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Bleeker runzelte die Stirn.

»Freie Radikale sind Bruchstücke von Molekülen. Hoch energetisch. Wie Ionen - aus deren Atomen Ladungen herausgeschlagen wurden -, nur daß sie mehr >Bums< haben. Sie sind stark oxidierend, was bedeutet, daß sie Appetit auf Sauerstoff haben. Sie berauben sogar benachbarte Moleküle ihrer Wasserstoffatome. Und wenn das in den Körperzellen geschieht, ist das unter Umständen schädlich.

Jeder Mensch hat freie Radikale im Körper. Wir brauchen sie für die Stoffwechseltätigkeit. Aber es gibt einen Grenzwert. Im Körper findet ein Wechselspiel zwischen Produktion und Absorption statt, so daß ein Gleichgewicht gewährleistet ist. Wenn man jedoch hochenergetischer Strahlung, Sonneneinstrahlung oder extremen Temperaturen ausgesetzt ist.«

»Entstehen mehr freie Radikale.«

»Richtig. Das Gleichgewicht geht verloren.« Muldoon überflog den Bericht ein zweitesmal. »Diese Babies vermehren sich. Ein freies Radikal kehrt in den Normalzustand zurück, indem es dem Nachbarn ein Elektron stibitzt. Nur daß der Nachbar sich dann in ein freies Radikal verwandelt. Der Körper verfügt zwar über einen Abwehrmechanismus gegen diese Dinger, doch besteht die Gefahr, daß er überwältigt oder lahmgelegt wird. Und die Schäden hängen dann davon ab, welche Körperteile in Mitleidenschaft gezogen werden. Wenn eine DNA-Base beschädigt wird, tritt Krebs auf. Wenn Proteine beschädigt werden, verliert man die Kontrolle über die Körperfunktionen. Und wenn Membran-Lipide perforiert werden, treten innere Blutungen auf.«

Bleeker runzelte die Stirn. »Membran-Lipide, Joe?«

Muldoon versuchte sich verständlich auszudrücken: daß freie Radikale den Alterungsprozeß beschleunigten, daß sie Krebs sowie degenerative Erkrankungen des Herzens, der Leber und der Lunge verursachten; daß der Verlust des Gleichgewichts der freien Radikale eine Vielzahl anderer MikrogravitationsProbleme verursachte wie Störungen des Gleichgewichtsorgans im Ohr, Knochenschwund etc.

»Adam, haben Sie schon mal ein Stück Butter in der Sonne stehenlassen?«

»Wird ranzig«, sagte Bleeker nach kurzer Überlegung.

»Da haben Sie’s. Das sind die freien Radikale.«

Bleeker starrte Muldoon an und zupfte sich scheinbar unbewußt am Ärmel.

Bleeker schien wirklich die Ruhe weg zu haben. Anders hätte er auch kaum den ganzen Atomkriegs-Scheiß verkraftet, für den man ihn ausgebildet hatte, sagte Muldoon sich. Vielleicht lagen die Psychos mit ihrer Vermutung richtig, daß Bleeker an Phantasiearmut litt.

Doch nun erkannte Muldoon, daß unter der Oberfläche sich eine Spannung aufbaute. Wie würde er wohl darauf reagieren, auf die schlimmste Nachricht seines Lebens?

»Schauen Sie, Adam. Sie müssen das einsehen. Sie sind nicht krank. Es ist nur so, daß wegen dieser Studie Grenzwerte verschärft wurden. Und Sie, mit Ihrer langen Verweildauer im Weltraum, haben diese Grenzwerte bereits überschritten. Wäre die Studie über die freien Radikale schon vor ein paar Monaten veröffentlicht worden, hätten Sie wahrscheinlich nicht einmal mehr an der D1-Mission teilnehmen dürfen. Sehen Sie -vielleicht hätten Sie durch die freien Radikale gesundheitliche Schäden davongetragen. Oder auch nicht. Oder etwas anderes.«

»Ich habe mich bewährt, Joe, sowohl im Weltraum als auch auf dem Boden. Sehen Sie nur, wie erfolgreich der D1-Flug war. Ich habe es verdient, an diesem gottverdammten Einsatz teilzunehmen.«

»Ich weiß das, aber.«

»Und ich weiß, was ich von Arztberichten zu halten habe. Sie reden von Risiken. Von Möglichkeiten und Prozentsätzen. Aber nicht von Gewißheiten. Überhaupt wäre es unlogisch. Die Verweildauer der Ares-Besatzung im Weltraum wird meine kumulierten Zeiten sogar noch übertreffen.«

»Aber sie fangen mit niedrigeren Werten an, Adam. Sogar Phil Stone.«

»Joe, die Risiken sind mir egal. Ich will unbedingt fliegen.«

»Auch wenn es Sie das Leben kostet?«

»Auch dann.«

Bleeker hob den Kopf und sah Muldoon wieder mit diesen großen Kirchenfenster-Augen an. Sein Blick war offen und aufrichtig und kündete von unbedingtem Einsatzwillen.

Ich muß ihm die Flausen hier und jetzt austreiben. Er darf sich keine Hoffnungen mehr machen. Und er hatte auch nicht vor, Bleeker von dem Druck zu erzählen, der auf ihn ausgeübt wurde: von den Flugärzten und sogar von Josephson, dem

NASA-Direktor höchstpersönlich. Dahinter würde er sich nicht verschanzen.

»Darum geht es überhaupt nicht, Adam«, sagte er, wobei er versuchte, seiner Stimme einen metallisch harten Klang zu verleihen. »Ich darf nicht das Risiko eingehen, daß Sie auf halbem Weg zum Mars plötzlich krank werden. Ich darf das nicht riskieren. Sie würden sonst den Erfolg der Mission gefährden.«

Der Anflug eines Lächelns erschien auf Bleekers Gesicht. Dann erhob er sich ungelenk, wobei er sich noch immer am Ärmel zupfte. »Ich respektiere Ihre Entscheidung, Joe.«

»Meine Güte. Lassen Sie die Höflichkeiten, Adam. Wir unterhalten uns später weiter. Sie wissen, daß ich auf Ihre Unterstützung angewiesen bin. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um die Sache zu regeln. Und später - Teufel, es gibt auch beim Bodenpersonal Karrieremöglichkeiten.« Er stieß ein hohles Lachen aus. »Verlassen Sie sich auf mich. Sie sind noch immer im Spiel, Adam.«

»Sicher. Ich kenne meine Pflichten, Joe. Ich werde tun, was ich kann.«

Das ist ein gottverdammter Job. Er ist der fähigste Mann im Astronauten-Büro, und ich muß ihn rausschmeißen. »Ja. Ich weiß, daß Sie das tun werden.«

Bleeker drehte sich noch einmal zu ihm um. »Übrigens - wer soll mich ersetzen? Haben Sie sich schon entschieden?«

Joe Muldoon zögerte.

Sein schönes Rotationssystem war schon Makulatur, seit er Curval rausgeschmissen hatte, und nun zogen die Ärzte auch noch Adam aus dem Verkehr. Plötzlich fühlte er einen irrationalen Zorn auf die Ärzte, die Verwaltung, die Psychologen und den Rest der Truppe, die ihm seine Kompetenz streitig machten.

Er hatte das Bedürfnis, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen und die Zügel wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Er hatte bereits mit Phil Stone gesprochen, dem AresKommandanten. Stone hatte sich voll hinter Bleeker gestellt. Nachdem er schließlich akzeptiert hatte, daß Bleeker nicht an der Mission teilnehmen würde, hatte Stone indes klare Vorstellungen gehabt, wer in Bleekers Fußtapfen treten sollte.

Nun, Joe, Sie müssen den besten Missions-Spezialisten auswählen. Jemand, der besser ist als Adam. Jemand, der den größten Einsatz gezeigt hat: jemand, der die meiste Zeit im Simulator verbracht hat, der die Erstbesatzung ausgebildet hat und so weiter. Und...

Was?

Und jemanden, der die Dinge, die Mission auf eine Art und Weise betrachtet, wie es alten Hasen wie Ihnen und mir nicht möglich ist. Eine andere Perspektive. Jemand, der sie vielleicht besser zu artikulieren vermag...

Egal, ob Anfänger oder nicht, Phil?

Teufel, ja, Joe. Egal, ob Anfänger oder nicht.

Muldoon mußte grinsen. Er wußte, daß der Kandidat, an den er dachte, lange Zeit mit Ralph Gershon zusammengearbeitet hatte - sowohl im MLTV als auch im Simulator und beim Überlebenstraining. Aber auch nur deshalb, weil sie beide Außenseiter waren und sozusagen eine Schicksalsgemeinschaft bildeten. Dennoch hatten sie ihre Kooperationsfähigkeit unter Beweis gestellt, auch wenn sie wohl nie Busenfreunde werden würden. Die Seelenklempner werden im Dreieck hüpfen, wenn gleich zwei Neurotiker an einem Flug teilnehmen und nur Phil Stone da ist, um zu verhindern, daß sie sich an die Kehle gehen...