In der Hotellobby deckte Dana sich mit Autoaufklebern, TShirts und Ansteckern für Jake und Maria ein. ARES: ICH WAR DABEI. Die Kinder und Mary waren bei Sylvia in Hampton. Die beiden Teenager, die ihrem Vater immer ähnlicher sahen, waren wahrscheinlich schon zu cool für diesen Kram. Doch das focht Dana nicht an. Dann sollten sie es eben für ihre Kinder aufheben.
Dana hatte für einen Tag einen kleinen Kabinenkreuzer gemietet und holte das Boot schon im Morgengrauen ab. Er fuhr zu einem flußabwärts gelegenen Ankerplatz, der sich fünf Kilometer südlich der Startrampe befand.
Er hätte natürlich auch einen Tribünenplatz bekommen oder den Start von einem der NASA-Zentren aus verfolgen dürfen. Doch so war es ihm lieber. Er wollte allein sein. Er brauchte den Freiraum, um Jims zu gedenken - von Rechts wegen hätte Jim nämlich einer der drei Mars-Forscher sein müssen, die in der Spitze der großen Rakete auf Rampe 39-A steckten.
Überhaupt war er gern auf dem Wasser. Deshalb hatte er es auch so lange in Hampton ausgehalten. Und aus dieser Perspektive kam der an der Grenze zwischen Land und Meer gelegene Raumhafen am besten zur Geltung. Es war, als ob drei Elemente - Land, Meer und Weltraum - sich an diesem Ort vereinigt hätten, hier, wo die Kette von massiven Raketensilos der Erosion des platten Lands Einhalt gebot.
Auf dem Wasser war er genau richtig. Zumal er den Start vom Ankerplatz aus besser verfolgen konnte als von der Tribüne aus.
Er manövrierte durch die Armada von Jachten, Booten, Katamaranen und Kajaks, die sich auf dem Kanal tummelten.
Die Wasserstraße war fast so verstopft wie die Autobahnen und Landstraßen. Es würde ein paar Stunden dauern, bis er den Ankerplatz erreicht hatte, doch er hatte schließlich Zeit.
Die Sonne kam zwischen den niedrigen Wolken über dem Golfstrom hervor.
Gebäude für Operationen der Bemannten Raumfahrt,
Cocoa Beach
Der Anzugs-Raum hatte die Größe einer Hotelsuite: mit weiß getünchten Wänden, fensterlos, steril. Drei Liegen standen in der Mitte des Raums. Drei orangefarbene Druckanzüge, deren leere Helme wie offene Mäuler klafften, lagen auf dem Boden. Das weiße Licht blendete sie; der Raum wirkte wie ein futuristisches Labor, und die Anzüge sahen aus wie die sezierten Kokons gigantischer Insekten.
Anzugstechniker, die mit weißen Overalls bekleidet waren und Kappen und Mundschutz trugen, kamen auf die Besatzung zu und applaudierten. Ein paar Techniker hatten diesen sanften, verklärten Blick, der York schon in den letzten Monaten auf ihren Reisen durch das Land aufgefallen war.
Nach dem Wohnheim und dem Casino war das die erste wahrhaft unmenschliche Umgebung, in der York sich heute aufhielt.
Sie bekam ein flaues Gefühl im Magen. Sie bemühte sich, das Tempo beizubehalten und war dem vor ihr marschierenden Phil Stone dankbar, daß er sie mitzog; sie mußte nur mit ihm Schritt halten, und alles wäre in Ordnung.
Dann wurde sie von zwei Krankenschwestern hinter eine Trennwand geführt und mußte sich ausziehen. Sie sah, wie ihre Kleidung zu einem Bündel verschnürt und irgendwo deponiert wurde. Sie fragte sich, ob sie die Kleider je wiedersehen würde.
Für einen Moment stand sie nackt an der Schwelle zwischen Erde und Himmel, aller irdischen Güter beraubt.
Ihre Brust wurde betupft, und ein biomedizinischer Instrumentengürtel wurde ihr um die Hüfte gelegt. Vom Gürtel gingen vier Drähte aus, an denen Silberchlorid-Elektroden hingen. Diese wurden an der Brust befestigt. Die kleinen Elektroden waren kalt und hart.
Dann mußte sie sich den Po mit einer Salbe einreiben und schlüpfte in den Fäkalienbeutel, eine Plastikwindel mit einem Loch zum Urinieren. Diese Prozedur war erniedrigend, aber unumgänglich. Falls im Orbit etwas schiefging, würde es fast eine Woche dauern, bis man sie auf die Erde zurückgeholt hatte. Und während der ganzen Zeit steckst du in diesem Anzug. Du wirst in dieser Zeit Darmtätigkeit haben, egal, wieviel Steak du gemampft hast. Also leg die gottverdammte Windel an.
Also leitete York den Flug zum Mars damit ein, ihren knochigen Hintern mit Zinksalbe zu bestreichen.
Nachdem sie die Windel angelegt hatte, zog sie eine Art Strumpfhose an. Dann folgten ein bequemer Büstenhalter und eine Garnitur lange Unterwäsche.
Anschließend führte man ihr einen Katheter ein, welcher über eine Röhre zu einem Urinsammelbehälter führte, der aussah wie eine Wärmflasche.
Nun kamen zwei Anzugstechniker mit einem Druckanzug auf sie zu. Es war ein fabrikneuer orangefarbener Panzer mit den Konturen eines menschlichen Körpers. Arme und Beine baumelten herab. Der Anzug war mit dem NASA-Emblem und dem Missionslogo verziert. Die Techniker sagten ihr, sie solle sich hinsetzen und stopften sie in den Anzug.
Der Anzug hatte drei Schichten. Die innere Lage bestand aus Fünf-Unzen-Nomex, das sich weich wie Satin an die Haut schmiegte. Die äußere Schicht bestand aus reißfestem BetaCloth. Die mittlere Lage, die Druckschicht, war eine NeoprenBlase, die von einem Netzwerk aus Schläuchen und Ventilen durchzogen wurde. Aufgeblasen würde sie einen Druck von einem viertel Ge auf den Körper ausüben. Der Anzug war mit Rollen, Kabeln und Gelenken ausgestattet, die sie bei der Bewegung unterstützen sollten, wenn das Ding unter Druck gesetzt war.
York hatte das Gefühl, in einen zweiten Körper zu schlüpfen, bei dem die Adern durch Gummizüge ersetzt waren, die Gelenke durch Rollen und die Muskeln durch Kabel.
Dann trat sie hinter der Trennwand hervor und wurde zu den Liegen geführt. Stone und Gershon waren schon fertig. Sie saßen nebeneinander auf den Liegen. Offensichtlich dauerte das Überziehen eines Kondoms nicht so lang wie die Einführung eines Katheters.
Sechs Techniker nahmen sie unter die Fittiche. Zwei führten sie zu ihrer Liege und bedeuteten ihr, sich zu setzen. Dann verbanden sie den blauen und roten Anschluß an der Brust mit Schläuchen, die ihr von einer Konsole Luft zuführten. Als nächstes zogen sie ihr schwarze Gummi-Druckhandschuhe und schwere Stiefel an. Ein zweites Techniker-Duo stülpte ihr die Astronauten-Haube über den Kopf und fixierte das Mikrofon unter dem Kinn.
Sie kam sich vor wie eine Braut, der man das Hochzeitskleid anlegte. Nur daß es in diesem Fall länger dauerte. Ständig diese Berührungen. Vielleicht lag dieser Vorbereitung ein Subtext zugrunde, ein Urinstinkt, der bis in die Zeit zurückreichte, als die Menschen sich gerade aus den Primaten entwickelten. Sie mußte berührt und gestreichelt werden, bevor sie auf eine gefahrvolle Reise geschickt wurde.
Die letzten zwei Techniker nahten mit dem Helm. Er sah aus wie ein Goldfischglas mit einem schmalen Metallrahmen.
Sie sog ein letztesmal die antiseptische Luft ein, lauschte dem Murmeln der Techniker und spürte den leichten Luftzug der Klimaanlage auf der Haut.
Dann senkte der Helm sich über ihren Kopf. Im Nacken schabte Metall auf Metall.
Sie war versiegelt. Die Außengeräusche ebbten ab, und die Sicht wurde durch die Krümmung des gläsernen Helms verzerrt. Der Atem und das Blut rauschten ihr in den Ohren.
Nun mußte sie sich zurücklegen und für eine halbe Stunde warten, die ihr indes viel länger erschien. Die Konsole füllte den Anzug mit reinem Sauerstoff und entzog dem System überschüssigen Stickstoff.
Die Techniker wuselten um die drei herum, überprüften dieses und jenes und grinsten sie dabei an. Durch das Glas des Helms wurden ihre Gesichter zu Karikaturen verzerrt. Die Techniker folgten einer komplizierten, lautlosen Choreographie. Sie erschienen York wie Arbeitsameisen, die um drei Königinnen herumscharwenzelten.
Ralph Gershon bat einen Techniker, ihm ein Handtuch auf den Helm zu legen. Dann legte er sich zurück und faltete die Hände über der Brust. Allem Anschein nach machte er ein Nickerchen.