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Muldoon stieß den Stuhl zurück und erhob sich. »Dann beenden wir die Mondflüge also«, sagte der Hüne in heiligem Zorn. »Wo wir gerade erst dort angekommen sind. Mein Gott, Fred. Die späteren Flüge wären erst die Krönung des Programms«, sagte Muldoon. »J-Klasse-Missionen mit neuen Landekapseln, dreitägigem Aufenthalt auf der Oberfläche, mit Hochleistungs-Tornistern mit einer Kapazität von sieben Stunden für Mondspaziergänge und Elektrofahrzeugen. Wir hätten Landschaften von unglaublicher Schönheit und hohem wissenschaftlichen Nutzwert gesehen. Wir hatten sogar erwogen, auf die Rückseite des Monds zu gehen.«

Michaels starrte Muldoon an. Er war stolz auf seine Fähigkeiten als Amateur-Politiker, doch in diesem alles entscheidenden Augenblick fehlten ihm die Worte.

»Ich weiß, Joe. Ich weiß.«

Michaels konnte sich die Attacken ausmalen, denen er von Seiten der Wissenschaftler ausgesetzt sein würde. Womöglich gelang es ihm nicht einmal, Paine oder anderen maßgeblichen Leuten wie George Mueller, der immerhin ein Verfechter der Raumstationen war, einen solchen Handel schmackhaft zu machen. Darüber hinaus bestand die Gefahr, daß ein MarsProgramm die Tätigkeit der NASA einengen und einem einzigen Ziel unterordnen würde, wie es schon bei Apollo der Fall gewesen war.

Er versuchte, sich auf Muldoon zu konzentrieren und die Lage in seiner Gegenwart zu klären.

»Vielleicht müssen die Flüge gar nicht gestrichen werden, Joe. Vielleicht könnten wir das Programm strecken. Ein paar Flüge auf später verschieben.«

Muldoon wandte sich Michaels zu, wobei die Muskeln sich unter dem Hemd anspannten. »Tu das nicht, Fred. Laß die Mondflüge nicht sterben.«

Aus dem Augenwinkel sah Michaels Agronskis Gesicht, der von diesem Ausbruch von Monomanie angewidert schien.

Er weiß, daß er gewonnen hat. Er weiß, daß es mit einer bloßen Verschiebung nicht getan ist. Ich muß diesen Opfern zustimmen, sie innerhalb der NASA verkaufen und dann als ihr Direktor durchsetzen, um uns allen eine Zukunft zu geben. Und es werden noch viel schmerzlichere Einschnitte auf uns zukommen.

Michaels hatte das Gefühl, als ob die ganze Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart, in diesem Moment auf ihn einstürzte und daß er, wie auch immer seine Entscheidung ausfiele, vielleicht das Schicksal ganzer Welten bestimmte.

Sonntag, 21. Juni 1970 Hampton, Virginia

Nachdem Jim Dana an Richmond vorbeigefahren war, bog er mit der Corvette vom Highway 1 in südöstlicher Richtung auf den schmaleren State Highway 60 ab. Die Städte würden immer seltener und kleiner. Und hinter Williamsburg schien es dann gar nichts mehr zu geben außer Wäldern, Sümpfen und vereinzelten Bauernhäusern.

Es war ein frischer Junitag, und bald stieg Dana die salz- und ozonhaltige Meeresluft in die Nase. Die Sonne brannte auf den Ellbogen, der lässig aus dem Wagenfenster ragte. Die Landschaft um ihn herum schien sich auszudehnen und wieder die riesigen Dimensionen der Kindheit einzunehmen. Die Schreie der Seemöwen hallten in der Luft.

Gegen Mittag erreichte er Hampton: seine direkt an der Spitze der Halbinsel gelegene Heimatstadt - im Grunde nicht mehr als ein Fischerdorf. Er fuhr Straßen entlang, die ihm so vertraut waren, daß er fast glaubte, seine Erinnerungen hätten die Welt von damals wiederauferstehen lassen. Er sah dieselben heruntergekommenen Anleger, die im Brackwasser dümpelnden Kähne der Krabbenfischer, die Möwen: all die Symbole der Kindheit waren noch da. Es war, als ob zwölf Jahre von ihm abfielen und mit ihnen all seine beruflichen und privaten Erfolge - Mary und die Kinder, die Akademie, der Dienst in der Luftwaffe - und ihn wieder auf den Status eines Zehnjährigen reduzierten.

Menschen waren zum Mond geflogen. Und die Denker des ein paar Kilometer    weiter    nördlich    gelegenen

Forschungszentrums in    Langley    hatten    dabei eine

Schlüsselrolle gespielt, Danas Vater Gregory eingeschlossen. Doch an Hampton schien das alles spurlos vorübergegangen zu sein.

Seine Eltern traten auf die Veranda, um ihn zu begrüßen. Die Fenster waren blitzblank, die Veranda war gefegt, und die Glöckchen, die der Wind immer zum Klingen brachte, blitzten unter dem strahlend blauen Himmel. Doch das kleine Holzhaus wirkte irgendwie vernachlässigt, und überhaupt hatte die Stadt schon bessere Zeiten    gesehen.    Dana    spürte, daß

Klaustrophobie ihn wie ein alter, schlecht sitzender Mantel einengte.

Seine Mutter, Sylvia, war fülliger und älter geworden, und ihr Gesicht wirkte müder und eingefallener, als er es in Erinnerung hatte. Doch nun erschien ein so strahlendes Lächeln auf diesem Gesicht, daß Dana ein unbestimmtes Gefühl der Schuld verspürte. Und dann kam sein Vater, Gregory Dana, in einer alten Strickjacke und mit nachlässig gebundener Krawatte und wischte sich die Hände an einem ölverschmierten Lappen ab. Gregorys Augen waren hinter den staubigen Brillengläsern kaum zu sehen - John Lennon-Brille, sagte Dana sich und verkniff sich ein Grinsen.

Gregory schüttelte Dana die Hand. »Und wie kommt der große Astronaut voran?«

Gregory hatte diese Frage gestellt, solange Dana sich erinnerte. Der Unterschied war nur, daß es nun so aussah, als ob die Frage bald wörtlich zu verstehen sei.

Das Mittagessen ging recht steif vonstatten. Seine Eltern hatten ihre Zuneigung ihm gegenüber schon immer sparsam dosiert. Also erzählte er von Mary, den Kindern und wie sehr sie sich über die Geschenke gefreut hätten, die sie jüngst zum Geburtstag bekommen hatten: den Modellbausatz einer Saturn V-Rakete, der für den zweijährigen Jake noch viel zu kompliziert war, und den selbstgestrickten Pulli für Maria.

Nach dem Essen steckte Gregory Dana den Tabaksbeutel in die Tasche seiner verschlissenen grauen Strickjacke. »Na, Jimmy, wollen wir hinten in der Werkstatt ein bißchen fachsimpeln?«

Danas Mutter nickte ihm zu. Schon in Ordnung, er sollte ruhig gehen.

»Klar, Paps.«

Bei der sogenannten Werkstatt handelte es sich im Grunde um eine leerstehende Kammer an der Rückseite des Hauses. Sie war angefüllt mit Büchern, Werkzeugen, halbfertigen Modellen und einer Tafel, auf der irgendwelche unleserlichen Gleichungen standen.

Dana räumte ein paar Skizzen von einem Hocker. Er war bereits mit einer Patina aus feinem Staub überzogen. Sämtliche verfügbaren Oberflächen waren mit Zetteln, angekauten Bleistiften, Tabakkrümeln und unvollendeten Modellen belegt. Gregory hatte Sylvia untersagt, hier sauberzumachen. Als Dana schon größer war, hatte er zwar versucht, das Chaos zu begrenzen, doch seit er das Elternhaus verlassen hatte, war der Verschlag wohl kein einziges Mal gereinigt worden.

Sein Vater wuselte nun in der Werkstatt herum, klaubte diverse Teile aus dem Durcheinander und sortierte sie penibel. Dabei schmauchte Gregory zufrieden ein Pfeifchen, und der aromatische Tabakduft, der den Raum erfüllte, weckte Erinnerungen in Dana.

Sonntagnachmittags war Gregory oft mit Dana auf die Wiesen neben dem Flugfeld von Langley hinausgegangen, wo sie sich mit anderen Ingenieuren von Langley trafen und Flugzeug- und Raketenmodelle fliegen ließen - wobei es sich jedoch nicht um vorgefertigte Modelle gehandelt hatte, sondern um Eigenbauten, die in solchen Verschlägen wie dem von Gregory gebastelt wurden. Es war das Höchste für Dana gewesen, einen windigen Nachmittag mit diesen Exzentrikern zu verbringen, die sich selbst als Superhirne bezeichneten und von den Einwohnern von Hampton geschnitten wurden.

Als kleiner Junge hatte Dana seine Zukunft darin gesehen, in Langley Flugzeuge und Raketen zu entwickeln.