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Als er das Schulhaus verließ, hörte er die Lehrerin noch sagen: >Hört nicht auf ihn. Er irrt sich.<

Im Hotelzimmer soff er systematisch die Minibar leer.

Später erfuhr er, daß die Nepalesen glaubten, nach dem Tod käme man auf den Mond. Die Kinder hatten geglaubt, die Seelen ihrer Vorfahren und Großeltern lebten auf dem Mond. Also hätte Muldoon sie auch sehen müssen, wo er schon einmal dort war. Und er hatte ihnen erzählt, es gebe keinen Himmel. Kein Wunder, daß die Kleinen verwirrt waren.

Er hatte einen Spaziergang auf dem Mond gemacht. Und nun war er, in diesem Winkel der Erde, mit einem Haufen Kinder in einem Schuppen konfrontiert worden, denen man noch immer - ungeachtet seiner Präsenz auf dem Mond, ungeachtet seiner Augenzeugenberichte vom Mond - Aberglauben einimpfte.

Das ganze verdammte Unternehmen kam ihm so sinnlos vor. Bevor er heute als Capcom den Dienst am JSC angetreten hatte, war ein Brief in der Post gewesen. Man bot ihm einen Vertrag für eine Kreditkarten-Werbung an. Kennen Sie mich?

Letztes Jahr habe ich einen Spaziergang auf dem Mond gemacht. Leider hilft mir das nicht bei der Platzreservierung im Flugzeug... Gottverdammter Müll.

Damit würde er fünfmal soviel verdienen wie bisher. Allerdings müßte er dafür aus der NASA ausscheiden.

Jill würde das sicher begrüßen. Jill war nicht so wie andere Frauen. Sie hatte keine Ahnung von militärischen Gepflogenheiten; Jill hatte keine Ahnung von den Flügen, den Gefahren und dem Dünnschiß, den die NASA während einer Mission verzapfte.

Und Tatsache war, daß die NASA ihn nie wieder zum Mond schicken würde.

Weshalb sollte er also nicht ausscheiden?

Vielleicht würde der Nimbus des Mond-Spaziergängers verblassen; vielleicht würde er den Heldenstatus verlieren. Der Meinungsumschwung zuungunsten des Programms hatte sich ohnehin noch verstärkt. Die Presse übte sogar Kritik an seinem und Armstrongs Verhalten auf dem Mond. Sie hätten sich zu lange mit dem zeremoniellen Teil aufgehalten. Sie hätten weniger Steine gesammelt als erwartet. Die meisten Proben seien nicht ordentlich dokumentiert worden. Sie hätten die Fußabdrücke mit der falschen Kamera abgelichtet und uninteressante Bilder mit nach Hause gebracht, weil sie nicht mehr genug Zeit für 3-D-Aufnahmen gehabt hätten. Nicht einmal die Aufnahmen, die sie aus dem Orbit gemacht hatten, fanden Gnade. Sie wurden als Schnappschüsse vom Erdaufgang abqualifiziert, ohne daß der unerforschte Mond zu sehen gewesen wäre.

Teufel, das war kaum unsere Schuld. Nixon wollte etwas von uns, nicht umgekehrt. Und was, zum Kuckuck, hätten wir mit dem ganzen wissenschaftlichen Krempel auch machen sollen? Er war alles andere als narrensicher: es unterlaufen einem zwangsläufig Fehler, wenn man nur ein paar Stunden hat, um auf dem Mond herumzulaufen...

Er bekämpfte die Depression, das Gefühl der Leere mit Alkohol, und hatte schon zuviel intus. Es war genau das gleiche wie nach dem Gemini-Flug. Noch ein paar Jahre, und er wäre zu einem depressiven Fettsack heruntergekommen, der einem zunehmend irritierten Publikum Kriegsgeschichten auftischte.

Er erinnerte sich daran, daß er an jenem Tag in Nepal ein Nickerchen gemacht hatte. Nach dem Aufwachen wollte er ins Bad. Beim Versuch, aus dem Bett zu schweben, war er der Länge nach auf den Fußboden geknallt, weil er sich mit den Beinen im Bettlaken verheddert hatte. Und nach dem Rasieren wollte er die Flasche Rasierwasser in der Luft treiben lassen. Sie fiel ins Waschbecken und zersplitterte.

An jenem Abend in Nepal war er als Ehrengast in ein feines Restaurant mit westlichem Standard eingeladen. Er beschloß, die anderthalb Kilometer zu Fuß zu gehen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Straße war holprig und steil; schließlich befand er sich hier im Vorgebirge des Himalaya. Bald wurde er müde.

Die Straße wurde von knienden Kindern gesäumt. Sie hielten Kerzen in den Händen und schauten zu ihm auf, wobei die runden Gesichter wie kleine Monde in der Dämmerung leuchteten.

Es war ein Akt der Verehrung.

Sie halten mich für einen Gott. Einen Gott, der sie besucht.

So darf man Menschen nicht behandeln, verdammt. Man hatte ihn zu einem gestrandeten Mond-Spaziergänger stilisiert. Am liebsten wäre er an einem Strand entlanggegangen.

Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, was Michaels und Agronski sagten.

Michaels wuchtete seine Leibesfülle vom Stuhl und ließ den eindrucksvollen Schmerbauch für eine Minute über dem Tisch dräuen. »Meine Herren, schau’n wir mal, ob wir die Sache nicht endlich auf die Reihe kriegen.«

Er zog ein Flip-Chart von der Wand weg. Die ersten paar Blätter waren mit kaum verständlichen Notizen beschriftet, die auf die Checklisten des abgebrochenen Mondspaziergangs der Apollo 13-Astronauten Bezug nahmen: DOKUMENTIERTE PROBE: Probe auswählen / Gnomon in der Sonne vor der Probe aufstellen / Probe & Gnomon [8,5,2] x Sonne / Probe bergen.< Es lag eine besondere Poesie in der Art und Weise, wie diese Technikfritzen miteinander kommunizierten, sagte er sich.

Er blätterte zu einem leeren Blatt weiter und schrieb drauflos. »Schau’n wir mal, was wir hier haben. Welche Strategie wenden wir an? Welche Mindestvoraussetzungen sind für einen Flug zum Mars erforderlich? Kurzfristig sehe ich drei Bereiche:    zunächst müssen wir Probeflüge mit den

Nuklearraketen durchführen. Dann müssen wir die Module des Mars-Schiffs - wie die Landekapsel - so konzipieren, daß die Besatzung die gesamte Flugdauer übersteht. Schließlich müssen wir weitere Erfahrungen mit längeren Aufenthalten im Weltraum sammeln.« Er notierte die Punkte. »Doch ob wir uns nun auf die Raumfähre konzentrieren, ein Saturn-Programm ins Auge fassen oder beides: fünf Jahre müssen wir für die Entwicklung einer neuen Trägerrakete wohl veranschlagen. Also werden wir uns in der Zwischenzeit mit der Saturn V behelfen müssen.« Er warf einen Blick auf Agronski. »Sie wissen, daß wir die Produktionseinstellung der Saturn V bereits bekanntgegeben haben.«

»Natürlich.«

»Nun haben wir außer den Mondflügen noch das SkylabProgramm, für das wir vielleicht auch noch ein paar V’s benötigt hätten. Allerdings haben wir das Programm vor ein paar Monaten geändert; wir greifen wieder das Konzept der >Nassen Werkstatt< auf, für deren Start eine Saturn IB genügt. Also stehen die restlichen sieben einsatzbereiten beziehungsweise im Bau befindlichen Saturn V - SA-509 bis SA-515 - für die Apollo-Missionen zur Verfügung.«

»Wie viele Starts kalkulieren Sie für ein Mars-Programm ein?« fragte Agronski.

Michaels plusterte die Backen auf. »Sagen wir mal, in den nächsten fünf Jahren sechs Flüge mit einer Saturn V und vielleicht zehn mit einer Saturn IB. Das müßte für das Skylab genügen; und vielleicht schaffen wir es sogar, mit NERVA die ersten bemannten Flüge in den Erdorbit durchzuführen, bevor wir die neue Trägerrakete bekommen. Joe, findet das Ihre Zustimmung?«

»Ja, glaub schon«, grunzte Muldoon. »Wenn Sie veraltetes Material einsetzen und wieder einen Brand riskieren wollen, wie damals bei Apollo 1.«

»Aber, Joe.«

»Sechs Saturn V«, sagte Agronski. »Und dann hätten wir noch sieben Mondflüge, Apollo 14 bis 20.« Er setzte ein schmallippiges Grinsen auf.

Das ist es also. Nun kenne ich den Preis für den Mars und für Paines Posten. Es hatte den Anschein, daß Agronski einen verspäteten Rachefeldzug führte. Agronski hatte nämlich nie ein Hehl daraus gemacht, daß er das Programm für den bemannten Flug zum Mond mißbilligte, und das Vorhaben nach Kräften behindert. Agronski weiß, daß Apollo damit gestorben ist. Hier und jetzt, in diesem Raum.

»Nun«, sagte Agronski selbstgefällig. »Natürlich weiß ich, daß es viele Stimmen gegen eine Fortsetzung der Mondflüge gibt, sogar in den Reihen der NASA. Das ganze System ist einfach zu komplex. >Eines Tages wird Apollo noch jemanden umbringen, wenn es nicht schon Lovell und seine Besatzung auf dem Gewissen hat< - so sagt man doch, oder? Ich glaube, eine Einstellung des Programms würde nicht auf nennenswerten Widerstand stoßen - nicht einmal bei der NASA, nachdem die erste Landung nun absolviert wurde. Und.«