er müsse mit Lee reden.« Dann drehte er sich um und schrie einen Assistenten an, er solle die Sanitäter holen.
Ohne sich über die möglichen Folgen seines Handelns im klaren zu sein, griff Gershon zum Telefon.
Lee zitierte weiter aus dem Bericht: »Schaut euch einmal diesen Scheiß an. Versäumte Fristen. Verspätet eingereichte Zeichnungen. Budgetüberschreitungen. Ja, ja. Aber begreifen die denn nicht, wie komplex diese Sache ist? Oder welches Chaos ihre Leute hier verursachen, wenn sie wieder mal auf einer Änderung bestehen? Es bringt überhaupt nichts, sich nur die Papiere anzusehen, sondern man muß einen Blick auf die verdammte Hardware werfen. Sicher, wir liegen im Zeitplan zurück. Aber das ist doch ein Witz.« Er schaute Morgan flehentlich an. »Es ist eine Hexenjagd, Jack. Genau das ist es. Eine abgefuckte Hexenjagd.«
Gershon hielt Lee den Hörer hin. »Art Cane möchte Sie sprechen.«
Art Cane befahl ihm, das Werksgelände zu verlassen.
Zwei Sanitäter rannten den Gang entlang. Sie hatten einen Rollstuhl dabei.
JK Lee schaute sich verwirrt um. Er trug noch immer die Überschuhe und die Plastikhaube aus dem Reinraum.
Die Sanitäter ignorierten seinen schwachen Protest, setzten ihn in den Rollstuhl und transportierten ihn eilends ab.
Mit zitternden Händen zündete Morgan sich eine Zigarette an.
Gershon merkte, daß er selbst auch zitterte. »Mein Gott«, sagte er zu Morgan. »Das habe ich nicht gewußt.«
Morgan nahm die Plastikhaube ab. »Wirklich? Teufel, JK ist nicht der einzige, der bei diesem verfluchten Programm fast draufgegangen wäre. Haben Sie noch nicht davon gehört? Es wird als das Ares-Syndrom bezeichnet.«
Es war doch ein Herzanfall gewesen; es erwischte Lee, kurz nachdem die Sanitäter ihn ins Krankenhaus gebracht hatten.
Als Lee nach ein paar Tagen wieder zu sich kam, ließ er sich zuerst ein abhörsicheres Telefon ins Zimmer stellen. Dann rief er in der Firma an.
Er stach in ein Wespennest.
Die endgültige Version von Phil Stones >Tiger-Team<-Bericht war - sofern eine Steigerung überhaupt möglich war - noch vernichtender als die Version, die ihnen im Sommer zugespielt worden war. Und es kursierten wilde Gerüchte in der Presse, wonach die NASA einen anderen Auftragnehmer für das MEM suchen wollte.
Schließlich war der Punkt erreicht, wo die Spekulationen ihrerseits Spekulationen zu gebären schienen - Lee hatte sogar schon Artikel über die Anzahl der Artikel gesehen, die zu den MEM-Problemen erschienen waren. Lee hatte den Eindruck, daß seine Leute mehr Zeit mit der Auswertung des Pressemülls sowie der Gerüchte in der NASA und in der Firma selbst verbrachten als mit dem Raumschiffbau.
Was Lee betraf, so war das alles nur heiße Luft; die NASA war nämlich gar nicht in der Lage, Columbia fallenzulassen, wenn sie an der für 1986 geplanten Landung auf dem Mars festhalten wollte.
Dennoch mußte Columbia irgendwie reagieren.
Art Cane setzte in Lees Abwesenheit eine weitere interne Revision an.
In den folgenden Tagen analysierte ein hochkarätiges Team das gesamte Programm und befragte Hunderte von Leuten. Die ganze Sache war vertraulich; die benutzten Räume wurden sogar auf Wanzen untersucht. Diese Maßnahmen sollte die Belegschaft eigentlich beruhigen, doch Lee war sicher, daß sie den Leuten höllisch Angst machen würde.
Zumal die ersten Ergebnisse dieser Revision keinen Deut günstiger ausfielen als Stones Schlußfolgerungen.
Der zur Hilflosigkeit verurteilte Lee kochte vor Wut. Es gibt überhaupt nichts auszusetzen an dem gottverdammten Programm. Sie nehmen meine Firma ohne jeden Grund auseinander. Das ist wirklich eine Hexenjagd.