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Tessa schien überrascht. Sie sagte zu Sam: »Sie waren in Vietnam?«

Sam nickte. »Zwischen dem Junior College und dem FBI.«

»Aber das haben Sie nie erwähnt. Als wir heute morgen das Frühstück machten und Sie mir die Gründe aufgezählt haben, weshalb Sie die Welt so anders sehen als ich, haben Sie den Tod Ihrer Frau erwähnt, die Ermordung Ihrer Partner, die Situation mit Ihrem Sohn, aber nicht das.«

Sam betrachtete sein bandagiertes Handgelenk eine Weile und sagte schließlich: »Der Krieg ist das persönlichste Erlebnis meines Lebens.«

»Was für seltsame Worte.«

»Überhaupt nicht seltsam«, sagte Harry. »Das intensivste und persönlichste.«

Sam sagte: »Wenn ich nicht damit fertig geworden wäre, würde ich vielleicht immer noch darüber reden, wahrscheinlich ständig. Aber ich bin damit fertig geworden. Ich habe es verstanden. Und wenn ich mich jetzt beiläufig mit jemandem darüber unterhalten würde, den ich gerade erst kennengelernt habe, würde ich es wohl... abwerten, schätze ich.«

Tessa sah Harry an und sagte: »Aber Sie wußten, daß er in Vietnam war?«

»Ja.«

»Wußten es einfach irgendwie.«

»Ja.«

Sam hatte sich über den Tisch gebeugt. Jetzt ließ er sich auf den Stuhl zurücksinken. »Harry, ich schwöre, daß ich alles versuchen werde, uns hier herauszubringen. Ich wünschte nur, ich würde besser verstehen, womit wir es zu tun haben. Es geht alles von New Wave aus. Aber was genau haben sie getan, und wie kann man es aufhalten? Und wie soll ich damit fertig werden, wenn ich es nicht einmal verstehe'?«

Bis zu diesem Punkt hatte Chrissie den Eindruck gehabt, daß die Unterhaltung schlichtweg über ihren Horizont ging, obwohl alles faszinierend gewesen war und einiges das Ge -fühl zu lernen in ihr ausgelöst hatte. Jetzt spürte sie, daß sie etwas beisteuern mußte: »Sind Sie wirklich sicher, daß es keine Außerirdischen gibt?«

»Wir sind sicher«, sagte Tessa und lächelte ihr zu, und Sam zerzauste ihr das Haar.

»Nun«, sagte Chrissie, »ich meine, vielleicht sind Außerirdische bei New Wave gelandet und haben es als Stützpunkt benützt, und vielleicht wollen sie uns alle in Maschinen verwandeln, so wie die Coltranes, damit wir ihnen als Sklaven dienen können - was vernünftiger scheint als uns zu essen, wenn man genauer darüber nachdenkt. Schließlich sind sie Außerirdische, und das bedeutet, sie haben außerirdische Mägen und außerirdische Verdauungssäfte, und wir würden ihnen Sodbrennen oder sogar Durchfall verschaffen.«

Sam, der auf dem Stuhl neben Chrissie saß, nahm ihre beiden Hände behutsam in seine, weil er sich ihrer Aufschürfung ebenso bewußt war wie seines zerschnittenen Handgelenks. »Chrissie, ich weiß nicht, ob du aufmerksam zugehört hast, was Harry gesagt hat...«

»O ja«, sagte sie sofort, »ganz genau.«

»Nun, dann wirst du begreifen, daß auch das, die Schrek-ken Außerirdischen in die Schuhe zu schieben, nur ein Weg ist, die Verantwortung von da abzuwälzen, wo sie wirklich hingehört - zu uns, den Menschen, und unserer sehr realen und sehr großen Fähigkeit, einander Böses anzutun. Es ist schwer vorstellbar, daß jemand, auch ein Verrückter, das aus den Coltranes machen wollte, was sie geworden sind, aber offenbar wollte jemand genau das. Wenn wir versuchen, die Schuld auf Außerirdische abzuwälzen - oder den Teufel oder Gott oder Trolle, was auch immer -, werden wir die Situation wahrscheinlich nicht klar genug einschätzen können, um einen Weg zu finden, uns zu retten. Verstehst du das?«

»Irgendwie schon.«

Er lächelte sie an. Er hatte ein sehr hübsches Lächeln, obwohl er nicht oft Gebrauch davon machte. »Ich glaube, du verstehst es besser als nur >irgendwie schon<.«

»Mehr als nur irgendwie schon<«, stimmte Chrissie zu. »Es wäre sicher schön, wenn es Außerirdische wären, denn dann müßten wir nur ihr Nest oder ihren Stock oder was auch immer finden, müßten sie ausbrennen, vielleicht ihr Raumschiff in die Luft sprengen, und das wäre ihr Ende. Aber wenn es keine Außerirdischen sind, wenn wir es sind

- Menschen wie wir -, die das alles getan haben, dann wird es vielleicht nie ein Ende geben.«

30

Loman Watkins fuhr mit wachsender Frustration von einem Ende von Moonlight Cove zum anderen, hin und her, kreuz und quer durch den Regen, und suchte Shaddack. Er hatte das Haus an der Nordspitze noch einmal besucht, um sicherzustellen, daß Shaddack nicht dorthin zurückgekehrt war, und auch, um in der Garage nachzusehen, welches Fahrzeug fehlte. Jetzt suchte er nach Shaddacks schieferfar-benem Lieferwagen mit den getönten Scheiben, konnte ihn aber nicht finden.

Wo immer er hinfuhr, waren die Verwandlungsteams und Suchtrupps unterwegs. Die Nichtverwandelten würden wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches an den Leuten bemerken, die durch die Stadt schlenderten, aber Loman entgingen sie nicht.

An den nördlichen und südlichen Straßensperren der Landstraße und an der Hauptsperre am Ostende der Ocean Avenue waren Lomans Beamte damit beschäftigt, sich um die Auswärtigen zu kümmern, die nach Moonlight Cove wollten. Auspuffgase stiegen von den parkenden Streifenwagen auf und vermischten sich mit den Nebelschwaden, die sich allmählich durch den Regen schlängelten. Die rotblauen Warnlichter spiegelten sich im nassen Asphalt, so daß es aussah, als würden Ströme sauerstoffreichen und sauerstoffarmen Blutes am Gehweg entlangfließen.

Es gab nicht viele potentielle Besucher, weil die Stadt weder der Sitz des County noch ein hauptsächliches Einkaufsziel der Anwohner aus den umliegenden Gemeinden war. Darüber hinaus befand sie sich fast am Ende der Landstraße, und es gab keine Ziele mehr dahinter, daher gab es auch keinen Durchgangsverkehr. Diejenigen, die die Stadt besuchen wollten, wurden, wenn möglich, mit einer Geschichte über einen Giftgasunfall bei New Wave abgespeist. Diejenigen, die skeptisch waren, wurden festgenommen, ins Gefängnis gebracht und in Zellen gesperrt, bis eine Entscheidung getroffen werden konnte, ob man sie töten oder verwandeln sollte. Seit Errichtung der Quarantäne in den frühen Morgenstunden hatten nur wenige an den Straßensperren gehalten, und nur sechs waren eingesperrt worden.

Shaddack hatte sein Experimentiergelände gut gewählt. Moonlight Cove war vergleichsweise isoliert und daher leicht zu kontrollieren.

Loman dachte daran, die Straßensperre beseitigen zu lassen und nach Aberdeen Wells zu fahren, wo er dem CountySheriff die ganze Geschichte erzählen könnte. Er wollte alles über das Projekt Moonhawk preisgeben.

Er hatte keine Angst mehr vor Shaddacks Wut oder dem Sterben. Nun... das stimmte nicht ganz. Er hatte Angst vor Shaddack und dem Sterben, aber sie waren weniger schlimm als die Aussicht, etwas zu werden wie Denny. Er hätte sich lieber dem Sheriff in Aberdeen und den Bundes -behörden gestellt - sogar Wissenschaftlern, die ihn aufschneiden und untersuchen wollten, wenn das Schlamassel in Moonlight Cove aufgeräumt würde -, als in der Stadt zu bleiben und die letzten Reste seiner Menschlichkeit entweder an die Regression oder eine alptraumhafte Vernetzung von Verstand und Körper mit einem Computer zu verlieren.