Amerika hat seit jeher die größten Leistungen vollbracht, wenn wir Mut zur Größe besaßen. Und zu dieser Größe werden wir zurückfinden. Wir sind imstande, unsere Träume von den Sternen zu verwirklichen und im Weltraum zu leben und zu arbeiten, zum Wohle des Friedens, der Wirtschaft und der Wissenschaft...
York - die auf dem Landeteller in der Realität der glühenden Landschaft stand und das Gewicht des Tornisters auf dem Rücken spürte - hörte sich den Sermon geduldig an.
...Ich werde nun Schluß machen, Natalie und Phil, aber ich möchte, daß Sie uns noch ein paar Minuten Ihrer Zeit widmen.
Bitte erzählen Sie uns, was für ein Gefühl es ist, endlich auf der Oberfläche des Mars zu stehen.
Reagan verstummte, und es zischte im Lautsprecher.
»Danke, Herr Präsident«, sagte Stone. »Wir betrachten es als eine Ehre und ein Privileg, auf dem Mars zu sein und nicht nur die Vereinigten Staaten zu repräsentieren, sondern die gesamte Menschheit. Natalie.«
Natalie, erzähl ihnen, was für ein Gefühl das ist.
Die älteste Frage und gleichzeitig die am schwierigsten zu beantwortende Frage der Welt - und vielleicht auch die wichtigste, sagte sie sich.
Die einzige Frage, auf welche die Apollo-Astronauten keine Antwort gewußt hatten.
Und nun muß ich eine Antwort finden.
Die Sonne stieg am rosigen Himmel empor. Der Mars erschien als eine rotbraun schillernde Schale, die mit dem vom Staub reflektierten Licht gefüllt war. Noch immer fiel strahlend weißes Licht aus der Luke. Es war nicht von dieser Welt.
»Jawohl, Sir. Das MEM steht im Tiefland nördlich von Mangala Vallis. Es ist ein Spätherb st-Morgen - wir befinden uns hier in der nördlichen Hemisphäre des Mars, wo in acht Tagen die Wintersonnenwende eintritt. Der Himmel hat eine ockerfarbene Tönung. Die Landschaft ist von einer lachsrosa Staubschicht überzogen. Der Rote Planet ist im Grunde gar nicht so rot: die vorherrschende Farbe ist ein pastelliges Gelbbraun. Grün und Blau gibt es überhaupt nicht. Falls die Menschen jemals den Mars kolonisieren - nein, es muß heißen wenn -, werden wir viele neue Wortschöpfungen für Brauntöne kreieren müssen.
Ich stehe fast auf dem Marsäquator. Damit Sie ungefähr wissen, wo ich mich befinde: der große Tharsis-Buckel mit den drei mächtigen Schildvulkanen ist ein paar tausend Kilometer östlich von meiner Position gelegen, und Olympus Mons, der größte Vulkan des Sonnensystems, liegt ungefähr genauso weit im Norden.
Die Region, in der wir uns befinden, ist ein Ausläufer von Tharsis. Obwohl die Oberfläche hier scheinbar so flach wie ein Strand ist, stehe ich, wenn ich dem MEM den Rücken zuwende, auf einem Abhang mit einem Gefälle von ein paar Zehntel Grad.«
Sie ließ den Blick über das Panorama von Mangala Vallis schweifen.
»Das MEM steht auf einer Oberfläche, die mit Geröll übersät ist. Die Größe der Felsen schwankt etwa zwischen einem halben und zwei Metern. Die Felsen weisen Blasen auf. Das heißt, in der Gesteinsoberfläche sind Bläschen eingeschlossen, was wiederum bedeutet, daß es sich bei den Felsen wahrscheinlich um Brocken erstarrter Lava handelt. Das Gestein ist durchgehend punktiert und gerillt. Das ist vermutlich durch Winderosion bedingt. Ich sehe auch kleinere Formationen, die wie Kieselsteine aussehen, doch bin ich ziemlich sicher, daß es sich um Zusammenballungen von Durikruste handelt. Zusammengebackene Bruchstücke der Oberfläche. Die Oberfläche kann man eigentlich nicht als Sand bezeichnen; sie ist viel feinkörniger und gleicht eher Puderzucker. Ich bin sicher, daß der Staub das Resultat der langsamen Verwitterung der Felsen ist, die von starker Oxidation begleitet wird. Die Felsen weisen die rotbraune Färbung auf, die für Smektit-Lehm charakteristisch ist.
Ich sehe, daß geologische Prozesse auch heute noch diese Landschaft formen. Die Oberfläche ist eindeutig vom Wind gescheuert worden: die Landschaft ist erodiert, und der Staub unter meinen Füßen ist sicher schon um den ganzen Planeten getragen worden. Vom geologischen Standpunkt wird hier eindeutig eine Ereigniskette abgebildet: Einschlag, Wind, vulkanische Tätigkeit, möglicherweise Überflutungen, wahrscheinlich Grundeis.
Der Mond ist eine alte Welt; wir schätzen sein Alter auf eine Milliarde Jahre oder mehr. Doch wo ich nun hier stehe, ist es offensichtlich für mich, daß der Mars, ebenso wie die Erde, sich noch in einem Entwicklungsprozeß befindet. Er lebt sozusagen noch.«
Dann meldete Natalie sich für lange Zeit nicht mehr.
»Natalie«, sagte Stone sanft. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Ja, alles in Ordnung, Phil.«
Sie stellte sich vor, wie ihre Worte zur Erde und darüber hinaus abgestrahlt wurden; sie wünschte sich, sie könnte sie zurückholen. Mit Worten ist es nicht zu beschreiben. Es wird nie mit Worten zu beschreiben sein.
Aber ich habe mein Bestes getan.
Es war an der Zeit.
»Ich trete nun vom Landeteller hinunter«, sagte sie.
Sie hielt sich mit der rechten Hand an der Leiter fest und beugte sich nach links. Dann hob sie den Stiefel über die Lippe des Landetellers, schob den Fuß etwas nach vorn und senkte ihn ganz vorsichtig in den Staub.
Alle waren stilclass="underline" Stone, Gershwin, die entfernte Erde. Es war, als ob die gesamte Schöpfung sich in diesem Moment auf sie konzentrierte. Sie testete das Gewicht und hüpfte in der geringen Schwerkraft auf einem Bein. Der Mars-Regolith war massiv genug, um sie zu tragen. Doch das hatte sie auch vorher schon gewußt.
Sie stand mit einem Bein auf diesem primitiven Artefakt von der Erde und mit dem anderen auf dem jungfräulichen Boden von Mangala. Sie ließ kurz den Blick über die tote Landschaft schweifen. Das Blickfeld wurde vom Helmvisier begrenzt, und sie sah, wie das pastellige ockerfarbene Licht ihr über Nase und Wangen spielte - über das Gesicht eines Menschen auf dem Mars.
Sie hielt sich an der Leiter fest und stellte den rechten Fuß auf den Boden. Dann ließ sie die Leiter zaghaft los und stand nun freihändig auf dem Mars.
Sie machte einen Schritt nach vorn, und noch einen.
Die Stiefel hinterließen deutliche Spuren mit dem Abdruck des Sohlenprofils. Sie wünschte sich, sie könnte die Schuhe ausziehen und den feinen, pulvrigen Sand des Mars-Strands unter den Füßen spüren.
Der Anzug war schön warm. Sie hörte das Surren der Hochleistungslüfter im Rückentornister. Das Helmvisier gewährte ein Blickfeld von hundertachtzig Grad, so daß sie nicht befürchten mußte, von Klaustrophobie heimgesucht zu werden.
Sie machte noch ein paar Schritte.
Sie hüpfte über die Oberfläche. Die Bewegung auf dem Mars war eine traumartige Synthese aus Gehen und Schweben. Die Fortbewegung war einfach, sogar noch einfacher als in den Simulationen. Doch die Masse der Ausrüstung auf dem Rücken wirkte sich sehr wohl aus, und sie mußte sich nach vorn beugen, um das Gleichgewicht zu bewahren. Weil die Knie im Anzug eingezwängt waren, kam die Kraft für die Bewegung aus den Knöcheln und Zehen. Aber ich habe kräftige Affenzehen, die mich durch den Marsstaub tragen.
Sie hatte das merkwürdige Gefühl, daß die Schemen von Armstrong und Muldoon sie begleiteten - als ob ihr Ausflug ein Nachhall der berühmten Weltraumexpedition dieser Männer wäre. Das war eine Vorstellung, die ihre Leistung irgendwie schmälerte.
Sie drehte sich zur Challenger um. Die pyramidenförmige Silhouette des MEM ragte im Licht der geschrumpften Sonne vor ihr auf. Das auf den sechs Landebeinen ruhende Schiff bot einen bizarren Anblick. Sie befand sich noch immer im Schatten der Challenger. Das Umgebungslicht hatte die Helligkeit eines irdischen Sonnenuntergangs und überzog die Challenger mit einem blaßrosa Anstrich, der hart mit dem aus der Luke fallenden perlgrauen, fluoreszenten Licht kontrastierte. Der von diesem Licht angestrahlte Stone wirkte wie ein Marsmensch.