Und wenn Muldoon ihn für die anstehende D1-Mission einteilte und ihm erlaubte, das MEM im Erdorbit einer Flugerprobung zu unterziehen, würde er seine Fähigkeiten vielleicht unter Beweis stellen und den Makel des Anfängers verlieren.
Muldoon notierte drei Namen.
CDR: Stone. MSP: Bleeker. MMP: Gershon.
Das sah gar nicht so schlecht aus. Die Besatzung bestand nach wie vor aus lauter Piloten - und zwar Kampfpiloten. Gershon wies brillante Züge auf, die Curval abgingen und die vielleicht zwischen Erfolg und Mißerfolg entschieden, wenn die Mission auf dem fünfundsechzig Millionen Kilometer entfernten Mars auf des Messers Schneide stand. Außerdem wußte Muldoon, daß er sich darauf verlassen konnte, daß Gershon - im Gegensatz zu Curval - jede Arbeit übernehmen würde, die im Rahmen der Mission anfiel, einschließlich der Drecksarbeit. Wie der Geologie.
Zumal Stone und Bleeker, beides ruhige und nervenstarke Vertreter, Gershon gewiß stabilisieren würden.
Also Gershon.
Damit würde er die quengelnden Wissenschaftler bestimmt nicht besänftigen, doch über deren Kritik mußte er erhaben sein. Bleeker war ein guter Mann, und er hatte keinerlei Veranlassung, ihn fallenzulassen.
Obendrein zog er ins Kalkül, daß mit der Ernennung des Anfängers Gershon Natalie York endgültig aus dem Rennen war; vor allem, wenn Gershon bei der Dl-Mission Erfahrung sammelte. Ein Anfänger beziehungsweise Novize in der Besatzung war schon genug; zwei waren seiner Ansicht nach geradezu lachhaft.
Er griff zum Telefon und beauftragte Mabel, ihn mit Stone, Bleeker, Gershon und Curval zu verbinden.
Er fragte sich, ob er York auch anrufen solle. Dann gelangte er zu dem Schluß, das sei nicht erforderlich.
Donnerstag, 12. Juli 1984 Cheney-Palouse Scabland, Macall,
Bundesstaat Washington
Es war noch nicht einmal zehn Uhr, und die Sonne brannte schon auf Phil Stones Kopf und Rücken. Er spürte, wie der Schweiß sich unter dem Kragen und der leichten Fliegerhaube sammelte und das Hemd unter dem schweren Tornister tränkte.
Er hatte den Eindruck, daß der Boden nur aus schwarzem Fels bestand, und die Hitze, die der wolkenlose Himmel wie ein Hochofen abstrahlte, traf ihn mit voller Wucht. Im Umkreis von Meilen gab es nichts außer Felsen, spärlichem Gras und Geröll.
In einem Plastikbeutel, der an Stones Gürtel baumelte, befanden sich Luftbildaufnahmen des Gebiets und ein paar topographische Karten des Geologischen Instituts der USA.
Nun entfaltete er eine Karte und ließ den Blick schweifen. Er versuchte, die Landmarken, die er sah, auf den Fotos und Karten wiederzufinden. Die Fotos waren retuschiert worden, so daß die Auflösung der Qualität der Aufnahmen entsprach, die Mariner vom Mars gemacht hatte.
Die Landschaft war einmalig. Sie wirkte wie das Werk eines Bildhauers und bestand aus Hügeln und Canyons, von denen ein paar direkt in den Fels gefräst waren. So etwas hatte er noch nie gesehen.
»Ich weiß nicht, wo wir sind«, gestand er. »Es ist verdammt schwierig. Vom Boden aus wirkt die Gegend ganz anders.«
Adam Bleeker, der neben Stone ging und ebenfalls mit Helm, Tornister und Mars-Stiefeln bepackt war, blieb stehen. Bleeker zog einen zweirädrigen Karren mit der Bezeichnung MET13. Bleeker beugte sich nach vorn und stützte die Hände auf die Knie. Sein blondes Haar schien im Sonnenlicht zu lodern. »Ich habe eine Vorstellung, wo wir sind«, sagte Bleeker müde.
»Was?«
»Etwa anderthalb Kilometer östlich von der Bahnlinie. Ich habe gerade das Pfeifen einer Lokomotive gehört.«
Natalie Yorks Stimme ertönte im Kopfhörer. »Wiederholen Sie bitte, EVA14 Zwei; ich habe nicht verstanden.« York spielte Capcom im vergleichsweise komfortablen Zelt.
Bleeker richtete sich auf. Er schaute Stone kurz in die Augen und formte mit den Lippen einen lästerlichen Fluch.
»Roger, Natalie«, sagte Stone. »Auf der Marsoberfläche braucht man eine gute Kondition. Wir haben einen hohen Flüssigkeitsbedarf.«
»Dann trinkt was, ihr Babies.«
Bleeker fluchte stumm, doch Stone bedeutete ihm, damit aufzuhören. »Sie hat recht, verdammt noch mal. Komm weiter.« Er griff hinter den Kopf, wo zwei kurze Plastikschläuche aus dem Tornister ragten. Er führte einen Schlauch zum Mund und sog daran; schaler Tang floß über die Zunge.
Bleeker saugte auch Wasser aus seinem Tornister, machte eine Mundspülung und spie die Brühe dann auf den felsigen Boden. Es zischte; das Wasser verlief und verdunstete schnell.
»Probier mal den Tang«, sagte Stone.
»Bei Tang muß ich ständig furzen.«
»Ja, aber du mußt das Kalium ersetzen, das du durchs Schwitzen verlierst. Ist gut fürs Herz.«
»Seid ihr beiden Helden in der Lage, weiterzumachen?«
»Ach, halt die Klappe, York«, sagte Stone.
Sie strafften sich und marschierten weiter.
Dann kamen sie an ein breites, langgezogenes Bett aus Geröll und Lehm. Der felsige Untergrund stach wie schwarze Knochen durch die Lehmdecke. »Wir sind auf etwas gestoßen, das wie Löß aussieht, Natalie«, sagte Stone. »Ablagerungen in einem Flußbett.« Er merkte, daß er keuchte und sah, daß Bleeker, der sich mit dem schweren MET abmühte, so stark schwitzte, daß sein T-Shirt schon durchnäßt war. »Ich glaube, wir sollten ein SEP15 aufstellen.«
»Roger, EVA Eins.«
Ich geh dir gleich >Roger<. Im Zelt sitzen und Wissenschaftler spielen war viel angenehmer, als sich über dieses vulkanische Schlachtfeld zu schleppen. Zumal diese Übung noch schlimmer war als der wirkliche Einsatz: der Mars-Anzug hätte nämlich eine Klimaanlage.
»Adam, bilde mal die Vorhut. Geh in dieser Richtung, den Löß hinauf.«
»In Ordnung.« Bleeker stellte das MET ab, schulterte den Tornister und stapfte mit den blauen Mars-Stiefeln durch den Löß.
Stone kramte ein Paar Handschuhe aus dem MET. Die aus schwerem Gewebe bestehenden und mit Draht verstärkten Textilien sollten die Druckhandschuhe simulieren, die sie auf dem Mars würden tragen müssen. Nachdem er die Handschuhe übergestreift hatte, holte er das SEP aus dem Karren. Das SEP - eine Kollektion wissenschaftlicher Instrumente - hatte die Form einer Hantel und auch das entsprechende Gewicht. Es sollte ihnen ein Gefühl für das Gewicht vermitteln, welches das Originalteil in der Mars-Schwerkraft hatte.
Bleeker hatte inzwischen etwa dreißig Meter zurückgelegt. »Hierher«, rief er. »Hier kommt man besser voran.«
Stone ging in seine Richtung. »Also, Natalie, ich baue nun das SEP auf.«
»Rog.«
Es war anstrengend, mit den steifen Handschuhen die Hantel am Griff zu packen und sie vom Körper wegzuhalten. Nach vielleicht zehn Metern blieb er stehen und setzte das SEP ab.
»Das ist doch nur Sperrholz, Phil«, sagte Bleeker und lachte.
»Verdammt noch mal«, schrie Stone, »mußtest du so weit gehen?«
»Das weißt du doch.«
Bleeker hatte natürlich recht; auf dem Mars würden sie sich mit den SEPs so weit vom MEM beziehungsweise vom Marsrover entfernen müssen, bis sie sicher waren, daß der von den Fahrzeugen aufgewirbelte Staub die Geräte nicht mehr beeinträchtigte.
Er streifte die Handschuhe ab und schleuderte sie in die ungefähre Richtung des MET, ohne sich zu vergewissern, wo sie gelandet waren.
Bleeker stieß einen Pfiff aus. »Meinst du, das war korrekt, Skipper?«
»Melde mich doch.«
Er schaffte die SEP-Attrappe zu Bleeker und setzte sie ab. Gemeinsam bauten sie die Instrumente auf.
Die Montage des SEP glich dem Aufbau eines Grills. Lösen Sie die Schrauben. Nehmen Sie die Kartons aus den StyroporVerpackungen. Stampfen Sie die Erde fest - was im Kiesbett gar nicht so einfach war - und stellen Sie die Instrumente auf. Achten Sie darauf, daß die Instrumente in die richtige Richtung weisen und daß sie den richtigen Abstand haben. Und sehen Sie zu, daß Sie sie nicht verschmutzen - gottverdammt!