Muldoon: unsere Probleme hier auf der Erde rangieren vor Ihren Kapriolen im Weltall.«
»Vielleicht. Aber es war Agnew, der die >Arbeitsgruppe Weltraum< ins Leben gerufen hat und nicht die NASA«, sagte Michaels knurrig.
Doch das focht Agronski nicht an. »Es ist an der Zeit, daß ihr von eurem hohen Roß ‘runterkommt. Ihr seid nicht die Überflieger, für die ihr euch während des Apollo-Projekts gehalten habt. Ihr seid eine Dienstleistungs-Agentur mit begrenztem Etat. Damit werdet ihr euch abfinden müssen.«
Michaels mußte zugeben, daß Agronski so falsch nicht lag.
Michaels’ unmaßgeblicher Meinung zufolge war der Direktor der NASA, Thomas O. Paine, ein Idiot: ein Traumtänzer, der Agnew mit grandiosen Visionen vollaberte, ohne sich dabei zu fragen, ob dies bei den Führungskräften im Weißen Haus auch auf Akzeptanz stieß. Paine stellte einen deutlichen Kontrast zu seinem Vorgänger, Jim Webb, dar, den Michaels sehr geschätzt hatte. Webb hatte ein ausgeprägtes Gespür für politische Trends besessen und bewußt auf langfristige Planung verzichtet. Zumal die NASA mit langfristigen Plänen ohnehin schlechte Erfahrungen gemacht hatte - sie wurden nämlich zwischen den verschiedenen Abteilungen zerrieben. Webb war der Ansicht, daß Langfrist-Planung ein Glücksspiel sei und abschreckend auf den Finanzminister und die NASA-Oberen wirkte.
Paine erkannte anscheinend nicht, daß das eigentliche Problem darin bestand, angesichts der schweren Zeiten, die auf die NASA zukamen, die Existenz der Organisation zu sichern. An die Auflage neuer Programme war unter diesen Umständen gar nicht zu denken.
Michaels hätte die Sache ganz anders angepackt.
»Fred«, sprach Agronski, »vergessen Sie Ihre schönen Raumstationen und die fünfzig Mann, die Sie bis 1980 auf dem
Mond haben wollten. Der Präsident möchte das haben, was er privat als >Kennedy-Option< bezeichnet.« Er tippte auf das Dokument. »In dieser Vorlage wollte er ein Element aus dem Bericht der Arbeitsgruppe herauspicken - die Raumfähre -, auf das wir uns konzentrieren sollen. Doch was, wenn er sich für etwas anderes entscheiden sollte - für ein spektakuläreres Ziel, das genauso schnell und günstig zu erreichen wäre?«
In offenkundiger Verwirrung starrte Muldoon Agronski an.
Michaels hatte jedoch verstanden. Er darf nicht offen sprechen. Man muß zwischen den Zeilen lesen. Kennedy setzt sich anscheinend durch. Nixon will Geld sparen. Allerdings will er seine Präsidentschaft auch nicht mit dem Makel behaften, das Raumfahrtprogramm gekillt zu haben - nicht mit einem larmoyanten Kennedy im Hintergrund.
»Sie spielen auf den Mars an«, sagte er zu Agronski. »Nach dem ganzen Scheiß über den Tag der Erde sind Sie doch hier, um über einen Flug zum Mars zu sprechen. Stimmt’s?«
Muldoon war konsterniert.
»Was sagt Paine denn dazu?«
Agronski musterte ihn. »Doktor Paine ist im Moment nicht das Thema«, sagte er.
Ich wußte es. Sie schießen ihn ab. Er hatte die Gerüchte aus dem Weißen Haus gehört. Paine verweigerte nicht nur die Zusammenarbeit, er untergrub auch noch die Autorität des Präsidenten. Wir brauchen einen neuen Chef der mit uns und nicht gegen uns arbeitet und der den Präsidenten in einem günstigen Licht erscheinen läßt, anstatt ihn in Verlegenheit zu bringen... Paine war bereits Geschichte. Und aus der Art, wie Agronski ihn nun ansah, schloß Michaels, daß er, Fred Michaels, die Chance erhielt, die Nachfolge des NASA-Chefs anzutreten und dabei Leuten wie George Low und Jim Fletcher vorgezogen wurde.
Mars und der Posten des Leiters der NASA - alles an einem Tag. Spiele in Spielen. Aber ich muß Agronski etwas auf den Rückweg mitgeben, die Aussicht auf eine kostengünstige MarsOption. Überhaupt ist das Ganze zu schön, um wahr zu sein. Ich frage mich, wo der Haken bei der Sache ist.
Die Astronauten reagierten unterschiedlich auf die Unterhaltung. Michaels sah, daß ein Ausdruck der Hoffnung auf Muldoons Gesicht erschien; ein zartes Pflänzchen der Hoffnung, als ob Muldoon befürchtete, diese magische Möglichkeit - wir fliegen vielleicht zum Mars - würde dahinschmelzen, wenn er es sich zu sehr wünschte.
Er fragte sich, inwieweit Muldoon über die Vorgänge hinter den Kulissen Bescheid wußte oder ob er überhaupt etwas wußte. Beim Blick in Muldoons offenes, zorniges Gesicht verspürte Michaels einen Anflug von Scham wegen seiner Berechnung. Muldoons Anwesenheit schien nämlich die Wirkung auf ihn zu haben, die er sich eigentlich mit Blick auf Agronski erhofft hatte.
Joe Muldoon schwieg, weil er befürchtete, sonst diesen schwierigen, irreal anmutenden Verhandlungsprozeß zu stören. Womöglich war das alles nur ein Traum.
Mars. Sie reden noch immer vom Mars. Wenn Fred Michaels nun die richtigen Worte findet und die richtigen Dinge tut, macht er vielleicht den Weg zum Mars frei. Für uns.
Für mich.
Und dann hätte Joe Muldoons Leben wieder einen Sinn.
Die Monate seit der Rückkehr vom Mond waren so schlimm gewesen, wie Muldoon es befürchtet hatte.
Seine letzte PR-Tour hatte ihn an einen Ort namens Morang in Nepal geführt. Er hatte den Schulkindern die übliche Geschichte erzählt: Als ich auf dem Mond war.
>Als ich auf dem Mond war, habe ich die Erde nicht so gut gesehen. Tranquility Base war in der Nähe des Mond-Äquators - im Mittelpunkt der Mondoberfläche, von euch aus gesehen. Also stand die Erde direkt über mir, und im Raumanzug fiel es mir schwer, den Kopf zurückzulegen.
Das Sonnenlicht war sehr hell, und der Boden unter dem schwarzen Himmel war hellbraun. Ich hatte das Gefühl, an einem Strand zu stehen. Ich erinnere mich, wie Neil dort herumhopste. Er sah aus wie ein Strandball in Menschengestalt, der über den Sand sprang. Weil die Farben auf dem Mond ziemlich blaß sind, brachte die Eagle, die wie ein kleines, zerbrechliches Haus aussah, richtig Farbe auf den Mond: Schwarz, Silber, Orange und Gelb. <
Er verstummte und lauschte dem Prasseln des Regens auf dem Holzdach der Schule, schaute auf die runden Gesichter der Kinder, die mit untergeschlagenen Beinen vor ihm auf dem Boden saßen, und sah das skeptische Stirnrunzeln der Lehrerin.
Die paar Stunden, die er auf dem Mond herumspaziert war, standen mit der Präsenz einer Eagle in den Weiten seines Bewußtseins. Doch durch die Reden, die er nach der Rückkehr zur Erde auf den endlosen Vortragsreisen gehalten hatte, waren die Konturen der zugrunde liegenden Erinnerungen verschwommen. Inzwischen wirkte die Episode durch die ständigen Wiederholungen trivial.
Nun bin ich weit vom Mond entfernt. Und bei all diesen verdammten Einsparungen werde ich wohl nie mehr dorthin zurückkehren. Mir bleiben nur noch die Erzählungen. Verflixt und zugenäht.
Als er fertig war, hatten die nepalesischen Schulkinder ihm Fragen gestellt. Diese Fragen waren Muldoon eigenartig erschienen.
>Wen hast du gesehen?<
>Wo denn?<
>Auf dem Mond. Wen hast du gesehen?<
>Niemanden. Es gibt dort niemanden«
>Aber was hast du gesehen?<
Dann dämmerte es Muldoon. Vielleicht entsprachen die amerikanischen Klischees von Strandbällen und Sand nicht der Mentalität und dem Wissensstand dieser Kinder. Er mußte sich verständlicher ausdrücken. >Es gibt dort nichts. Keine Menschen, weder Pflanzen noch Bäume, auch keine Tiere. Nicht einmal Luft oder Wind. Nichts.<
Die Kinder schauten sich in offensichtlicher Verwirrung an. Muldoon und die Kinder redeten einfach aneinander vorbei. Auf ein Signal der Lehrerin hin - selbst noch ein halbes Kind - spendeten sie ihm höflichen Beifall, und er verteilte amerikanische Fähnchen und Bilder von der Landezone.