Bleeker drehte sich um und winkte in eine der allgegenwärtigen Kameras.
»Ich wollte vorher noch einmal die Basis-Parameter der Simulation mit euch durchgehen«, sagte der Versuchsleiter. »Es handelt sich nicht um eine integrierte Simulation.« Also waren sie nicht mit der Zentrale verbunden. »Wir haken hier nur versuchsweise die Checkliste ab, nach der wir uns richten müssen, wenn wir im Orbit die Werkstatt einrichten. Gut, machen wir weiter.«
Die Taucher nickten Jones zu und geleiteten ihn zum ApolloModell. Es handelte sich nur um einen offenen Käfig, der am Kopplungstunnel montiert war. Die Simulation sollte in dem Moment beginnen, wo die Besatzung in die Werkstatt eindrang, um sie bewohnbar zu machen.
Zuerst mußten sie das Haltegestell am Bug der Apollo abbauen und den Tunnel zur Werkstatt öffnen. Dieser Teil müßte zumindest glatt über die Bühne gehen, weil es sich bei diesem Andockmanöver um eine Standardroutine bei den Mondflügen handelte.
Jones hörte Bleekers rasselnden Atem, während er am schweren Haltegestell zerrte. »Immer mit der Ruhe, Junge. Wir werden nach Stunden bezahlt.«
Bleeker lachte und entspannte sich ein wenig.
Nachdem sie das Haltegestell abmontiert hatten, übergab Bleeker es einem Taucher.
Dann drang Bleeker durch die Kopplungsöffnung in den Kopplungstunnel ein, gefolgt von Jones. Der Tunnel war eng und mit Schränken ausgekleidet. Die gesamte Ausrüstung für die Wohnquartiere und Experimente sowie Kleidung und Nahrung etc. waren während des Starts in diesen Schränken verstaut; nachdem sie den Wasserstofftank umgebaut hatten, würden Jones und Bleeker noch einmal zurückkommen, die
Schränke ausräumen und die Ausrüstung in den Tank schaffen müssen.
Nun drang Bleeker in den Wasserstofftank selbst vor.
Die Metallwände des Tanks traten vor ihm auseinander. Es war stockdunkel, und Jones hatte das Gefühl, Bleeker in eine riesige, unheimliche Metallgruft zu folgen. »Halt, Adam; laß uns etwas Licht ins Dunkel bringen.« Jones nahm die Taschenlampe vom Gürtel und klemmte sie an die Stange, die entlang der Längsachse des Tanks verlief.
Das Licht der Lampe drang durchs Wasser und traf auf die rückwärtige Wand, deren Ausbuchtung auf ihn wies. Dies war das Schott zwischen dem Wasserstofftank und dem darunter befindlichen Flüssigsauerstofftank des Zusatztriebwerks. Helium-Druckkugeln klebten wie große silberne Warzen an den Wänden. Handläufe und Stangen zogen sich durch die Metallhöhle, und zusammengefaltete Trennwände und andere Ausrüstungsgegenstände waren säuberlich an den Wänden des Tanks aufgereiht. Zu ordentlich. Ich frage mich, was diese armen Schmocks vorfinden werden, wenn der Ernstfall eintritt und dieser Vogel im Orbit hängt.
Die Skylabs waren im Grunde Provisorien. Doch sie verhalfen der NASA zu den notwendigen Erfahrungen mit Blick auf orbitale Operationen und Langstreckenflüge, bevor die wirklichen Raumstationen zum Einsatz kamen.
»Gut, Männer«, sagte der Versuchsleiter. »Wie ihr wißt, besteht eure erste Aufgabe im Orbit darin, den Verschluß der Brennstoffleitungen zu kontrollieren. Heute übergehen wir das jedoch und kommen gleich zum Verlegen des Bodens.«
»Wir kennen die Prüfliste auch«, knurrte Jones. »Mach weiter, du Eumel.« An der Stange glitt er tiefer in den Tank hinein.
Nun widmeten Bleeker und Jones sich den an der Wand des Tanks gestapelten Bündeln mit Bodensegmenten. Ihre Aufgabe bestand darin, über die ganze Breite des Tanks und auf zwei Dritteln der Länge einen Boden aus Aluminiumprofilen zu verlegen. Das Anbringen der Profile glich dem Legen eines Puzzles, wobei die Achse des Tanks als Bezugspunkt diente.
Die beiden Männer arbeiten sich von den Wänden des Tanks zum Zentrum vor. Es war eine einfache, aber langwierige und ermüdende Arbeit. Jones hatte Probleme, die Werkzeuge mit den behandschuhten Händen zu greifen, zumal das Wasser jeder Bewegung Widerstand entgegensetzte.
Taucher waren ihnen in den Tank gefolgt. Einer hatte eine Unterwasserkamera dabei und filmte sie.
Der Versuchsleiter wollte sie aufmuntern: »Wir wissen eure Hilfe zu schätzen, Jungs. Wir wissen sehr wohl, daß ihr auch für andere Missionen vorgesehen seid und daß ihr diese hier vielleicht gar nicht ausführen werdet.«
Hoffentlich nicht, sagte Jones sich.
Chuck Jones sollte zum Mond fliegen. Er war Stellvertreter des Kommandanten von Apollo 15, was ihm aufgrund des für die Besatzungen geltenden Rotationsprinzips nach zwei weiteren Flügen, also bei Apollo 18, ein eigenes Kommando einbringen würde.
Der Kongreß hatte den NASA-Etat für das Haushaltsjahr 1971 jedoch gekürzt und auf den Stand von 1962 zurückgeführt. Und Nixon hatte noch immer nicht auf die Vorschläge der >Arbeitsgruppe Weltraum< in bezug auf die künftige Entwicklung des Raumfahrtprogramms reagiert, obwohl das Gerücht ging, daß er unter dem ständigen Druck von Kennedys medienwirksamen Inszenierungen nun doch mit einem Mars-Programm liebäugelte.
Auf jeden Fall würde die NASA Saturn V-Raketen brauchen, um die Skylabs und Raumstation-Module hochzuschießen und die NERVA-Testflüge durchzuführen. Folglich würde die NASA die Saturn V-Starts strecken müssen. Die verbleibenden Mondflüge, Apollo 14 bis 20, würden in Halbjahres-Abständen erfolgen.
Im Oval Office kursierte das Gerücht, wonach spätere Flüge ganz gestrichen würden.
Jones war schon ins All geflogen. Einmal.
Als Nachfolger von John Glenn hatte er bei der zweiten Mercury-Mission dreimal die Erde umkreist. Es war ein regelrechter Spaziergang gewesen. Er hatte das Gefühl der Schwerelosigkeit genossen und die Kapsel so ausgerichtet, daß die Erde ständig vor dem Sichtfenster stand.
Doch bei den Manövern im Orbit hatte er zuviel Brennstoff -Wasserstoffperoxid - verbraucht.
Als er zur Erde zurückkehren wollte, wußte niemand, ob er noch genug Brennstoff hatte, um die Kapsel so auszurichten, daß sie im richtigen Winkel in die Atmosphäre eintrat. Vielleicht hatte er durch die Faxen im Orbit den ganzen Brennstoff vergeudet. Hatte er nicht; er schoß zwar um vierhundert Kilometer über den Zielpunkt hinaus, doch nach ein paar Stunden wurde er von den Helikoptern eines Flugzeugträgers aus dem Wasser gefischt.
Jones war mit sich zufrieden. Leider waren die Obermuckel der NASA nicht mit ihm zufrieden: seine Kapriolen hätten ihn auch den Kopf kosten können.
Offiziell blieb Jones im Dienst und wurde für einen späteren Flug vorgesehen. Dennoch herrschte fortan eine gewisse Distanz zwischen Jones und dem übrigen Astronauten-Korps. Deke Slayton, der Chefastronaut, hatte ihm mit einem Wink mit dem Zaunpfahl nahegelegt, den Dienst zu quittieren.
Doch da war Jones erst recht bockig geworden und hatte das rundweg abgelehnt. Er wußte, daß er eine gute Leistung erbracht hatte. Er hatte sogar Glenn übertroffen; zumindest hielt er sich das zugute.
Also blieb er weiterhin Astronaut und würde auch zum Mond fliegen. Um nicht aus der Übung zu kommen, arbeitete er unter Slayton und Alan Shepard - auch ein Weltraumpionier, der wegen eines Ohrenleidens nicht mehr fliegen durfte - in der Bodenstation.
Jones hatte dort für volle acht Jahre Dienst getan: Flugpläne erstellt und trainiert, an Simulationen und Einsatzprofilen gearbeitet. Acht Jahre.
Nun waren die damaligen Vorgesetzten anscheinend im Ruhestand, denn seine Eigenmächtigkeiten waren vergessen, und man erteilte ihm wieder Flugerlaubnis.
Nur daß er nicht viel davon hatte, wenn die Mondflüge eingestellt wurden. Und für den Mars wäre er dann wohl zu alt.
Es war nicht Forscherdrang, der Jones beseelte. Für ihn zählte nicht das Ziel - der Mond -, sondern nur die Reise dorthin: eine Mission, die Gelegenheit zu einem tollkühnen Probeflug bot.
Die Skylabs würden ihm das nicht bieten. Für ihn stellte es gewiß nicht den Höhepunkt seiner Karriere dar, die Erde auf einer niedrigen Umlaufbahn in einem besseren Mülleimer zu umkreisen und die Tage abzureißen.