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»Na«, sagte Gregory, ohne ihn anzuschauen, »wohin wirst du nun versetzt?«

»Ich bin nicht sicher. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehe ich nach Edwards.« In die Mojave-Wüste, zum renommiertesten Testgelände der amerikanischen Luftwaffe.

»Wirst du dort auch fliegen?«

»Vielleicht. Ist sogar wahrscheinlich. Aber nicht die neuesten Maschinen.«

»Und«, fragte Gregory gleichmütig, »wirst du dann für längere Zeit dort bleiben?«

»In meinem Geschäft ist gar nichts längerfristig, Paps. Das weißt du doch selbst.« Diese Frage hörte er jedesmal, wenn er nach Hause kam.

Gregory hatte ein rundes Gesicht mit weichen Zügen und leichten Hängebacken, und der massige Schädel war mit schütterem Haar bedeckt. »Es ist wegen deiner Mutter. Sie macht sich Sorgen. Ich.«

»Paps«, sagte Dana, »ich bin doch kein Kampfpilot. Du brauchst dir deshalb keine Sorgen zu machen. Ich werde nicht nach Vietnam gehen. Ich will am Raumfahrtprogramm teilnehmen und nicht in den Krieg ziehen. Ich weiß nicht, wie oft ich noch versetzt werde.«

»Wäre es möglich, in Edwards auch eine AstronautenAusbildung machen?«

Dana holte tief Luft. »Sicher. Überhaupt wird Edwards noch eine Schlüsselstellung einnehmen«, sagte er. »Man wird sich dort mit der Entwicklung der Raumfähre beschäftigen und dabei auf den Trägersystemen aufbauen, die früher in Edwards erprobt wurden. Außerdem ist Edwards dem Vernehmen nach als Landeplatz für die Raumfähre vorgesehen. Sie kommt aus dem Weltraum rein und geht in der Salzwüste runter.«

»Falls die Raumfähre gebaut wird«, grunzte Gregory. »Es gibt auch schon Pläne für einen Flug zum Mars. Und dafür nehmen wir auch wieder primitive Raketen. V-2.«

Dana grinste. »Die deutschen Raketen, Paps?«

»Es ist dieser Dilettantismus, der mich aufregt. Von Brauns Konstruktionen sehen alle gleich aus. Seit dreißig Jahren! Riesige, >übermotorisierte< Maschinen! Hauptsache, auf dem schnellsten Weg zu den Sternen!«

»Immerhin haben die Deutschen schon einen Mann auf den Mond geschickt«, gab Dana zu bedenken.

»Natürlich. Aber es ist nicht elegant.«

Nicht elegant. Langley hat eben keinen Sinn für Ästhetik.

»Im Grunde hat die Theorie der Raumfahrt sich seit den Tagen von Jules Verne nicht fortentwickelt«, beanstandete Gregory.

»Ach, komm schon, Paps; das stimmt nun wirklich nicht.« Die Mondreisenden in den Science Fiction-Romanen von Jules Verne, die er im neunzehnten Jahrhundert geschrieben hatte, wurden von Florida aus mit einer großen Kanone zum Mond geschossen. »Sogar Verne hätte erkannt, daß seine Reisenden durch die enorme Beschleunigung an die Innenwand des Projektils geschmiert worden wären.«

Gregory wedelte mit der Pfeife. »Ja, natürlich. Darauf kommt es aber nicht an. Schau - Verne hat seine Reisenden mit einem Impuls losgeschickt: einem Schub, der durch die Kanone erzeugt wurde. Nach diesem kurzen Moment bewegte das Raumschiff sich antriebslos auf einem langgestreckten Orbit um die Erde.

Und mit Apollo ist es das gleiche. Unsere großen Brocken, von Brauns Saturn-Raketen, sind auch schon nach ein paar Minuten ausgebrannt, und das bei einem mehrtägigen Flug. Sie verleihen dem Raumschiff auch nur einen Impuls. Und die Mars-Studien beruhen auf demselben Prinzip. Schau hier.«

Gregory ging zur Tafel und wischte sie mit dem Ärmel ab. Dann kramte er in der Tasche der Strickjacke und brachte schließlich ein Stück Kreide zum Vorschein. Er malte zwei konzentrische Kreise an die Tafel. »Das sind die Orbits von Erde und Mars. Jedes Objekt im Sonnensystem bewegt sich auf einem Orbit um die Sonne: in Ellipsen mit unterschiedlicher Streckung.

Wie kommen wir nun von der Erde auf dem Innenkreis zum Mars auf dem Außenkreis? Wir verfügen nicht über die Technik, um die Raketen für einen längeren Zeitraum feuern zu lassen. Wir müssen deshalb mit Impulsen arbeiten und von einer elliptischen Bahn zur nächsten hüpfen, als ob wir von einer fahrenden Straßenbahn auf die andere springen würden. Und wir müssen die Flugbahn zum Mars und zurück aus Abschnitten von verschiedenen Ellipsen zusammenfügen. Wir treten und wir rollen, treten und rollen. Wie ein Radfahrer.«

Dana betrachtete die Entwürfe seines Vaters und war in Gedanken doch in Langley.

Das Samuel P. Langley Memorial Laboratory war das älteste Luftfahrt-Forschungszentrum der USA und Ausgangspunkt aller anderen Einrichtungen dieser Art. Es war während des Ersten Weltkriegs gegründet worden, weil man verhindern wollte, daß das Land der Gebrüder Wright hinter die Europäer zurückfiel, deren Luftfahrttechnik durch den Krieg einen Innovationsschub erfuhr. Es war eine andere Welt gewesen, wo die individualistischen Traditionen des alten Amerika noch Bestand hatten und wo es nicht erstrebenswert schien, die technokratischen Strukturen zu übernehmen, welche die totalitären Staaten in Europa zunehmend prägten.

Also arbeiteten die Leute in Langley mit geringen Mitteln und weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, mauserten sich jedoch zu Pionieren in der Luft- und Raumfahrttechnik. Und damals - so hatte Gregory Jim erzählt - bezeichneten die Einwohner von Hampton den Bürgerkrieg noch immer als >den letzten Krieg<.

Gregory hatte Jim oft nach Langley mitgenommen. Das Forschungszentrum war eine Ansammlung altehrwürdiger, massiver Gebäude mit breiten Veranden. Fast wirkte das Gelände wie der Campus einer Universität. Doch auf den akkurat gestutzten Rasenflächen und zwischen den von Bäumen gesäumten Wegen befanden sich exotische Gebilde: große Kuppeln, aus denen bis zu zehn Meter lange Röhren ragten. Das waren Langleys berühmte Windkanäle.

Im Lauf der Zeit hatte Jim Dana eine Übereinstimmung zwischen der Architektur von Langley - eine eigenartige Kombination aus konventionellen und exotischen Elementen -mit dem komplexen Bewußtsein seines Vaters festgestellt.

Wegen der peripheren Lage von Hampton machten viele brillante junge Luftfahrtingenieure einen großen Bogen um den Ort. Diejenigen, die dennoch nach Langley kamen, waren ebenso motiviert wie verschroben - auch Gregory machte da keine Ausnahme, wie Jim zu seinem Leidwesen erkannt hatte. Und die ortsansässigen Virginier hatten von der Ankunft der >Eierköpfe< - diese Bezeichnung hatte sich bis heute gehalten -kaum Notiz genommen. Also blieben die Ingenieure von Langley im Dienst und in der Freizeit weitgehend unter sich und lebten in ihrer eigenen kleinen Welt.

Nachdem Dana von zuhause ausgezogen war, hatte er erkannt, daß die Welt hinter Virginia noch nicht zu Ende war.

»Ich weiß nicht, wieso du überhaupt noch hier bist«, hatte er einmal zu seinem Vater gesagt. »An den anderen NASA-Standorten geht die Post richtig ab. Wieso ziehst du nicht einmal in Erwägung, dich zu verändern?« Der mangelnde Ehrgeiz seines Vaters war ihm unbegreiflich.

»Weil Leute wie ich hier am besten aufgehoben sind«, hatte Gregory erwidert. »Die Medien interessieren sich kaum für Langley. Nicht einmal der Rest der NASA interessiert sich sonderlich dafür. Für Außenstehende ist dieser Ort nur eine Ansammlung von grauen Gebäuden und grauen Menschen, die auf Rechenschieber starren und lange Gleichungen an Schiefertafeln schreiben. Doch wer sich für die Forschung in der Luftfahrt begeistert, hat dort das Paradies gefunden - einen unvergleichlichen und wundervollen Ort.«

Jim wußte, daß Langley den USA in der Luft- und Raumfahrt enorme Fortschritte beschert hatte. Während des Zweiten Weltkriegs hatte man sich dort mit der Entwicklung von

Kampfflugzeugen beschäftigt und danach mit den Programmen, aus denen das erste Überschallflugzeug, die Bell X-1, hervorging. Angehörige von Langley hatten die Arbeitsgruppe gebildet, die für das Mercury-Programm verantwortlich war, und später befaßten sie sich mit der konstruktiven Optimierung der Gemini- und ApolloRaumschiffe.

Gregory hatte nie über seine Vergangenheit gesprochen. Dana wußte, daß er während des Kriegs eine schwere Zeit durchgemacht hatte. Vielleicht, so sagte er sich, war Langley nach all diesen Widrigkeiten eine Art Zufluchtsort geworden. Es bildete nämlich einen Puffer zwischen ihm und dem Druck der konkurrierenden Rüstungsbetriebe einerseits und der NASA-Politik andererseits. Es war, als ob die Männer von Langley - und es handelte sich auch fast ausschließlich um Männer - zu einem stillschweigenden Konsens gefunden hätten, daß sie an diesem Standort bleiben und mit den gleichen bescheidenen Mitteln weiterarbeiten würden - obwohl das von Langley initiierte Raumfahrtprogramm förmlich explodierte.