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»Mein Gott«, sagte Stone. »Im Marsgestein eingeschlossene Ozeane. Wie sollen wir deine Theorie bestätigen, Natalie?«

»Was wir brauchen, sind drei Leute, die mit einem MEM auf dem Mars landen und ein paar Kernbohrungen niederbringen.«

Nun erkannte Stone die Stoßrichtung. Er betrachtete noch einmal die Fotos. »Welches Gebiet ist auf diesen Fotos abgebildet?«

»Das ist einer der größten Abflußkanäle. Es ist Mangala Vallis, Phil. Das Mars-Scabland: eure Landezone.«

Stone grinste. Hat sie es doch wieder einmal geschafft. Mangala Vallis. Wofür Natalie York, die Vorsitzende des Ausschusses für die Auswahl der Landezone und potentielle Mars-Astronautin zufällig die weltweit führende Expertin ist.

Und Adam Bleeker kennt noch nicht einmal den Begriff >Anastomose<. Ich hoffe nur, der Junge schaut ab und zu mal über die Schulter.

Zeitdauer der Mission [Tag/Std:Min:Sek]

Plus 349/11:14:03

Zwanzig Tage vor dem Einschwenken in den Orbit war der Mars auf die Größe einer Scheibe angewachsen. Am Terminator sah sie bereits mit bloßem Auge Spalten und Löcher in der Oberfläche: Krater und Canyons, die das Licht der Sonne reflektierten.

Der Wiedererkennungseffekt war erstaunlich. Fast hatte sie das Gefühl, schon einmal dort gewesen zu sein. Sie sah die große Spalte der Valles Marineris - eine Wunde, die noch aus einer Entfernung von einer Million Meilen zu sehen war -, die aus Wassereis bestehende Polkappe im Norden, die wegen des bevorstehenden Winters angeschwollen war und die großen schwarzen Calderas der Tharsis-Vulkane.

Der Mars war wirklich eine kleine Welt, sagte sie sich. Einige wenige Merkmale - Tharsis, die Marineris-Canyons, Syrtis, die große vereiste Senke von Hellas im Süden -, die im Verhältnis zum Volumen des Planeten überproportioniert waren, dominierten die Krümmung.

Grundsätzlich entsprach der Mars ihren Erwartungen. Er hatte große Ähnlichkeit mit den Photomosaik-Globen am JPL. Aber sie stellte auch erstaunliche Unterschiede fest. Die vorherrschende Farbe auf dem Mars war nicht Rot, sondern

Braun; die Oberfläche changierte in Tönungen aus Bronze, Ocker und Rostbraun. Es bestand ein deutlicher Kontrast zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre, wobei das jüngere Terrain im Norden der Äquatorlinie eine hellere Färbung aufwies, die fast bis in den gelben Bereich ging. Weil Ares den Planeten nicht parallel zum Einfall der Sonnenstrahlen anflog, wies der Mars dem Raumschiff fast nur die Nachtseite zu. Die Ockerfärbung schien intensiver zu werden, wenn das Sonnenlicht im spitzen Winkel einfiel. Diese Merkmale verliehen der kleinen Kugel eine markante Rundung. Der Mars glich einer kleinen Orange und war - auch bei einer 360°-Peilung - neben der Sonne das einzige Objekt am Himmel, das nicht nur als Lichtpunkt erschien.

Im bisherigen Verlauf der Mission - im Leerraum zwischen den Planeten, wo es außer der Sonne und den Sternen nichts zu sehen gab -, war York oftmals von schweren Depressionen befallen worden. Die dumpfe, öde Routine des LangstreckenFlugs hatte ein übriges bewirkt. Sie hatte sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen, bei der Erledigung ihrer Aufgaben >auf Autopilot geschalten< und die Gesellschaft der Kameraden gemieden. Sie vermutete, daß die anderen ähnlich litten, doch schienen sie Mittel und Wege gefunden haben, damit klarzukommen: Gershon vertiefte sich in die Technik des Schiffs, und Stone widmete sich den >Bonsai<-Erbsen.

Sie hatte jetzt schon Angst vor dem Rückflug; vor dem geistigen Auge erschien er wie eine hohe schwarze Barriere.

Doch das lag noch in weiter Ferne. Nun kletterte sie erst einmal aus der Grube hinaus und näherte sich dem warmen, ockerfarbenen Licht des Mars.

In der Freizeit betrachtete sie fast nur noch die immer größer werdende Kugel und identifizierte immer mehr Landmarken, die noch kein Mensch mit bloßem Auge gesehen hatte - als ob sie immer größere Teile des Mars für sich beanspruchte.

Montag, 6. August 1984 MEM-Raumschiff 009, Niedriger Erdorbit

Während sie sich auf die Zündung vorbereiteten, spielte Bleeker Born in the USA auf dem Bord-Kassettenrecorder ab. Bruce Springsteens Stimme übertönte das Klicken und Surren der MEM-Ausrüstung.

»Treibstofftanks für das Aufstiegs-Antriebssystem unter Druck«, sagte Bleeker.

»Rager«, erwiderte Gershon.

»Aufstiegszuleitungen sind geöffnet, Absperrventile sind geschlossen.«

Ted Curval mimte heute den Capcom. »Iowa, hier spricht Houston. Weniger als zehn Minuten. Alles sieht gut aus. Nur noch ein Hinweis. Wir wollen Rendezvousradar-Umschaltung in den LGC-Modus auf der Oberfläche bei neunundfünfzig. Wir nehmen an, die Steuerung ist im Modus Autopilot.«

»Stop«, sagte Gershon, »Tasten-Rückstellung, Abbruch bei Abbruch Stufen-Rückstellung.«

Bleeker drückte auf die Knöpfe. »Rückstellung.«

»Unsere Empfehlung für die Flugführung ist PGNS«, sagte Curval. »Ihr habt Freigabe für Zündung.«

»Rog. Wir sind Nummer Eins auf der Startbahn.«

Während hundertsechzig Kilometer über der Erde Gershon und Bleeker die Checkliste für die Zündung abarbeiteten, befanden MEM und Apollo sich im Formationsflug. Die vom Kommandokapsel Bob Crippen gesteuerte Apollo glich einem mit Juwelen besetzten silbernen Spielzeug, das sich gegen den leuchtenden Teppich der Erde abhob. Und das MEM war ein großer glänzender Kegel, der mit einer Höhe von neun Metern Apollo zum Zwerg degradierte, welche von abgestoßenen Mars-Hitzeschilden und gewellter Folie umgeben war.

Die sechs Landebeine waren ausgefahren. Doch MEM 009 würde nirgendwo landen.

Gershon stand neben Bleeker in der engen Kabine der MEM-Aufstiegsstufe. Er vermochte sich kaum zu rühren in dem orangefarbenen Druckanzug. Vor Gershon befand sich eine Konsole mit Skalen, Schaltern und Instrumenten. Außerdem gab es zwei manuelle Regler; einen pro Person. Die Wände waren mit Unterbrechern bestückt, und auf dem Boden verliefen un-verkleidete Kabelstränge und Rohrleitungen. Die Kabine hatte je ein Dreiecksfenster zu beiden Seiten der Hauptkonsole. Sie waren mit spinnenförmigen Markierungen versehen, die bei der Landung auf dem Mars als Leitsystem dienen sollten. Blaues Erdlicht schien durch die Fenster und zauberte Farbtupfer auf die Konsolen.

Hinter Gershon befanden sich drei Beschleunigungsliegen, von denen zwei hochgeklappt waren. Bei einem LandungsFlug wäre noch ein drittes Besatzungsmitglied an Bord: der Missions-Spezialist, der während des einmaligen Flugs des MEM den Status eines Passagiers hatte.

Die Einrichtung der Kabine war funktionell und folgte reinen Nützlichkeitskriterien; die Wände waren überwiegend unlackiert, so daß die blanken Nieten zu sehen waren, und die Kabelbäume waren von Hand verdrillt worden, als ob ein Heimwerker sich daran versucht hätte.

Das MEM war ein Experimental-Raumschiff: in Tausenden von Mannstunden in mühseliger Handarbeit hergestellt, basierte es auf konservativen Entwürfen, die sich schon im Einsatz bewährt hatten. Die scheinbar primitive Konstruktion war das Merkmal der Raumfahrt-Technik, über das die Leute sich am meisten wunderten, weil sie optisch ansprechende Massenware gewöhnt waren. Mit Star Trek hatte dieses Gerät nicht die geringste Ähnlichkeit.

Doch für Gershon war das MEM real, beinahe irdisch.

In einem von Menschenhand geschaffenen Schiff auf dem Mars zu landen: für Gershon, den begeisterten Raumfahrer, war das eine wundervolle Vorstellung.