Hin und wieder lachte er leise und etwas schrill, und seine Augen funkelten wie die eines grausamen und gestörten Jungen, der die Auswirkungen von Feuer auf gefangene Ameisen studiert.
4
Chrissie wartete mit Tessa und Sam in der Küche, bis noch mehr Licht aus dem sterbenden Tag blutete, während Moose um sie herumstrich und so heftig mit dem Schwanz wedelte, daß man Angst haben mußte, er würde abfallen.
Schließlich sagte Sam: »Also gut. Bleibt dicht bei mir. Und macht die ganze Strecke über alles, was ich sage.«
Er sah Chrissie und Tessa lange an, bevor er tatsächlich die Tür aufmachte; sie umarmten einander ohne ein Wort zu sagen. Tessa küßte Chrissie auf die Wange, dann küßte Sam sie, und sie küßte die beiden ebenfalls. Man mußte ihr nicht sagen, weshalb sich plötzlich alle so zärtlich fühlten. Sie waren Menschen, echte Menschen, und es war wichtig, daß sie ihre Gefühle ausdrückten, weil sie vor Ende der Nacht vielleicht keine echten Menschen mehr waren. Vielleicht würden sie nie wieder empfinden, was echte Menschen empfanden, daher waren ihre Empfindungen mit jedem Augenblick kostbarer.
Wer wußte, was diese unheimlichen Gestaltveränderer empfanden? Wer wollte es wissen?
Und wenn sie die Central nicht erreichten, dann wahrscheinlich, weil sie unterwegs von einem Suchtrupp oder einem der Schreckgespenster gestellt würden. In diesem Fall war dies vielleicht ihre letzte Chance, einander auf Wiedersehen zu sagen.
Schließlich führte Sam sie auf die Veranda.
Chrissie machte sorgfältig die Tür hinter ihnen zu. Moose versuchte nicht herauszukommen. Für so billige Tricks war er ein zu guter und edler Hund. Aber er steckte die Schnauze durch den schmaler werdenden Spalt, schnupperte an ihr und versuchte, ihr die Hand zu lecken, so daß sie Angst hatte, sie würde ihn einklemmen. Aber er wich im letzten Augenblick zurück, und die Tür fiel zu.
Sam führte sie die Stufen hinab und durch den Garten zum Haus südlich von dem Harrys. Dort brannte kein Licht. Chrissie hoffte, daß niemand zu Hause wäre, aber sie stellte sich vor, wie in diesem Augenblick ein monströses Geschöpf hinter einem der dunklen Fenster lauerte, sich die Lippen leckte und sie beobachtete.
Der Regen schien kälter als während ihrer gestrigen Flucht, aber das konnte daran liegen, daß sie gerade aus dem warmen, trockenen Haus kam. Im Westen erhellte nur noch ein schwacher grauer Schimmer den Himmel. Die eisigen, schneidenden Tropfen schienen den letzten Rest dieses Lichts aus den Wolken zu reißen, und in den Boden zu stampfen und eine undurchdringliche, feuchte Dunkelheit herabzuziehen. Noch bevor sie den Zaun erreicht hatten, der Harrys Grundstück vom benachbarten trennte, war Chrissie dankbar für den Nylonregenmantel mit Kapuze, obwohl er ihr zu groß war und sie sich darin fühlte, als wäre sie ein kleines Kind, das sich mit den Kleidungsstücken ihrer Eltern verkleidet hatte.
Es war ein Scherenzaun, über den man leicht klettern konnte. Sie folgten Sam durch den Nachbargarten zum nächsten Zaun. Chrissie kletterte auch darüber in den Nachbargarten, dicht gefolgt von Tessa und erst da wurde ihr klar, daß dies das Grundstück der Coltranes war.
Sie sah zu den leeren Fenstern. Auch hier brannte kein Licht, und das war gut, denn wenn hier Licht gebrannt hätte, hätte das bedeutet, jemand hätte die Überreste der Coltranes nach ihrem Kampf mit Sam gefunden.
Während sie zum nächsten Zaun durch den Garten ging, bekam Chrissie Angst, die Coltranes könnten sich irgendwie wiederbelebt haben, nachdem Sam sie erschossen hatte, sie könnten in eben dieser Minute am Küchenfenster stehen und heraussehen, hätten ihren Nemesis und seine beiden Begleiter erkannt und machten gerade jetzt die Tür auf. Sie rechnete damit, daß zwei Robotergeschöpfe mit Metallarmen und großen Metallhänden herauskommen würden, Blutsverwandte der lebenden Toten in alten Zombiefilmen, auf deren Köpfen sich winzige Radarantennen drehten und aus deren Körperöffnungen Dampf zischte.
Ihre Angst mußte sie langsamer gemacht haben, denn Tes-sa stolperte hinter ihr fast in sie hinein und gab ihr einen sanften Schubs, um sie zur Eile anzutreiben. Chrissie duckte sich und eilte zum Südrand des Gartens.
Sam half ihr über einen schmiedeeisernen Zaun mit speerähnlichen Spitzen auf den Stangen. Sie hätte sich wahrscheinlich aufgespießt, wenn sie alleine geklettert wäre. Chrissie -Schaschlik.
Im nächsten Haus waren Leute anwesend, und Sam suchte hinter Büschen Schutz und peilte die Lage, bevor er weiterlief. Chrissie und Tessa gesellten sich rasch zu ihm.
Während sie über den letzten Zaun geklettert war, hatte sie die aufgeschürfte linke Hand angeschlagen, obwohl sie bandagiert war. Es tat weh, aber sie biß die Zähne zusammen und beschwerte sich nicht.
Chrissie bog die Zweige des Maulbeerbuschs auseinander und sah zu dem Haus, das nur sechs Meter entfernt war. Sie sah vier Menschen durch das Küchenfenster. Sie machten gemeinsam das Abendessen. Ein Paar in mittleren Jahren, ein grauhaariger Mann und ein Mädchen, das noch keine zwanzig war.
Sie fragte sich, ob sie schon verwandelt worden waren. Sie glaubte nicht, konnte aber nicht sicher sein. Und da sich die Roboter und Schreckgespenster manchmal in schlauen menschlichen Verkleidungen versteckten, konnte man keinem vertrauen, nicht einmal seinem besten Freund... oder seinen Eltern. Ziemlich genau so, als wären Außerirdische gelandet.
»Sie werden uns, selbst wenn sie herausschauen, nicht sehen«, sagte Sam. »Kommt weiter.«
Chrissie folgte ihm aus der Deckung das Maulbeerbuschs über den offenen Rasen zur Grenze des nächsten Grundstücks, und dabei dankte sie Gott für den Nebel, der mit jeder Minute dichter wurde.
Schließlich kamen sie zum Haus am Ende des Blocks. Die Südseite dieses Gartens grenzte an die Querstraße an, Ber-genwood Way, die zur Conquistador hinunterführte.
Als sie zwei Drittel des Weges über den Rasen zurückgelegt hatten, weniger als sechs Meter von der Straße entfernt, bog eineinhalb Block weiter oben ein Auto in die Straße ein und fuhr herunter. Chrissie folgte Sams Beispiel und warf sich flach auf den nassen Rasen, weil kein Gebüsch in der Nähe war, hinter dem sie Zuflucht suchen konnten. Wenn sie versuchten, zu weit zu laufen, könnte der Fahrer des näherkommenden Autos sie vielleicht sehen, während sie noch Schutz suchten.
Am Bergenwood Way standen keine Straßenlaternen, was ihr Vorteil war. Das letzte aschefarbene Licht am westlichen Horizont war verschwunden - auch ein Bonus.
Während das Auto näherkam und langsam fuhr, entweder wegen des Wetters, oder weil die Insassen einem Such-trupp angehörten, verschwammen die Scheinwerferlichter im Nebel, der das Licht nicht zu reflektieren schien, sondern wie aus eigener Kraft leuchtete. Meterweit wurden Gegenstände auf beiden Seiten des Autos in der Nacht halb enthüllt und von den langsam wabernden, am Boden klebenden leuchtenden Wolken seltsam verzerrt.
Als das Auto weniger als einen Block entfernt war, schaltete jemand auf dem Rücksitz einen Handscheinwerfer an. Er richtete ihn zum hinteren Fenster hinaus und ließ ihn über die Vorgärten der Häuser gleiten, die am Bergenwood Way standen, und über die seitlichen Gärten der Häuser an den Querstraßen. Im Augenblick wurde der Lichtstrahl auf die andere Seite gerichtet, nach Süden, zur anderen Seite des Bergenwood Way. Bis sie hierher gekommen sein würden, würden sie vielleicht beschlossen haben, die Grundstücke nördlich am Bergenwood anzustrahlen.
»Zurück«, sagte Sam schroff. »Aber bleibt unten und kriecht, kriecht.«
Das Auto kam an die einen halben Block entfernte Kreuzung.
Chrissie kroch hinter Sam her, aber nicht direkt zurück, woher sie gekommen waren, sondern auf das nahe Haus zu. Sie konnte kein Versteck sehen, weil das Geländer der hinteren Veranda ziemlich offen war und es keine größeren Büsche gab. Vielleicht wollte er um die Hausecke huschen, bis die Patrouille vorbei war, aber sie glaubte nicht, daß sie und Tessa das rechtzeitig schaffen würden.