Aber das ist es doch, was du wolltest, Ralph. Nicht wahr? Das ist es, worauf du all die Jahre hingearbeitet hattest. Um in Armstrongs Fußstapfen zu treten und auf einem fremden Planeten zu landen.
Er bekam Herzklopfen.
Dann machte er einen Ort aus, der auf den ersten Blick günstig erschien, doch beim Anflug sah er, daß die Stelle mit Felsen übersät war. Vielleicht noch ein Geschenk für Natalie, aber eine Katastrophe für das MEM, hätte es dort eine Landung versucht. Dort drüben war das Gelände zwar glatter, doch für
Gershon mutete der Boden wie Blätterteig an - brüchig und überall Rinnen und Spalten. Wenn auch nur der Teller eines Landebeins einbrach, würde das ganze verdammte MEM umkippen.
Er zog Challenger wieder hoch, damit das Schiff nicht zu schnell wurde. Vor ihm lag wieder ein felsiger Abschnitt, und er drehte nach links ab, um ihn zu umgehen.
Auf dem ganzen abgefuckten Planeten, so sagte er sich, gab es keinen Landeplatz.
Schweiß tröpfelte von der Stirne und lief ihm in die Augen, so daß er blinzeln mußte.
Das Gelände spulte sich am Horizont ab, raste auf ihn zu und machte ihm in allen unerfreulichen Details klar, daß es für eine Landung nicht in Frage kam. Es war wie verhext.
»Neunzig Meter, abwärts einen Meter, dreizehn komma fünf vorwärts.«
»Wie sieht’s mit dem Treibstoff aus?«
»Sieben Prozent.«
Scheiße. Das war schlechter als in allen Simulationen. Mit Ausnahme der Übungen, wo er eine Bruchlandung gebaut hatte.
Dort. Ein flacher Abschnitt, ein kleines Plateau zur Rechten: nicht mehr als ein Staubfeld. Auf der einen Seite war ein Feld mit großen Felsbrocken, auf der anderen eine erodierte Fläche. Dieser Sektor war nicht größer als ein Parkplatz, hundert Quadratmeter vielleicht, aber es müßte ausreichen.
Er hatte seinen Landeplatz.
Er zog am Steuerknüppel. Das MEM kippte nach rechts ab. Er nahm eine Peilung mit der Strichplatte vor und gab die Daten in den Computer ein. Vor dem geistigen Auge wurden diese unsichtbaren Kurven, Yorks magische Polynome, ausgeworfen und geleiteten ihn zur Landezone.
»Fünfundsechzig Meter. Drei komma neun vorwärts, eins komma zwei abwärts. Drei komma drei vorwärts. Wir kommen gut runter. Anzeigen für Höhe und Geschwindigkeit an.«
Der Schatten von Challenger jagte über die zerklüftete Oberfläche des Mars auf ihn zu. Der Schatten hatte die Konturen eines dicken, unregelmäßigen Kegels; er sah das Antennenbüschel und die aus der Basis ragenden Landebeine mit den langen Kontaktsonden.
Es war wirklich nicht viel Luft zwischen ihm und dem Schatten.
Und nun wurden rote, braune und gelbe Staubwolken von der Oberfläche aufgewirbelt und blieben in der dünnen Luft hängen. Staub und Schatten. Das hat bei den Simulationen gefehlt.
Das hier ist die Wirklichkeit, Ralph!
Eine Leuchtfläche mit der Aufschrift >LANDUNG QTY< ging an. Der Treibstoff ging zur Neige. War er zu niedrig, wenn der Treibstoff verbraucht war, bedeutete das den sicheren Tod: zu niedrig, um noch abzubrechen, und zu hoch, um sicher zu landen. Das MEM würde abstürzen und wie ein Aluminium-Ei an der Oberfläche zerschellen.
Er versuchte, die Warnlampe zu ignorieren. Überzüchteter Schrott. Laßt mal einen Profi ans Steuer.
PGNS entließ das Raumschiff aus dem Landeprogramm, und die Challenger setzte zur Landung an.
Er peilte eine Rinne kurz vor dem Landepunkt an, um sie als Bezugspunkt für die Höhe und Bewegung des Schiffs zu verwenden. Er hielt den Blick auf die Rinne gerichtet, während er die Horizontalgeschwindigkeit aufzehrte. Das MEM mußte senkrecht landen, ohne eine seitliche Abdrift. Sonst bestand die Gefahr, daß beim Aufsetzen ein Landebein brach.
Das Raumschiff war in eine Staubwolke gehüllt, die ihm die Sicht nahm und das Fenster mit ockerfarbenem Puder überzog.
»Dreißig Sekunden.«
»Vorwärtsdrift?«
»Alles klar. Hundert Meter hoch. Runter mit einem Meter pro Sekunde.«
Der Staub war überall. Nun sah er auch, wie der Staub auf dem Boden nach allen Seiten wegstob. Beim Anblick der Staubfahnen wurde ihm schwindlig; sie hatten Ähnlichkeit mit dem Nebel, der sich manchmal auf ein Flugfeld legte. Dann machte er einen Felsen aus, der aus dem Dunst ragte und nutzte ihn als Orientierungshilfe.
»Achtzehn Meter. Abwärts mit sechzig Zentimetern pro Sekunde. Sechzig vorwärts. Sechzig vorwärts. Gut.«
Er betätigte den Abstiegsschalter und zehrte die Geschwindigkeit auf, bis Challenger gemächlich wie eine Feder dem Mars entgegenschwebte.
»Fünfzehn Meter. Neun. Runter mit achtzig Zentimetern pro Sekunde. Wir wirbeln eine Menge Staub auf.«
Das sehe ich selber, verdammt. Das MEM driftete zurück, ohne daß Gershon den Grund kannte. Der Rückwärtsgang war schlecht, weil er nach hinten nichts sah. Er betätigte die Handregler.
»Sechs Meter.«
Die Rückwärtsbewegung hatte er abgestellt, doch dafür setzte nun eine seitliche Abdrift ein. Verflucht! Er ärgerte sich über sich selbst. Im Moment flog er die Kiste wie ein Anfänger.
»Neigungswinkel nach vorn vier Grad. Drei Grad. Leichte Linksdrift. Schwacher Schatten.«
Der Schatten kam näher, und der aufgewirbelte Staub nahm ihm die Sicht auf den Boden. Er versuchte, das MEM in die Vertikale zu bringen.
Er stürzte blind dem Boden entgegen.
»Eins komma zwei vorwärts. Null komma neun vorwärts. Höhe fünfzehn Zentimeter. Linksdrift.«
Gershon verspürte einen leichten Stoß.
»Kontaktlicht«, sagte Stone. »Kontaktlicht, bei Gott.«
Gershon warf Stone einen kurzen Blick zu.
Dann schaltete er hastig das Abstiegstriebwerk ab.
Die Triebwerksvibrationen, die den angetriebenen Abstieg begleitet hatten, ebbten ab. Er hätte das Triebwerk sofort abschalten sollen, als das Kontaktlicht aufleuchtete. Wenn das Triebwerk zu dicht am Boden feuerte, bestand nämlich die Gefahr, daß der Gegendruck der Abgase das Aggregat zur Explosion brachte.
Challenger bewältigte die letzten anderthalb Meter im freien Fall und landete mit einem kräftigen Stoß auf dem Mars. Gershon ging in die Knie, und die Ausrüstung in der Kabine wurde durchgerüttelt.
»Scheiße«, sagte er.
Stone ging die Checkliste durch, die nach der Landung abgearbeitet werden mußte. »Triebwerk stop. ACA entriegelt.«
»Entriegelt.«
»Beide Steuerungsmodi auto. Manuelle Regelung des Abstiegstriebwerks aus. Triebwerkszündung aus.«
Sie hakten den T plus eins-Prüfpunkt ab, die erste Bleiben/Nicht Bleiben-Entscheidung.
Nachdem sie im Schiff Verschlußzustand hergestellt hatten, würden sie es für eine Weile hier aushalten.
Vor Gershons Fenster erstreckte sich ein flacher, naher Horizont. Er sah Dünen, Staub und kleine Felsen, die auf der Oberfläche verstreut waren. Nirgends regte sich etwas. Ohne die auf der Erde existierenden Bezugspunkte wie Gebäude, Bäume und Menschen war es schwierig, den Maßstab der Geländemerkmale zu bestimmen. Die kleine, gelbe Sonne stand tief am gelbbraunen Himmel. Das durchs Fenster einfallende Licht war eine Mischung aus Pink und Braun und wurde vom Helmvisier und den Wangen reflektiert.
Marslicht spielte auf seinem Gesicht.
Er sah Stone hinter dem Helmvisier grinsen. »Houston, hier spricht Mangala Valles. Die Challenger ist auf dem Mars gelandet.« Gershon hörte den Überschwang in seiner Stimme.
Gershon, Stone und York schüttelten sich die Hände, klopften sich auf den Rücken und täuschten spielerisch Schläge auf die Helme an.
»Houston, richtet Columbia Aviation Grüße von mir aus. Die alte Gurke hat uns runtergebracht. JK, du bist schon ein ausgebuffter Raketenmann.«