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Die NASA hatte für die Presse Bürocontainer aufgestellt. Dort gingen nun Reporter ein und aus und deckten sich mit Kopien des Missions-Zeitplans und Werbegeschenken von den Firmen der Luft- und Raumfahrtindustrie ein. In den Ü-Wagen der Fernsehsender, die zu Muldoons Linken in der Nähe des VAB stationiert waren, herrschte geschäftiges Treiben. Die Panoramabildschirme leuchteten im Morgenlicht.

Aus Lautsprechern dröhnten die Stimmen der Astronauten auf der Luft-Boden-Schleife, während das Kontrollzentrum in Houston und die Startzentrale hier in Cape Canaveral die aktuellen Daten durchgaben. Der PR-Leiter verkündete die Etappen des Countdowns. Eine Reporterin, die in der Nähe von Muldoon stand, zweckentfremdete eine zerknitterte Pressemitteilung als Fächer.

Muldoon, der sich in einen schwarzen Anzug gezwängt hatte, schwitzte und hatte Durst. Er fühlte sich alt und rastlos.

Der Nebel löste sich unter der Sonneneinstrahlung auf. Er sah, wie die weiße Nadel der Saturn auf 39-A sich aus dem blauen Dunst schälte.

Start-Kontrollzentrum,

Cape Canaveral

Als er die Tätigkeit hier in Cape Canaveral aufnahm, wähnte Rolf Donnelly, der bislang im MOCR in Houston gearbeitet hatte, sich im LCC, dem Start-Kontrollzentrum, wie in einer anderen Welt.

Der >Abschußraum< verfügte zwar über die gleiche EDV-Ausrüstung wie das Kontrollzentrum in Houston, war darüber hinaus aber noch mit sechzig Monitoren ausgestattet, welche die Saturn-Stufenrakete aus unterschiedlichen Blickwinkeln zeigten. Und der Leitstand hinter dem >Schützengraben< hatte ein großes Fenster mit einem Panoramablick auf das fünf Kilometer entfernte Merritt Island und die himmelwärts strebenden Starttürme. Im Gegensatz zum MOCR war der >Abschußraum< nicht von der Außenwelt abgeschottet.

Und im Augenblick des Starts wurde der >Abschußraum< von echtem, ehrlichen Raketen-Licht durchflutet.

Und die Atmosphäre war auch eine andere. Die Controller arbeiteten unabhängig von den Jungs im Kontrollzentrum und hatten einen eigenen Ermessensspielraum, denn sie befanden sich hier im Brennpunkt des Geschehens. Sie wirkten eher wie Techniker. Den LCC-Controllern oblag die Verantwortung für die ersten Sekunden des Flugs; sie waren diejenigen, welche die >Drecksarbeit< erledigen mußten, um die Rakete überhaupt hoch zu bekommen.

In einer solchen Atmosphäre fühlte Donnelly sich wohl. Kurze Zeit nach dem Apollo-N-Fiasko war er mit seiner Familie nach Florida gezogen, um hier einen beruflichen Neuanfang zu versuchen.

Die Befürchtung, daß von der gequirlten Scheiße etwas an ihm hängenbleiben würde, hatte sich leider bewahrheitet. Nun, er war kein Flugleiter mehr, das Indigo-Team war nur noch eine schlechte Erinnerung, und Donnellys Karriere würde wohl nie mehr im alten Glanz erstrahlen. Wenigstens stand er noch immer im Dienst der NASA.

Sie erreichten T minus fünf Minuten, und die Controller nahmen die letzten Überprüfungen an den Systemen vor, ehe die Automatik übernahm.

»Lenkung?«

»Alles klar.«

»EECOM?«

»Alles klar.«

»Booster?«

»Alles klar.«

»Retro?«

Damit war Donnelly gemeint.

Er schaute auf die Konsole. Sein Blick war getrübt. »Alles klar«, sagte er.

Jacqueline B. Kennedy-Raumfahrtzentrum

Helikopter flogen über die Startrampen hinweg. Muldoon wußte, daß es sich bei den Piloten um Bob Crippen und Fred Haise handelte, welche die Witterungsbedingungen für den Start erkundeten.

Bei T minus zehn Minuten durchlief der Countdown den letzten geplanten Haltepunkt. Danach gab es kein Halten mehr, und für Muldoon entwickelten die Ereignisse eine Dynamik, als ob er von einer Klippe stürzen würde.

Bei dreißig Sekunden erhob Muldoon sich mit den anderen vom Sitz und richtete den Blick auf die Saturn. Außer sporadischen Dampfschwaden aus den kryogenischen Tanks wirkte die Startrampe so statisch wie ein Werksgelände.

Für einen Moment war es still.

Dampfschwaden - aus dem Schalldämpfungs-Wassersystem - quollen aus beiden Seiten des Triebwerks. Muldoon sah, wie die Halterungen von der Rakete zum Turm zurückschwenkten. Start des Haupttriebwerks.

Dann eruptierte ein grelles weißes Licht an der Basis der Saturn.

Die Saturn erhob sich vom Boden und zog eine Schleppe aus weißem Rauch nach, die im Kern orangefarben glühte, als ob sie brennen würde. Das Triebwerk hatte Ähnlichkeit mit einem weißen Knochensplitter, der auf einem Wattebausch aus flüssigem, weißgelben Licht ritt. Dieses Licht, das Feuer der Feststoff-Booster, war von gleißender Helligkeit. Dies hier, die Brillanz des Raketenlichts, so sagte er sich, bekamen die Fernsehzuschauer nie zu Gesicht. In diesem Moment würden die Aufnahmen fürs Fernsehen nämlich gefiltert werden müssen, so daß das Raketenlicht abgeblendet wurde, der Himmel dunkelblau und der Rauch dunkelgrau erschienen.

Die Rakete kippte vornüber und stieg in einer steilen Kurve auf: das Nickmanöver war so abrupt, daß es fast den Anschein hatte, als ob die Rakete umkippte. Die Rauchsäule überragte den Startturm inzwischen um ein Vielfaches.

Die Saturn stieß durch eine vereinzelte Wolke, als ob ein Faden durchs Nadelöhr gefädelt würde. Die Oberfläche des Kanals kräuselte sich und reflektierte das gleißende Licht der Rakete.

Zehn Sekunden nach dem Start kam der Schall schließlich bei ihm an, und zwar in Form einer niederfrequenten Schwingung, die im Körper rumorte. Dann hörte er einen krachenden Donner, der in mehreren Schüben vom Himmel regnete: das waren die Schockwellen der Raketentriebwerke, gewaltige nonlineare Wellenformen, die zusammenfielen und sich dabei überlagerten. Durch diesen Baß hörte er, wie die Leute um ihn herum jubelten und in die Hände klatschten.

Vor ihm, als Silhouette im Raketenlicht, stieß JFK die Faust in die Höhe.

Muldoon spürte, daß eine gewaltige Energie freigesetzt wurde: als ob er an einem großen Wasserfall gestanden hätte. Nur daß diese Energie von Menschen erzeugt und beherrscht wurde. Ihn überkam ein Gefühl des Triumphs und des Überschwangs... gepaart mit großer Erleichterung.

Geschafft. Und nach diesem letzten Kraftakt, so sagte er sich morbide, würde er die Leber etwas anfeuchten. Er hatte seine Schuldigkeit getan. Keine Ziele mehr.

Die Saturn stieg in einer weiten Kurve gen Himmel. Die Rauchspur führte geradewegs in die Sonne. Muldoon war so geblendet, daß er die erste Stufe nicht mehr sah.

Die Sicht war verschwommen. Er weinte doch tatsächlich, verdammt noch mal. »Flieg, Baby!« rief er.

Merritt Island

Seger hatte mit seiner Schar Choräle angestimmt und Flugblätter mit der Information verteilt, wonach Ares Plutoniumbehälter für die SNAP-Generatoren ins All trüge. SANKT JOSEPH VON CUPERTINO IST DER SCHUTZHEILIGE DER ASTRONAUTEN. SCHLIESST EUCH UNS AN ZUM GEBET.

Doch die Menschen, welche die Straßen säumten, nahmen keine Notiz von ihnen. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, den Start der Rakete zu verfolgen.

Als das Licht der Saturn die Straße überflutete, brachen die Gemeindemitglieder den Choral ab und wandten den Blick gen Himmel.

Die deutlich erkennbare weiße Nadel erhob sich auf einem Feuerstrahl vom Boden. Zu hören war noch nichts.

Überwältigt fiel Seger auf die Knie. Es war der erste Start, den er seit Apollo-N beobachtet hatte. Er ließ die Pamphlete in den Staub fallen, und Tränen traten ihm in die Augen. Er sah, daß ein paar seiner Schäflein ihn verwundert anblickten, doch er wähnte sich wieder im MOCR.

Er wußte, daß er das MOCR im Grunde nie verlassen hatte und auch nie verlassen würde.

»Dies ist heiliger Boden«, sagte er. »Heiliger Boden.«