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Die intensive rote Tönung rührte vom Staub her, der in der Luft hing. Sie wußte, daß der Staubgehalt zehnmal so hoch war wie über Los Angeles an einem Smog-Tag. Zumal es hier nicht einmal Regen gab, der den Staub aus der Luft wusch.

Sie entfernte sich nun von der Challenger und ging der Sonne entgegen. Dann marschierte sie an der Grenze des Schattens von der Challenger entlang nach Westen. Das MEM warf einen Schatten in Form eines langen Spitzkegels auf die steinige Oberfläche.

Sie trat aus dem Schatten ins Licht.

Sie drehte sich um. Sonnenlicht beschien ihr Gesicht und spiegelte sich auf dem Helmvisier.

Sonnenaufgang auf dem Mars: der Himmel war anders, die Art, wie das Licht vom Staub gestreut wurde.

Die über der Silhouette von Challenger aufgehende Sonne wurde von einem elliptischen Hof aus gelbem Licht umgeben, der an einem braunen Himmel hing. Es sah unwirklich aus.

Die Sonne hatte hier nur zwei Drittel der Größe, mit der sie sich einem Beobachter auf der Erde präsentiert hätte.

Sie schauderte, obwohl sie wußte, daß die Temperatur im Anzug sich nicht verändert hatte. Die geschrumpfte Sonne und der amorphe Himmel machten den Mars zu einer kalten, isolierten Welt.

Sie drehte sich um, wobei die Kamera einen Schwenk über die Landschaft vollführte. Fast wäre sie bei der Drehung auf dem Marsstaub ausgerutscht.

Sie entfernte sich weiter von der Challenger und zog eine Spur über den jungfräulichen Regolith. Sie hatte das Gefühl, als ob der lange, dünne Kommunikationsstrang, der sie mit der Challenger und dem Heimatplaneten verband, noch dünner würde und vielleicht sogar ausfaserte, so daß sie auf dieser kalten Hochebene strandete.

Je höher die Sonne stieg, desto deutlicher sah sie, daß das Land nicht völlig eben war; die Farben wiesen eine unterschiedliche Schattierung auf. Und im Westen sah sie etwas, das wie niedrige Sanddünen aussah. Doch die Dünen waren unregelmäßiger als terrestrische Sanddünen, was wohl an der geringen Größe der Oberflächenpartikel liegen mußte; im Grunde handelte es sich um Staubverwehungen.

Im Westen sah sie eine Linie, eine schwache Kontur im Sand. Es sah aus wie ein flacher Bergrücken, der von ihr wegstrebte.

Sie entfernte sich immer weiter vom MEM.

Nach vielleicht fünfzig Metern hatte sie den >Bergrücken< erreicht. Es handelte sich um den Rand eines Kraters mit einem Durchmesser von etwa fünfzig Metern. Die Wände des Kraters waren erodiert, und dahinter befand sich eine tränenförmige Kuppe.

Bei dieser stromlinienförmigen Kuppe mußte es sich um ein Erosionsmerkmal handeln, wie man es auch in irdischen Flußgabelungen fand. Und sie glaubte, eine Schichtung in den Flanken der Kuppe zu erkennen. Es war wie in den Scablands.

Mit steifen Beinen stieg sie in den Krater hinab und wirbelte dabei Staub auf, der an den Beinen und am HUT haftenblieb.

Der Atem ging schneller, wodurch das Helmvisier beschlug.

Im Windschatten des Kraterrands funkelte etwas - etwas, das die Mond-Geister von Armstrong und Muldoon schlagartig bannte, etwas, das ihr das Gefühl vermittelte, der Kreis ihres Lebens habe sich endlich geschlossen. Ich schätze, ich muß wohl doch ins Rampenlicht treten.

Es war Reif.

Sie bückte sich unter Verrenkungen und scharrte dann mit den Fingern im Staub des Kraterbodens, wobei sie Furchen in die Oberfläche zog. Wie ein Kind, das am Strand spielt. An einem planetengroßen Strand. Überall, wo sie schürfte, stieß sie auf die gleiche weiche, pulverige Oberfläche, auf die gleichen Zusammenballungen, die wie Kieselsteine aussahen.

Sie führte den Handschuh zum Gesicht, um die Bodenprobe näher zu betrachten. Es war irgendwie frustrierend. Der Regolith-Brocken war so leicht, daß sie das Gewicht nicht spürte. Wegen des dicken Handschuhs vermochte sie nicht einmal die Textur der Materie zu ertasten. Und die Sonne blendete sie, und das Surren der Pumpen und das Zischen im Kopfhörer übertönten alle Geräusche, welche die Marswinde vielleicht herantrugen.

Die Situation erschien ihr irreal, und sie fühlte sich isoliert. Sie war zwar hier, doch hatte sie noch immer keinen Kontakt zum Mars. Eine geologische Exkursion hätte sie sich aber anders vorgestellt.

York schloß die Finger um die Probe, und die >Kiesel< zerbröselten. Sie waren nur Fragmente einer kreideartigen Durikruste.

Sie ließ den Staub zu Boden rieseln; ein großer Teil blieb jedoch am Handschuh haften und färbte ihn rostbraun.

Nun holte sie die Diamantmarkierung aus der Probentasche des Anzugs und hielt sie in der Hand. Die Münze fing das Sonnenlicht auf und streute es, so daß der zuvor glühende Diamant sich nun als glitzerndes scharlachrotes Juwel gegen den ockerfarbenen Mars abhob.

Sie fühlte eine ebenso plötzliche wie unerwartete Aufwallung von Stolz. Patriotismus war ihr in höchstem Maße suspekt, und vielleicht war diese Expedition, wo sie für ein paar Tage wie Karnickel auf dem Mars herumhüpften, wirklich ein ausgemachter technokratischer Unfug. Dennoch mußte sie einräumen, daß ihr Land, das gerade einmal auf eine zweihundertjährige Geschichte zurückblickte, seinen Bürgern einen Spaziergang auf der Oberfläche zweier fremder Welten ermöglicht hatte.

Und falls irgendeine Katastrophe alles Leben auf der Erde auslöschen sollte, bevor die Menschen wieder zum Mars flogen, würde diese Markierung mit dem Sternenbanner noch immer von der gewaltigen Leistung der Menschheit künden: die Markierung und das Wrack von Challenger sowie drei Mondfähren-Landestufen auf dem Mond.

Wenn ich mir vorstelle, daß wir beinahe nicht hierher gekommen wären; wenn ich mir vorstelle, daß wir das Raumfahrtprogramm nach Apollo eingestellt hätten.

York ließ die Markierung fallen. Sie segelte in der schwachen Schwerkraft ins Loch, das sie ausgehoben hatte. Da funkelte der Diamant nun auf dem Kraterboden.

Dann griff sie wieder in die Tasche. Mit einiger Mühe kramte sie eine silberne Spange im kitschigen Stil der Sechziger hervor: eine Sternschnuppe mit einem langen Kometenschweif.

Für dich, Ben.

Sie ließ die Spange zur Diamantmarkierung in die Senke fallen. Dann füllte sie das Loch mit Staub und strich die Oberfläche glatt.

Die Fußabdrücke, die Armstrong und Muldoon auf dem Mond hinterlassen hatten, waren noch dort - würden es noch für viele Millionen Jahre bleiben, bis Mikrometeoriten-Erosion sie schließlich unkenntlich gemacht hatte. Doch hier war es anders. Die Spuren, die sie heute hinterlassen hatte, würden einige Monate, vielleicht Jahre überdauern; doch am Ende würde der Wind sie mit Staub auffüllen.

In ein paar Jahren wären ihre Fußabdrücke vom Winde verweht, und die Grube, die sie gegraben hatte, wäre nicht mehr aufzufinden.

».Natalie?«

Nun erst wurde ihr bewußt, daß sie die ganze Zeit nichts mehr gesagt hatte.

Sie drehte sich zur Challenger um. Sie hatte sich schon so weit vom menschlichen Artefakt entfernt, daß es wie ein weißes Spielzeug erschien, das sich gegen den glühenden Himmel abzeichnete. Sie sah das perlgraue Innere der Luftschleuse, die in der Mitte des MEM eingelassen war, und darüber war der dicke Zylinder der Aufstiegsstufe mit den traubenförmigen Treibstofftanks.

Über die knackige Durikruste zog sich eine Spur von der Challenger bis zu ihrem Standort. Sie befand sich bereits außerhalb des Staubrings, den die Landerakete des MEM gezogen hatte. Die Spur sah so aus, als ob ein einzelner Mensch bei Ebbe am Strand entlanggegangen wäre; nur daß sie die einzigen Fußabdrücke auf dem ganzen Planeten waren.