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Wegen der dunkeln Sturm wölken, die den Himmel bedeckten, senkte sich eine frühe Dämmerung über Moonlight Co-ve, und die ganze Gemeinde schien die Faszinierende-Lite-ratur-Woche in der Bibliothek zu feiern. Für viele war der Tag, der zu Ende ging, voller Aufregung und Überraschungen, so wie die Geisterbahn des makabersten Jahrmarkts, der jemals seine Zelte aufgeschlagen hatte.

37

Sam leuchtete mit der Taschenlampe durch den Dachboden. Er hatte einen Dielenboden, aber kein Licht. Nichts wurde hier aufbewahrt, abgesehen von Staub, Spinnweben und einer Vielzahl toter, vertrockneter Bienen, die während des Sommers ihr Nest in den Balken gebaut hatten und entweder durch einen Kammerjäger gestorben waren, oder weil sie das Ende ihrer Lebensspanne erreicht hatten.

Er kehrte zufrieden zur Falltür zurück und ging rückwärts die Holzleiter hinunter in den begehbaren Kleiderschrank von Harrys Schlafzimmer im dritten Stock. Sie hatten einen Großteil der Kleidungsstücke entfernt, damit sie die Klappe aufmachen und die Leiter herunterziehen konnten.

Tessa, Chrissie, Harry und Moose warteten direkt vor der Schranktür in dem Schlafzimmer, in dem es immer dunkler wurde, auf ihn.

Sam sagte: »Ja, das wird gehen.«

»Ich war zum letzten Mal vor dem Krieg da oben«, sagte Harry.

»Etwas schmutzig und ein paar Spinnen, aber Sie werden in Sicherheit sein. Wenn Sie nicht der letzte auf der Liste sind und sie doch früher zu Ihnen kommen, werden sie das Haus verlassen vorfinden, und sie werden nie an den Speicher denken. Denn wie sollte ein Mann mit zwei gelähmten Beinen und einem gelähmten Arm dort hinaufziehen können?«

Sam war nicht sicher, ob er glaubte, was er da sagte. Aber zu seiner eigenen und Harrys Beruhigung wollte er es glauben.

»Kann ich Moose mit hinauf nehmen?«

»Nehmen Sie die Pistole, von der Sie gesprochen haben«, sagte Tessa, »aber nicht Moose. Er ist zwar wohlerzogen, aber er könnte trotzdem im falschen Augenblick bellen.« »Wird Moose hier unten sicher sein... wenn sie kommen?« fragte Chrissie.

»Ich bin ganz sicher«, sagte Sam. »Sie wollen keine Hunde. Nur Menschen.«

»Wir sollten zusehen, daß wir hinaufkommen, Harry«, sagte Tessa. »Es ist zwanzig nach fünf. Wir müssen bald von hier verschwinden.«

Das Schlafzimmer füllte sich fast ebenso schnell mit Schatten, wie sich ein Glas mit blutrotem Wein füllt.

Teil Drei

IHNEN GEHÖRT DIE NACHT

Montgomery sagte mir, daß das Gesetz... vor Anbruch der Nacht seltsam geschwächt wurde; daß das Tier da am stärksten war; daß sie bei Dämmerung von Abenteuerlust gepackt wurden; dann wagten sie Dinge, von denen sie bei Tage nicht einmal zu träumen gewagt hätten.

H. G. WELLS Die Insel des Dr. Moreau

1

In den von Büschen bewachsenen Hügeln rings um die verlassene Ikarus-Kolonie herum krochen Maulwürfe und Feldmäuse und Kaninchen und ein paar Füchse aus ihren Löchern und standen zitternd und lauschend im Regen. In den nächstgelegenen Pinien- und Gummibaum- und herbstlich kahlen Birkenhainen, einer südlich, der andere gleich östlich von der Kolonie, standen Eichhörnchen und Waschbären starr da.

Die Vögel reagierten als erste. Sie flogen trotz des Regens aus ihren geschützten Nestern in den Bäumen, in dem verfallenen alten Stall und in den verfallenden Erkern des Hauptgebäudes selbst heraus. Sie flogen zwitschernd und kreischend himmelwärts, flogen hin und her und kreisten und schössen dann senkrecht auf das Haus hinunter. Stare, Zaunkönige, Krähen, Eulen und Falken kamen alles in schriller, flügelschlagender Verwirrung herbei. Manche prallten gegen die Mauern, als wären sie mit Blindheit geschlagen, und flogen immer wieder dagegen an, bis sie sich das Genick brachen, oder die Flügel, worauf sie zu Boden fielen, wo sie herumflatterten und zwitscherten, bis sie erschöpft waren oder starben. Andere, ebenfalls in Raserei, fanden offene Türen und Fenster, durch die sie hineinflogen, ohne sich selbst ein Leid zuzufügen.

Zwar hatten die Tiere in einem Radius von zweihundert Metern den Lockruf vernommen, aber nur die in nächster Nähe folgten gehorsam.

Kaninchen sprangen, Eichhörnchen hüpften, Koyoten liefen, Füchse rannten und Waschbären trotteten auf ihre eigentümliche Weise durch nasses Gras und vom Regen gebeugte Unkräuter und Schlamm zur Quelle des Sirenengesangs. Manche waren Raubtiere und manche von Natur aus ängstliche Beute, aber sie liefen, ohne übereinander herzufallen, Seite an Seite. Es hätte eine Szene aus einem Zei-chentrickfilm von Walt Disney sein können - das nachbar-schaftlich und in Freundschaft lebende Volk von Feld und Wald folgte der lieblichen Gitarren- oder Akkordeonmusik eines älteren, schwarzen Mannes, der ihnen, sobald sie sich um ihn versammelt hatten, Geschichten von Magie ur?d großen Abenteuern erzählen würde. Aber sie liefen nicht zu einem freundlichen Neger, der Geschichten erzählte, und die Musik, die sie anzog, war düster, kalt und unmelodisch.

2

Während sich Sam damit abmühte, Harry die Leiter hoch auf den Speicher zu schleppen, brachten Tessa und Chris sie den Rollstuhl in die Kellergarage. Es war ein schweres, mo -torisiertes Modell, kein leichter, zusammenklappbarer Stuhl, und er paßte nicht durch die Falltür. Tessa und Chrissie parkten ihn hinter dem großen Garagentor, so daß es aussah, als wäre Harry soweit gekommen und hätte das Haus dann möglicherweise im Auto eines Freundes verlas -sen.

»Glauben Sie, sie fallen darauf herein?« fragte Chrissie besorgt.

»Wäre möglich«, sagte Tessa.

»Vielleicht denken sie sogar, daß Harry die Stadt gestern verlassen hat, bevor die Straßensperren errichtet wurden.«

Tessa stimmte zu, aber sie wußte - und vermutete, Tessa wußte es auch -, daß die Chancen, daß der Trick funktionieren würde, gering waren. Wenn Harry und Sam wirklich so fest daran geglaubt hätten, daß der Speichertrick funktionierte, hätten sie Chrissie ebenfalls dort oben versteckt, anstatt sie mit in die sturmgepeitschte Alptraumwelt von Mo-onlight Cove hinauszunehmen.

Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock zurück, wo Sam gerade die Leiter hochschob und die Falltür zumachte. Moose sah ihm neugierig zu.

»Siebzehn Uhr zweiundvierzig«, sagte Tessa, die auf die Uhr sah.

Sam nahm die Kleiderstange, die er entfernen mußte, um die Falltür herunterzulassen, und befestigte sie wieder in den Halterungen.

»Helft mir, die Kleider wieder aufzuhängen.«

Hemden und Hosen waren samt den Bügeln aufs Bett gelegt worden. Sie arbeiteten zusammen und reichten die Kleidungsstücke wie Amateurfeuerwehrmänner, die eine Eimerkette bildeten, von einem zum anderen, und so stellten sie rasch das frühere Aussehen des Schrankes wieder her.

Tessa stellte fest, daß sich die dicken Mullbinden um Sams Handgelenk wieder mit Blut vollzusaugen begannen. Die Anstrengung hatte die Verletzungen wieder aufbrechen lassen. Es waren zwar keine lebensgefährlichen Verletzungen, aber sie mußten ziemlich schmerzhaft sein, und alles, was ihn bei der vor ihnen liegenden Aufgabe ablenken konnte, machte ihre Erfolgschancen geringer.

Sam machte die Tür zu und sagte: »Mein Gott, es gefällt mir nicht, ihn so zurückzulassen.«

»Siebzehn Uhr sechsundvierzig«, erinnerte Tessa ihn.

Während Tessa ihre Lederjacke anzog und Chrissie in einen zu großen blauen Regenmantel schlüpfte, der Harry gehörte, lud Sam den Revolver. Er hatte im Haus der Coltranes sämtliche Munition in den Taschen verschossen. Aber Harry besaß einen 45er Revolver und eine 38er Pistole, die er beide mit auf den Dachboden genommen hatte, und er hatte für jedes einen Karton Munition, daher hatte sich Sam bei den Patronen Kaliber 38 bedient.