»Und sind sie damit einverstanden?«
Cane zuckte die Achseln. »Ich möchte nicht gerade sagen, daß sie sich darüber gefreut hätten. Aber.«
Aber sie haben es akzeptiert. Und die Hurensöhne haben mir kein Sterbenswort gesagt.
»Hören Sie, Art. Tun Sie das nicht. Wir haben ein gutes Schiff gebaut. Und an der Arbeitsorganisation gibt es auch nichts zu beanstanden. Wir müssen nur noch ein paar Feinabstimmungen vornehmen, und dann machen wir einen Durchmarsch zum Mars. Es ist alles in Ordnung, Art. Davon bin ich überzeugt.«
»Das glaube ich Ihnen«, sagte Cane. Seine Stimme war nun härter und kälter. »Das Problem ist nur, JK, daß außer mir kaum noch jemand daran glaubt.«
Lee flog nach Hause und erzählte Jennine, was vorgefallen war. Er spürte einen Anflug von Zorn und Ressentiment. »Ich hoffe, das freut dich. Ich hoffe, das ist eine gute Nachricht für dich.«
Trotz dieser sinnlosen Provokation erschien kein Ausdruck der Verärgerung auf ihrem müden, eingefallenen Gesicht. »Ach, JK.« Sie ging zu ihm hinüber und umarmte ihn.
Nach einer Weile spürte er, wie die Anspannung nachließ. Er erwiderte die Umarmung.
Am nächsten Tag ging er in die Firma. Er parkte den Wagen an der üblichen Stelle, so als ob nichts geschehen wäre.
Als er sein Vorzimmer betrat, war Bella in Tränen aufgelöst. Er traute sich nicht, etwas zu sagen, sondern klopfte ihr nur auf die Schulter.
Im Büro warteten sie schon auf ihn; sie waren vor dem alten, schlachtschiffgrauen Schreibtisch angetreten: Morgan, Xu, Lye, Rowen. Sie machten lange Gesichter, und keiner war in der Lage, ihm in die Augen zu sehen.
Ein Geruch nach süßlichem Rasierwasser durchzog Lees Büro.
Dort - hinter Lees Stahlschreibtisch - stand Gene Tyson.
Lee ging geradewegs auf Tyson zu und reichte ihm die Hand. »Glückwunsch, Gene. Art setzt großes Vertrauen in Sie. Sie haben einen höllischen Auftrag, aber die Leute, die Sie unterstützen, sind die besten ihres Fachs. Ich weiß, daß Sie es schaffen werden.«
Tyson ergriff die Hand. »Ich werde mich an einem SpitzenMann messen lassen müssen. In der Übergangszeit bin ich ohnehin auf Ihre Hilfe angewiesen. JK.« Er schaute sich im Büro um. »Sie müssen hier nicht ausziehen. Das ist nicht nötig. Ich meine.«
»Nein.« Lee ließ Tysons Hand los; er hatte den Schweiß von Tysons weicher Hand an den Fingern. »Nein, das ist schon in Ordnung, Gene. Ich brauche nur einen Tag, um das Büro zu räumen.«
»Natürlich.«
Immerhin hatte Tyson so viel Takt, um das Büro nun zu verlassen.
Nachdem Tyson gegangen war, kam JK sich selbst fehl am Platz vor.
»Verdammt, JK«, sagte Bob Rowen unvermittelt, und sein Mondgesicht unter dem graumelierten Stoppelhaar erweckte den Eindruck, als ob er jeden Moment in Tränen ausbrechen wollte. »Ich wollte nicht, daß es so kommt. Das wissen Sie. Das MEM ist Ihr Schiff.«
Lee legte ihm die Hand auf die Schulter und rüttelte ihn sachte. »Nun müssen Sie das Ruder rumreißen, mein Junge«, sagte er leise. »Und ich wüßte niemanden, dem ich das eher zutrauen würde.«
»Wir kennen uns nun schon so lange, JK. Seit der alten B-70.«
»Mein Gott, es ist doch nicht so, als ob ich zum Mars fliegen würde. Ich werde sowieso fast jeden Tag in der Firma sein.« Das stimmte; Cane hatte ihm eine Stabsstelle angeboten, so daß er den Rang eines Vizepräsidenten auch weiterhin innehatte. »Wenn Sie mich brauchen, müssen Sie nur zum Telefon greifen.«
Nun brachen bei Rowen die Dämme. »Ich weiß, JK. O Gott.«
Lee hatte das Gefühl, auch losheulen zu müssen. Wieder so ein Vernichtungsversuch.
Er trat zurück und klatschte in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen.
»Kommt schon, Leute. Geht wieder an die Arbeit.«
Seine Leute wollten die Verabschiedung fortsetzen und weitere Lobreden halten.
Er scheuchte sie aus dem Büro.
Nachdem sie gegangen waren, stand er für eine Weile da und betrachtete den wuchtigen Stahlschreibtisch. Das Möbel, das auf einem in den graublauen Unternehmensfarben gehaltenen Teppich stand, sah aus wie das Wrackteil eines Schiffs in der Weite des Meeres.
Er hielt es nicht mehr aus.
Er verließ das Büro und schloß die Tür hinter sich. Dann bat er die schluchzende Bella, seine Sachen zu packen und ihm nach Hause zu schicken.
Draußen wartete Jack Morgan. »Kommen Sie«, sagte Morgan. »Ich mach heute mal blau. Wir fahren zur Baiboa Bay runter und schütten uns mit Lemon Hart zu.«
Lee hielt das für eine ausgesprochen gute Idee. Doch auf dem Parkplatz vollzog sich plötzlich ein Sinneswandel.
»Nein«, sagte er. »Danke, Jack, heute nicht.«
»Hmh?« Die Besorgnis eines Arztes mischte sich in Morgans Verwunderung.
Lee grinste. »Ich bin schon in Ordnung. Es ist nur so, daß.« Morgan klopfte ihm auf die Schulter. »Kein Problem. Dann eben das nächstemal, hmh.«
»Klar.«
Lee ging zu seinem Sportwagen. Er nahm an, daß Morgan verstanden hatte.
Es ist nur so, daß ich den Tag mit Jennine verbringen möchte.
Montag, 13. August 1984
Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston
Der mit einer blauen Kombi bekleidete Bleeker saß auf einem gepolsterten Stuhl vor Muldoons Schreibtisch. Bleeker hatte große und helle Augen, die nach Muldoons Empfinden immer eine gewisse Ruhe ausgestrahlt hatten. Wie Kirchenfenster. Doch nun sah er Fältchen in den Augenwinkeln, und die Farbe war aus Bleekers Gesicht gewichen.
Als Bleeker zu sprechen anhob, war die Stimme angespannt, aber beherrscht. »Sagen Sie’s mir, Joe. Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein. Nein, natürlich nicht. Das wissen Sie doch.« Muldoon tippte auf den dicken braunen Ordner auf dem Schreibtisch. »Ist nur Ärzte-Scheiß. Hören Sie. Möchten Sie einen Drink?« Er öffnete die unterste Schublade des Aktenschranks. »Ich habe eine gute Flasche Bourbon hier, und.«
»Nein danke, Joe. Wenn Sie es mir bitte sagen würden.«
Muldoon öffnete den Ordner. Es handelte sich um den vorläufigen Bericht der flugärztlichen Untersuchung, die nach der D1-Mission bei Bleeker vorgenommen worden war. Er blätterte den Bericht durch, überflog die StoffwechselGrafiken, Strahlungsdosimetrie-Tabellen, gegengezeichnete Formulare und so weiter. Er fragte sich, wo er anfangen sollte. »Teufel, Adam. Sie wissen doch, wie das mit den Ärzten ist. Man verläßt die Praxis nur in zwei Zuständen: gesund oder.«
»Oder am Boden. Und ich bin am Boden. Ist es das, was Sie mir sagen wollen, Joe?«
Unwirsch schlug Muldoon mit der flachen Hand die Mappe zu. »Adam, Sie haben unzählige Mannstunden im Weltraum zugebracht, in Skylab, Moonlab und zuletzt bei der D1-Mission.«
Bleeker zog den Kopf ein.
»Damit haben Sie sich für eine Teilnahme an der AresMission qualifiziert. Richtig? Wir wissen, daß Sie für Langfrist-Missionen geeignet sind, weil Sie sich in dieser Hinsicht bereits bewährt haben. Obendrein haben Sie noch Erfahrung mit der neuen Technik des MEM gesammelt. Und Sie sind sich über die Konsequenzen eines derart langen Aufenthalts im Weltall im klaren.«
»Wo liegt dann das Problem? Muskelschwund?« Zum erstenmal schien Bleeker beunruhigt. »Ist es das Herz?«
»Nein«, beeilte Muldoon sich zu sagen. »Soweit ich aus diesem Kram schlau werde, ist mit Ihrem Herzen alles in Ordnung. Adam, Ihre Flugtauglichkeit steht hier nicht zur Debatte. Bei Ihnen ist auf den Flügen kaum Muskelschwund aufgetreten, und Sie haben sich schnell wieder erholt.«
»Was dann? Kalziummangel?«
»Das auch nicht. Adam - es ist die Strahlenbelastung.«
»Ich liege noch im Grenzbereich«, sagte Bleeker hastig.
Muldoon bemühte sich, ein Gähnen zu unterdrücken. »Ja, aber für Sie wurden die Regeln geändert. Man muß den Ärzten zugute halten, daß sie ständig dazulernen: die Auswirkungen einer langfristigen, geringen Strahlenbelastung sind bisher kaum erforscht, doch dafür wurden andere Gefahrenpotentiale ermittelt. Haben Sie schon einmal von freien Radikalen gehört?«