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»Na also!« sagte Chrissie.

Harry sah Sana an und sagte: »Aber ich kann nicht durch die Straßen fahren, die manchmal sehr steil sind, ohne einen Begleiter. Der Rollstuhl hat Bremsen, und der Motor ist ziemlich stark, aber er reicht nicht annähernd für die Steigungen aus.«

»Wir sind bei Ihnen«, sagte Chrissie ernst. »Wir können Ihnen helfen.«

»Liebes Mädchen, ihr könnt nicht schnell genug durch drei Blocks besetztes Gelände schleichen, wenn ihr mich dabei mitschleppen müßt«, sagte Harry fest. »Zunächst einmal müßt ihr euch weitgehend von den Straßen fernhalten, wogegen ich nur auf Asphalt rollen kann, besonders bei diesem Wetter, wo der Boden so naß ist.«

»Wir können Sie tragen.«

»Nein«, sagte Sam. »Das können wir nicht. Nicht, wenn wir zur Schule gelangen und eine Botschaft ans Bureau absetzen wollen. Es ist eine kurze Strecke, aber voller Gefahren, und wir müssen ohne Belastungen gehen. Tut mir leid, Harry.«

»Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagte Harry. »Ich würde es nicht anders dulden. Glauben Sie, ich möchte wie ein Zementsack durch die halbe Stadt geschleppt oder getragen werden?«

Die offensichtlich beunruhigte Chrissie stand vom Bett auf und ballte die Fäuste an den Seiten. Sie sah von Tessa zu Sam und wieder zu Tessa und flehte sie stumm an, sich eine Möglichkeit auszudenken, Harry zu retten.

Draußen war der graue Himmel jetzt von häßlichen Wolken befleckt, die beinahe schwarz waren.

Der Regen ließ nach, aber Tessa spürte, daß es nur eine kurze Ruhepause war, nach der es noch heftiger als vorher schütten würde.

Die seelische und weltliche Düsternis nahmen zu.

Moose winselte leise.

Tränen glitzerten in Chrissies Augen, sie schien Harry nicht in die Augen sehen zu können. Sie ging zum Nordfenster und sah zum Nachbarhaus hinüber und zur Straße hinunter - gerade so weit vom Glas weg, daß sie von draußen nicht gesehen werden konnte.

Tessa wollte sie trösten.

Sie wollte auch Harry trösten.

Mehr als das... sie wollte, daß alles richtig würde.

Als Autorin/Regisseurin/Produzentin war sie ein Macher und gut darin, das Kommando zu übernehmen und dafür zu sorgen, daß etwas geschah. Sie wußte immer, wie ein Problem zu lösen war, was man in einer Krise tat, wie man die Kameras am Rollen hielt, nachdem ein Projekt angefangen hatte. Aber jetzt war sie hilflos. Sie konnte die Wirklichkeit nicht immer mit der Treffsicherheit skripten, wie sie ihre Filme schrieb; manchmal weigerte sich die wirkliche Welt, sich ihrem Willen zu beugen. Vielleicht hatte sie deshalb ihren Beruf einer Familie vorgezogen, obwohl sie als Kind so eine wunderbare Familienatmosphäre erlebt hatte. Sie wirkliche Welt des täglichen Lebens und Strebens war schlampig, unvorhersehbar, voll loser Enden; sie konnte sich nicht darauf verlassen, daß sie alles so verknüpfen konnte, als würde sie sich einzelne Aspekte herausgreifen und zu einem ordentlichen Film zusammenfügen. Das Leben war das Leben, breit und prall... aber Film bestand nur aus dem Es -sentiellen. Vielleicht kam sie mit dem Essentiellen besser zurecht als mit dem Leben in all seinen fröhlichen Einzelheiten.

Ihr genetisch bedingter Lockland-Optimismus, der bislang so grell wie ein Scheinwerfer gewesen war, hatte sie nich't verlassen, aber er war momentan eindeutig etwas getrübt.

Harry sagte: »Es wird alles gut werden.«

»Wie?« fragte Sam.

»Ich bin wahrscheinlich der letzte auf ihrer Liste«, sagte Harry. »Sie werden sich nicht speziell um Krüppel und Blinde kümmern. Selbst wenn wir etwas erfahren, können wir die Stadt nicht verlassen und Hilfe holen. Mrs. Sagerian - sie wohnt drüben am Pinecrest - ist blind, und ich wette, wir beiden sind die letzten im Plan. Sie werden mit uns bis kurz vor Mitternacht warten. Wir werden schon sehen. Ganz bestimmt. Sie müssen also nur zur High School und das FBI benachrichtigen, damit Hilfe kommt, und zwar pronto, bevor es Mitternacht ist, und alles wird gut werden.«

Chrissie wandte sich vom Fenster ab, ihre Wangen waren tränenfeucht. »Glauben Sie das wirklich, Mr. Talbot? Glauben Sie wirklich allen Ernstes, daß sie nicht vor Mitternacht hierherkommen werden?«

Mit dem ständig etwas zur Seite geneigten Kopf, der je nachdem, wie man ihn sah, entweder fröhlich oder herzzerreißend war, blinzelte Harry dem Mädchen zu, obwohl sie weiter von ihm weg war als Tessa und das Zwinkern vielleicht gar nicht sah. »Wenn ich dich anlüge, Liebes, soll Gott mich in diesem Augenblick mit einem Blitzstrahl erschlagen.«

Es regnete, aber kein Blitz war zu sehen.

»Siehst du?« sagte Harry grinsend.

Obwohl das Mädchen eindeutig das Szenario glauben wollte, das sich Harry für sie ausgedacht hatte, wußte Tessa, sie konnten sich nicht darauf verlassen, daß er wirklich der letzte oder vorletzte auf der Liste der letzten Etappe der Verwandlung war. Was er gesagt hatte, schien einigermaßen zutreffend zu sein, aber es war einfach zu schön. Wie die Entwicklung einer Erzählstruktur beim Drehbuch. Das wirkliche Leben war, wie sie sich gerade vergegenwärtigt hatte, schlampig und unvorhersehbar. Sie wollte verzweifelt glauben, daß Harry bis wenige Minuten vor Mitternacht sicher sein würde, aber in Wirklichkeit würde er in allergrößter Gefahr sein, sobald die Uhr sechs geschlagen hatte und die letzte Etappe der Verwandlungen angefangen hatte.

35

Shaddack blieb fast den ganzen Nachmittag über in der Garage von Paula Parkins.

Er machte zweimal das große Tor auf, ließ den Motor des Lieferwagens an und fuhr in die Einfahrt, wo er das Fortschreiten von Moonhawk besser über VDT verfolgen konnte. Er war beide Male zufrieden mit den Daten, fuhr n die Garage zurück und ließ das Tor wieder herunter.

Der Mechanismus tickte planmäßig. Er hatte ihn entworfen, gebaut, aufgezogen und den Starthebel gedrückt. Jetzt konnte er ohne ihn ablaufen.

Er verbrachte die Stunden hinter dem Lenkrad sitzend und hing Tagträumen über die Zeit nach, wenn das Projekt Moonhawk vollendet und die ganze Welt einbezogen sein würde. Wenn keine Alten Menschen mehr existierten, würde er das Wort >Macht< neu definiert haben, denn kein anderer Mensch im Verlauf der Geschichte vor ihm hatte dieses Ausmaß an Kontrolle gehabt. Wenn er die Rasse neu geschaffen hatte, konnte er ihr Schicksal nach seinem eigenen Gutdünken programmieren. Die ganze Menschheit würde ein einziger großer Stock sein, der regsam summte und seiner Vision diente. Bei seinen Tagträumen wurde seine Erektion so hart, daß sie schmerzhaft zu pochen anfing.

Shaddack kannte viele Wissenschaftler, die aufrichtig zu glauben schienen, daß es der Zweck technologischen Fortschritts war, die Lage der Menschheit zu verbessern, die Rasse aus dem Schlamm herauszuholen und schließlich einmal zu den Sternen zu transportieren. Er sah das anders. Für ihn bestand der einzige Zweck der Technologie darin, Macht in seinen Händen zu konzentrieren. Die bisherigen potentiellen Neugestalter der Welt hatten sich auf politische Macht verlassen, was in letzter Konsequenz immer die Macht des Gesetzes bedeutete. Hitler, Stalin, Mao, Pol Pöt und viele andere hatten Macht durch Einschüchterung und Massenmord gesucht, sie waren durch Blutlachen zum Thron geschritten, und keinem war am Ende das zuteil geworden, was Silikonchips nun Shaddack geben würden. Die Feder war nicht mächtiger als das Schwert, aber der Mikro -prozessor war mächtiger als gewaltige Armeen.

Wenn sie wüßten, was er angefangen und welche Eroberungsfantasien er noch in sich hatte, würden wahrscheinlich alle anderen Männer der Wissenschaft sagen, daß er pervers, krank, nicht normal war. Das war ihm einerlei. Sie hatten selbstverständlich unrecht. Weil ihnen nicht klar war, wer er war. Das Kind des Mondfalken. Er hatte diejenigen vernichtet, die sich als seine Eltern ausgegeben hatten, und er war nicht entlarvt und bestraft worden, was Beweis dafür war, daß die Gesetze und Vorschriften, nach denen andere Menschen leben mußten, auf ihn nicht zutrafen. Seine wahren Eltern waren körperlose und mächtige Geistwesen. Sie hatten ihn vor einer Bestrafung beschützt, weil die Morde, die er vor so langer Zeit in Phoenix begangen hatte, ein heiliges Opfer für seine wahren Vo rfahren gewesen waren, eine Bekundung, wie sehr er an sie glaubte und ihnen vertraute. Andere Wissenschaftler würden ihn mißverstehen, weil sie nicht wissen konnten, daß sich die gesamte Existenz um ihn herum konzentrierte, daß das Universum selbst nur existierte, weil er existierte, und wenn er jemals starb - was unwahrscheinlich war -, würde das gesamte Universum gleichzeitig zu existieren aufhören. Er war der Mittelpunkt der Schöpfung. Er war der einzige Mensch, auf den es ankam. Das hatten ihm die großen Geister gesagt. Die großen Geister hatten ihm diese Wahrheit mehr als dreißig Jahre lang im wachen und im schlafenden Zustand ins Ohr geflüstert.