Kind des Mondfalken...
Während der Nachmittag verstrich, wurde er noch aufgeregter, wenn er an die abschließende Phase des ersten Teils des Projekts dachte, und er hielt das vorübergehende Exil in Parkins' Garage nicht mehr aus. Es schien zwar klug gewesen zu sein, sich von Orten fernzuhalten, an denen Loman Watkins ihn finden könnte, aber es fiel .ihm zunehmend schwerer, Gründe dafür zu finden, sich weiter zu verstek-ken. Die gestrigen Vorkommnisse in Mike Peysers Haus kamen ihm gar nicht mehr so katastrophal vor, lediglich ein unbedeutender Rückschlag; er war sicher, daß sich das Problem der Regressiven letztendlich lösen lassen würde. Sein Genie war die Folge direkter Kontakte zwischen ihm und höheren Geistern, und wenn diese großen Geister seinen Erfolg wollten, war keine Schwierigkeit unüberwindbar. Die Bedrohung, die von Watkins ausging, wurde in seiner Erinnerung immer nebensächlicher, bis das Versprechen des Polizeichefs, ihn zu finden, hohl und sogar bemitleidenswert wirkte.
Er war das Kind des Mondfalken.
Um halb fünf machte er das Garagentor auf.
Er ließ den Lieferwagen an und fuhr die Einfahrt hinab.
Er war das Kind des Mondfalken.
Er bog auf die Landstraße ein und fuhr Richtung Stadt.
Er war das Kind des Mondfalken, Erbe der Krone des Lichts, und um Mitternacht würde er seinen Thron besteigen.
36
Pack Martin - sein Name lautete eigentlich Packard, weil seine Mutter ihn nach einem Auto getauft hatte, das der ganze Stolz seines Vaters gewesen war - lebte in einem Hauswohnwagen am südöstlichen Stadtrand. Es war ein alter Wohnwagen, dessen emaillierte Teile verblaßt und rissig waren wie die Glasur einer uralten Vase. Er war an manchen Stellen rostig, verbeult und stand auf einem Betonfundament auf einem Grundstück, das fast vollständig von Unkraut überwuchert war. Pack wußte, viele Menschen in Mo-onlight Cove hielten dieses Grundstück für eine Schande, aber ihm war das ziemlich scheißegal.
Der Wohnwagen hatte elektrischen Strom, einen Ölofen und fließend Wasser, was seinen Ansprüchen vollauf genügte. Er war warm und trocken und hatte einen Ort, an dem er sein Bier aufbewahren konnte. Es war ein ansehnlicher Palast.
Und am besten war, der Wohnwagen war schon vor fünfundzwanzig Jahren mit Geld bezahlt worden, das er von seiner Mutter geerbt hatte, so daß keine Hypothek über seinem Kopf hing. Er hatte noch etwas von der Erbschaft übrig, aber er rührte die Summe so gut wie nie an. Die'Zinsen beliefen sich auf fast dreihundert Dollar monatlich, und zudem hatte er seine Behindertenrente, die er sich durch einen Sturz, drei Wochen nachdem er zur Armee eingezogen worden war, verdient hatte. Die einzige echte Arbeit, der Pack je nachgegangen war, war das Studium der subtilsten und komplexe -sten Symptome ernster Rückenverletzungen, die er genau auswendig gelernt hatte, bevor er seinem Musterungsbescheid Folge leistete.
Er war zu einem Mann des Müßiggangs geboren. Das hatte er schon im zartesten Alter gewußt. Die Arbeit und er waren nichts füreinander. Er dachte sich, das er auserkoren gewesen wäre, als Sohn einer reichen Familie geboren zu werden, aber irgend jemand hatte gepennt und es vermasselt, und so war er zum Sohn einer Kellnerin geworden, die gerade hinreichend arbeitsam gewesen war, ihm ein minimales Erbe zu hinterlassen.
Aber er beneidete niemanden. Er kaufte jeden Monat zwölf oder vierzehn Kästen billiges Bier im Supermarkt am Highway, und er hatte den Fernseher, und er war mit einem Schinken- und Senf-Sandwich und ein paar Fritos ab und zu ganz zufrieden.
An diesem Dienstag nachmittag um vier Uhr hatte Pack die zweite Sechserpackung des Tages schon fast hinter sich, fläzte in seinem Ohrensessel und sah sich eine Quizsendung an, bei der die prallen Möpse der Assistentinnen, die immer von weit ausgeschnittenen Kleidern betont wurden, wesentlich interessanter waren als der Showmaster, die Teilnehmer oder die Fragen.
Der Showmaster sagte: »Was wählen Sie? Möchten Sie das, was hinter Wand eins, Wand zwei oder Wand drei ist?«
Pack sagte zum Fernseher: »Ich nehme das, was die Süßen im Ausschnitt haben, herzlichen Dank«, und trank noch mehr Bier.
Da klopfte jemand an die Tür.
Pack stand nicht auf, er nahm das Klopfen nicht einmal zur Kenntnis. Er hatte keine Freunde, daher interessierten ihn Besucher nicht. Es waren immer Wohltäter der Gemein -de, die ihm einen Karton Lebensmittel brachten, die er nicht wollte, oder ihm anboten, sie würden sein Unkraut mähen und das Grundstück aufräumen, was er auch nicht wollte, weil er sein Unkraut mochte.
Sie klopften noch einmal.
Pack antwortete darauf, indem er den Fernseher lauter stellte.
Sie klopften fester.
»Geh weg«, sagte Pack.
Sie hämmerten an die Tür, so daß der ganze Wohnwagen bebte.
»Was soll das?« sagte Pack. Er schaltete den Fernseher aus und stand auf.
Das Hämmern wiederholte sich nicht, aber Pack hörte seltsam kratzende Laute an der Seite des Wagens.
Und es knirschte auf dem Fundament, was manchmal vorkam, wenn der Wind besonders stark wehte. Aber heute war es windstill.
»Kinder«, entschied Pack.
Die Familie Aikhorn, die zweihundert Meter südlich auf der anderen Seite der Landstraße wohnte, hatte so brutale Kinder, daß man sie allesamt hätte einschläfern, in Formaldehyd einlegen und in einem Museum für kriminelles Verhalten hätte ausstellen sollen. Diese Bälger schoben ihm zum Spaß Kracher durch Ritzen in den Fundamenten herein und weckten ihn mitten in der Nacht mit einem lauten Knall.
Das Kratzen an der Wohnwagenseite hörte auf, aber jetzt liefen ein paar Kinder auf dem Dach herum.
Das war zuviel. Das Metalldach war zwar nicht undicht, hatte aber schon bessere Zeiten gesehen, und unter dem Ge -wicht mehrerer Kinder würde es sich wahrscheinlich verbiegen, wenn nicht gar an den Nähten aufplatzen.
Pack machte die Tür auf, trat in den Regen hinaus und
überschüttete sie mit Obszönitäten. Aber als er nach oben sah, sah er keine Kinder auf dem Dach. Statt dessen sah er etwas aus einem Monsterfilm der fünfziger Jahre, so groß wie ein Mensch, mit klickenden Kiefern und Facettenaugen und einem von winzigen Scheren gesäumten Mund. Das Unheimliche war, er sah auch ein paar Züge eines menschlichen Gesichts in der monströsen Fratze, gerade soviel, daß er Daryl Aikhorn, den Vater der Bälger, er erkennen glaubte. »Brauuuuuuuuche«, sagte es mit einer Stimme, die halb die von Aikhorn und halb insektenhaftes Surren war. Es sprang ihn an, und dabei fuhr es einen teuflisch spitzen Stachel aus dem ekelhaften Körper aus. Noch bevor ihn der ein Meter lange, unterteilte Speer am Magen durchbohrte und durch ihn hindurchging, wußte Packer, daß die Tage von Bier und Schinkensandwiches und Fritos und Invalidenrente und Quizmädchen mit perfekten Möpsen vorbei waren.
Randy Hapgood, vierzehn, schlurfte durch das schmutzige, knöcheltiefe Wasser eines überfließenden Rinnsteins und schnaubte verächtlich, als wollte er sagen, daß die Natur mit einem tausendmal größeren Hindernis daherkommen mußte, wenn sie ihn einschüchtern wollte. Er weigerte sich, Regenmantel und Gummistiefel zu tragen, weil diese Klei