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Kreischende Möwen kreisten über ihm. Sie ahnten nichts vom tödlichen Lärm, der auf sie zuflutete.

Jacqueline B. Kennedy-Raumfahrtzentrum

Muldoon blieb solange auf der Tribüne, bis die Nachricht durchkam, daß Ares den Orbit erreicht hatte. Als er vielleicht eine halbe Stunde nach dem Start zum Parkplatz vor dem VAB zurückging, wo eine Limousine auf ihn wartete, hing der Rauch noch immer am Himmel, eine von Menschenhand erschaffene, riesige Wolke, die sich langsam auflöste.

Sechstes Buch.

Mangala

Zeitdauer der Mission [Tag/Std:Min:Sek]

Plus 374/14:23:48 Mangala-Basis

Durchs Fenster der Luftschleuse sah Natalie Sterne, die in einen schwarzen Himmel eingebettet waren.

Und dort stand Jupiter hoch am Himmel, der von hier aus ein gutes Drittel heller war als von der Erde aus gesehen. Er war so hell, daß er sogar einen Schatten warf. Und im Osten war ein Morgenstern: das weißblaue Licht des stetig strahlenden Sterns überstrahlte das verwaschene Violett der Mars-Dämmerung. Das war natürlich die Erde. Der Zwillings-Planet stand fast in Konjunktion - er befand sich in derselben Richtung wie die Sonne - und näherte sich dem Punkt der dichtesten Annäherung an den Mars. Im Moment stand die Erde als Sichel am Himmel und wandte dem Mars die Nachtseite zu.

Die Sternbilder selbst entsprachen den vertrauten Mustern ihrer Kindheit. Ernüchtert erkannte sie, daß sie im Grunde nur einen Katzensprung gemacht hatten: die Sterne waren noch immer so weit entfernt, daß diese weite interplanetare Reise im Vergleich dazu wie die ersten Gehversuche eines Kindes anmutete. Und das, obwohl die Menschheit für diese Reise, an deren Ziel die Erde selbst zu einem sternengroßen Punkt geschrumpft war, ihre technischen Möglichkeiten voll ausgereizt hatte.

Und der heutige Tag würde den Höhepunkt dieser Reise markieren, wenn Phil Stone als erster Mensch auf dem Mars spazierenging. Das MEM stand nun schon seit drei Tagen auf der Marsoberfläche. Die Besatzung hatte diese wertvolle Zeit investieren müssen, um sich nach der langen Phase in der Schwerelosigkeit wieder an die Schwerkraft zu gewöhnen.

Wie man ihr vorhergesagt hatte, war York seit dem Start von der Erde etliche Zentimeter gewachsen und ein paar Pfund leichter geworden. Anfangs hatte sie Schwierigkeiten, sich in den engen Räumlichkeiten des MEM zu bewegen; sie lief immer gegen die Wand und vergaß, wo unten war. Und sie hatte die schönsten >Hühnerbeine<. Vorzeitige Alterung, Adam, sagte sie sich. Du hattest recht. Wir sind drei alte Leute, die hier auf der Marsoberfläche festsitzen. Wie dem auch sei, für die ein Drittel der Erdenschwere betragende Mars-Gravitation genügten auch Hühnerbeine.

Nach mittlerweile drei Tagen auf dem Mars war sie noch immer desorientiert, als ob die vom Licht des Jupiter beschienene Landschaft vor dem Fenster nur das Gipsmodell einer Simulation wäre.

Wenn sie nach draußen ging, würde die Landschaft schon real werden.

Stone trat nun auch in die Schleuse. Stone und York trugen Thermo-Unterwäsche sowie ein sogenanntes Kühlungs- und Belüftungs-Oberteil mit wasserführenden Lamellen, die an den Kühler eines Kraftfahrzeugs erinnerten. York hatte den Katheter eingeführt, und Stone hatte den Urinbeutel übergestreift, der wie ein übergroßes Kondom aussah. Die beiden wirkten bizarr, geschlechtslos und irgendwie lächerlich.

»Schöner Anblick«, murmelte Stone. »Ralph behauptet, er würde sogar den Mond mit bloßem Auge sehen.«

»Vielleicht stimmt das. Möglich wäre es jedenfalls.« Der Mond müßte von ihrer Position aus als schwach leuchtender silbergrauer Stern erscheinen, der den Mutterplaneten in geringem Abstand begleitete.

Stone hatte York die Untere Torso-Garnitur mitgebracht - die untere Hälfte des EVA-Anzugs, die Hose mit integrierten Stiefeln. »Komm schon, York; genug herumgetrödelt.«

Sie starrte den Anzug an. Die Situation kam ihr beinahe irreal vor. »Ist es schon soweit, hmh.«

Sie hakte die Ärmel der Kühlweste zwischen Daumen und Zeigefinger ein; dadurch wurde vermieden, daß die Ärmel nach oben rutschten. Sie betrachtete die Hand und das Kunststoffgeflecht auf den Handballen; das war der erste Schritt in der ausgefeilten Ankleide-Zeremonie, und schon bei diesem simplen Handgriff bekam sie Herzklopfen.

Dann stieg sie in die Untere Torso-Garnitur. Die aus mehrlagigem Gewebe bestehende Einheit war schwer und steif, und sie schien sich Stones Bemühungen zu widersetzen, York beim Anlegen zu helfen. Sie war jetzt bereits erschöpft.

Nun schloß sie einen Schlauch an den Katheter an, der zu einem Urinbeutel mit einem Fassungsvermögen von einem Liter führte. Einen Sammelbehälter für Kot gab es jedoch nicht; statt dessen trug sie eine Art Windelhose, welche gemäß Dienstvorschrift >die Darmtätigkeit absorbieren würde, die während eines EVA nicht unterdrückt werden kann<.

York würde versuchen, es zu unterdrücken.

Nun kam der Harte Oberkörperschutz an die Reihe, abgekürzt HUT22. Ihr HUT hing an der Wand der Luftschleuse. Er glich der oberen Hälfte einer Ritterrüstung und verfügte über einen integrierten Lebenserhaltungs-Tornister.

Sie duckte sich unter den HUT und hob die Arme. Dann richtete sie sich auf und wand sich in den HUT. In der Dunkelheit der fabrikneuen Schale roch es nach Kunststoff, Metall und Watte.

Sie steckte die Arme in die Ärmel und schob die Hände hindurch, wobei die Kühlschlangen den Daumen quetschten. Die Schultern wurden schmerzhaft zurückgebogen. Es war ein beschwerlicher Vorgang. Und dabei waren diese Anzüge noch viel unkomplizierter als die alten Mondanzüge; die Apollo-Besatzung hatte die Anzüge auf der Mondoberfläche regelrecht montieren und die Schläuche an die Wasser- und Sauerstofftornister anschließen müssen.

Sie schob den Kopf durch den Helmring. Stone grinste sie an. »Hallo.« Dann zog er den HUT ruckartig herunter, brachte die metallenen Hüftringe der beiden Hälften zur Deckung und arretierte den Bajonettverschluß.

Nun half sie Stone in den Anzug.

York und Stone steckten schon seit fast zwei Stunden in der engen Luftschleuse. Der Druck der Challenger-Atmosphäre betrug siebzig Prozent des Luftdrucks auf Meereshöhe. Sie bestand aus einem Gemisch aus Stickstoff und Sauerstoff, doch um die Flexibilität der Anzüge zu gewährleisten, wurden sie nur mit Sauerstoff mit einem Viertel des Drucks auf Meereshöhe versorgt. Also mußten York und Stone vorab reinen Sauerstoff atmen, um den Stickstoff aus dem Blut zu lösen.

Es war ein beschwerliches Ritual. Zumal die Einsätze auf dem Mars auf drei, maximal vier Stunden begrenzt waren. Die Apollo-Tornister hatten eine Kapazität von sieben Stunden gehabt. Doch der Mars besaß die doppelte Schwerkraft des Mondes, so daß die Marsanzüge proportional leichter sein mußten, was wiederum eine entsprechend geringere Kapazität zur Folge hatte. Und nach jedem EVA mußten die Anzüge einer langwierigen Reinigung unterzogen werden:    die Besatzung mußte den Marsstaub absaugen, der stark oxidierend war und die Lunge zerstörte, wenn er in die Challenger gelangte.

Die kurzen EVAs mit der flankierenden Vorbereitung, Reinigung und Dekontaminierung würden fast jeden Tag auf dem Mars ausfüllen. Es würde ein mühsames Tagewerk werden.

York setzte sich die Astronauten-Haube auf, und dann stülpte Stone ihr den Helm über den Kopf und arretierte den Verschluß.

Zum Schluß kamen die Handschuhe; sie hatten eine enge Paßform und schnappten im Ärmelring ein.

Stone legte einen Schalter auf der Brustplatte um. Sie hörte das vertraute leise Summen der Pumpen und Lüfter im Rückentornister und spürte die Sauerstoffbrise im Gesicht. Er klopfte auf den Helm und hob den Daumen vor dem Visier.