auszudenken, was passieren würde, wenn eine Rakete über Florida abschmierte, nur weil jemand in Kap Kennedy Mist gemacht hatte.
Doch eines Tages würden sie fliegen, sagte Conlig sich. Gewiß, es gab noch Probleme. Aber sie würden sie lösen. Sobald Nixon der >Arbeitsgruppe Raumfahrt< grünes Licht gab.
Die >Arbeitsgruppe Raumfahrt< war ein Ausschuß unter Vorsitz des Vizepräsidenten Agnew, den Nixon beauftragt hatte, ein Weltraum-Programm für die Zeit nach den ApolloMissionen zu entwerfen. Diese Arbeitsgruppe sollte im September ihren Bericht vorlegen. Es ging das Gerücht, daß sie einen bemannten Raumflug zum Mars befürwortete. Sollte ein solches Programm beschlossen werden, würde das Projekt wohl mit beachtlichen Finanzmitteln ausgestattet werden.
Ben Priest erläuterte Natalie noch immer die Details des XE-Prototyps. Plötzlich wurde Conlig sich bewußt, daß sie nicht nur optisch miteinander harmonierten, sondern auch einen gelösten Eindruck machten. Er verspürte einen Anflug von Eifersucht.
Doch Natalie war eine harte Nuß für Priest. Sie redete über Politik, wie immer.
Natalie York lachte unbehaglich; sie spürte einen Anflug von Ehrfurcht - oder vielleicht auch Abscheu - beim Anblick des schlanken XE-Prototyps.
»Sie sagten, hier würden schon seit zehn Jahren nukleare Raketen entwickelt?«
»Ja«, sagte Priest.
»Und wieso? Flüge zum Mars werden doch erst seit kurzer Zeit diskutiert, oder?«
Priest kratzte sich am Ohr. »Die Versuche, die anfangs auf diesem Testgelände stattfanden, hatten nur peripher mit Raumfahrt zu tun, Natalie. Ende der fünfziger Jahre waren Raketen mit chemischem Antrieb noch Zukunftsmusik. Und die Atomraketen waren plumpe und schwere Geräte.«
»Ach so. Hier wurden Interkontinentalraketen gebaut. Nukleare Interkontinentalraketen.«
»Es handelte sich um Versuche«, erklärte Priest gleichmütig. »Nur für den Notfall. Bedenken Sie, daß die UdSSR damals einen großen Vorsprung vor uns hatte, mit ihren chemischen Interkontinentalraketen mit hoher Nutzlast. Doch unsere chemischen Raketen wurden immer größer, die Bomben wurden immer leichter, und damit wurde das Programm schließlich überflüssig. Später erwog die NASA, die Atomraketen im Rahmen der Apollo-Missionen für Mondflüge einzusetzen. Doch dann wurden die Saturn-Raketen entwickelt.«
»Und nun müssen wir Atomraketen bauen, weil wir zum Mars fliegen wollen.«
»He, Ben«, sagte Mike. »Vielleicht wirst du der erste Mensch auf dem Mars sein. In der Atomrakete Spiro Agnew.«
Ben schnaubte. Dann legte er die zu einem Trichter geformten Hände an den Mund und intonierte im Stil von Cronkite2: »Und nun schalten wir live zu Jackass Flats, wo das prächtige Raumschiff Agnew bereitsteht, die Menschheit ins Weltall zu tragen, ihrer neuen Bestimmung entgegen. ich übergebe an Dan.«
»Danke, Walter. Wo ich hier unter dem strahlend blauen Himmel von Nevada stehe, fällt mir wieder diese Anekdote ein.«
Die beiden alberten herum und rempelten sich gegenseitig an. Petey wurde durch ihr Gelächter angelockt und schlug seinem Vater spielerisch auf den Rücken.
York folgte ihnen gemächlich.
Sie sah sich nun gründlicher um und versuchte den Aufbau der Anlage zu ergründen. »Ich würde gern wissen, wie das hier funktioniert«, sagte sie zu Priest, als das Gelächter verstummt war.
»Nun, die Bahnstrecke ist die Hauptader«, sagte er und wies auf die Schienen. »Die Gleise enden an diesem Gebäude, dem Lager für radioaktive Materialien. Die Versuchsobjekte werden erst dann radioaktiv, nachdem sie gefeuert haben. Sie werden auf den Flachwagen zu den Testkammern gebracht und dort einem Probelauf unterzogen. Danach kommen sie auf eine Deponie am östlichen Ende der Schienen.«
»Weil sie zu verstrahlt sind, um sie zu bergen?«
»Ja.« Priest zuckte die Achseln. »Mike spricht zwar von Wiederaufbereitung, aber es hat eher den Anschein, daß ein interplanetares Raumschiff mit einem ganzen Bündel von NERVA-Raketen ausgerüstet werden wird. Wenn ein Triebwerk ausgebrannt ist, wird es abgestoßen, um die Besatzung vor der Radioaktivität zu schützen. Sämtliche nuklearen Raketen werden schon für das Ausscheren aus dem Erdorbit benötigt; für weitere Kurskorrekturen stehen dann chemische Raketen zur Verfügung.«
»Na toll. Und das haltet ihr für eine rationelle Art des Raumflugs?«
Er grinste sie an, wobei sein Gebiß fahl in der Dämmerung schimmerte. »Wenn ich damit zum Mars komme, ist es verdammt rationell.«
»Haben sich hier schon Unfälle ereignet?«
»Sicher. Das ist schließlich ein Testgelände. Was haben Sie sonst erwartet?«
»Was für Unfälle waren das?«
»Risse im Atomreaktor. Ozonbildung in eingeschlossenen Luftblasen. Verlust von Moderator.«
»Und Verletzungen?«
»Geplatzte Trommelfelle. Ein paar Verbrennungen.« Priest schien Unbehagen zu empfinden. »Natalie, was wollen Sie von mir hören? Das NRTG ist das Produkt einer anderen Zeit. Sie müssen die Dinge aus der damaligen Perspektive betrachten.«
»Sicher.« Eine andere Zeit also. Aber dieser verfluchte Ort wird noch immer genutzt. Und Mike arbeitet hier, um Gottes willen. Sie schauderte, als ob sie spürte, wie die radioaktiven Teilchen des Kalten Krieges ihren Körper perforierten.
Sie ließ den Blick schweifen. »Wie haltet ihr überhaupt die Radioaktivität zurück, nachdem die Testraketen gefeuert haben? Ich denke da an den radioaktiven Wasserstoff, der in die Luft entweicht.«
»Wie. >zurückhalten<?« fragte Ben.
Sie quetschten sich in Bens Corvette und rasten auf dem Interstate nach Vegas, wo sie übernachten und den Sonntag verbringen wollten. Petey schlief schon während der Fahrt ein.
Ben schaltete das Radio an. Es kamen gerade Nachrichten, und York lauschte trübsinnig den Verlustmeldungen aus Vietnam.
Es war inzwischen dunkel geworden, und gleißende Sterne erschienen am Himmel über der Wüste.
Ben beugte sich nach vorn und drehte das Radio lauter. »He, Mike, hör mal. Agnew spricht.«
. Die drei Optionen, die unsere Arbeitsgruppe definiert hat, stellen ein ausgewogenes Programm dar... eine Palette von bemannten Raumflügen, Raumsonden und Satelliten - zum Wohle der Menschheit und zum Zweck einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit im All.
Dann ertönte die sonore Stimme Wernher von Brauns, der vor dem Senat sprach. Ich sage, wir sollten es schnell tun und den Fuß auf einen neuen Planeten setzen, solange wir noch die Gelegenheit dazu haben.
»Es ist also immer noch die Rede davon, zum Mars zu fliegen«, sagte York.
»Sicher«, sagte Ben. »Agnews drei Optionen beziehen sich allesamt auf den Flug zum Mars. Der einzige Unterschied zwischen ihnen besteht darin, daß man um so früher dort ankommt, je größer der Jahresetat ist. Obwohl.«
»Was?«
»Obwohl er noch eine vierte Option genannt hat: daß wir die bemannte Raumfahrt nämlich ganz einstellen.« Priest schaute auf die Straße. »Ich schätze, wir müssen einfach abwarten.«
»Agnew ist ein Arschloch«, sagte York mit milder Stimme.
»Vielleicht, aber das Arschloch hat ein Faible für Raumschiffe und Astronauten«, sagte Mike und beugte sich nach vorn. »Das macht ihn für mich zu einem sympathischen Arschloch.«
»Ein Flug zum Mars ist eine nette Idee«, sagte York. »Aber es ist auch Science Fiction. Oder?«
Mike klopfte ihr auf die Schulter. »Du hast den XE-Prototyp gesehen. Wir sind in der Lage, diesen Vogel zu bauen. Alles, was wir brauchen, ist das Geld.«