Er sagte zu Runningdeer: »Du wirst tun, was ich dir sage.«
»Immer.«
Shaddack nahm außerordentlich zufrieden den Fuß von der Bremse und fuhr weiter. Die Scheinwerfer beleuchteten ein Ding mit bernsteinfarbenen Augen und einer phantastischen Gestalt, das aus einer Pfütze aus dem Gehweg trank. Er weigerte sich, es als etwas Bedeutsames anzusehen, und als es davonhuschte, verdrängte er es so schnell aus seinen Gedanken wie es von der nächtlichen Straße verschwunden war.
Er warf dem Indianer einen verschlagenen Blick zu und sagte: »Weißt du, was ich eines Tages machen werde?«
»Was denn, Kleiner Häuptling?«
»Wenn ich alle verwandelt habe, nicht nur die Menschen in Moonlight Cove, sondern alle auf der Welt, wenn niemand mehr gegen mich steht, dann werde ich etwas Zeit darauf verwenden, deine Familie aufzuspüren, all deine noch lebenden Brüder und Schwestern, sogar deine Vettern und deren Kinder nebst Männern und Frauen... und dann werde ich dafür sorgen, daß sie für deine Verbrechen bezahlen, daß sie wirklich und wahrhaftig bezahlen.« Seine Stimme hatte einen wimmernden Tonfall angenommen. Er mißbilligte den nörgelnden Unterton, konnte ihn aber nicht abstellen. »Ich werde alle Männer töten, sie in blutige Stücke hacken, und zwar höchstpersönlich. Ich werde sie wissen lassen, daß sie leiden müssen, weil sie deine Verwandten sind, und sie werden dich verachten und deinen Namen verfluchen, es wird ihnen leid tun, daß du jemals existiert hast. Und ich werde alle Frauen vergewaltigen und ihnen weh tun, ihnen weh tun, wirklich schlimm, und dann werde ich sie auch umbringen. Was meinst du dazu? Hm?«
»Wenn du es möchtest, Kleiner Häuptling.«
»Verdammt richtig, ich möchte es.«
»Dann solltest du es tun.«
»Verdammt richtig, ich werde es tun.«
Shaddack war überrascht, daß ihm Tränen in die Augen traten. Er hielt an einer Kreuzung und fuhr nicht weiter. »Es war nicht richtig, was du mit mir gemacht hast.«
Der Indianer sagte nichts.
»Sag, daß es nicht richtig war.«
»Es war nicht richtig, Kleiner Häuptling.«
»Es war überhaupt nicht richtig.«
»Es war nicht richtig.«
Shaddack holte ein Taschentuch aus der Tasche und schneuzte sich die Nase. Er tupfte sich die Augen damit. Wenig später trockneten seine Tränen.
Er sah lächelnd in die nächtliche Landschaft jenseits des Fensters. Er seufzte. Er sah Runningdeer an.
Der Indianer sah stumm geradeaus.
Shaddack sagte: »Natürlich wäre ich ohne dich vielleicht nie das Kind des Mondfalken geworden.«
11
Das Computerlabor befand sich im Erdgeschoß im Zentrum des Gebäudes in der Nähe eines Korridorknotenpunkts. Fenster überblickten einen Hof, waren aber von der Straße nicht zu sehen, daher konnte Sam die Beleuchtung einschalten.
Es war ein großes Zimmer, das wie ein Sprachlabor angelegt war, jedes VDT befand sich in einer eigenen abgeschirmten Kammer. Dreißig Computer - neueste Modelle mit Festplatte - waren an drei Wänden und in einer Reihe Rücken an Rücken in der Mitte des Zimmers aufgestellt.
Tessa betrachtete sich den Reichtum an Hardware und sagte: »New Wave war reichlich großzügig, was?«
»Vielleicht wäre >gründlich< das passendere Wort«, sagte Sam.
Er schritt an den Bildschirmreihen entlang und suchte nach Telefonanschlüssen und Modems, fand aber keine.
Tessa und Chrissie blieben unter der offenen Tür stehen und sahen auf den dunklen Flur hinaus.
Sam nahm vor einer der Maschinen Platz und schaltete sie ein. Das Wahrzeichen von New Wave erschien auf dem Bildschirm.
Da keine Telefone oder Modems vorhanden waren, hatte die Schule die Computer möglicherweise wirklich nur für Ausbildungszwecke erhalten, ohne die Absicht, die Kinder während einer Phase des Projekts Moonhawk an New Wave zu binden.
Das Wahrzeichen erlosch, ein Menü erschien auf dem Bildschirm. Da es sich um Festspeichergeräte mit unglaublicher Kapazität handelte, waren die Programme bereits eingelesen und funktionstüchtig, wenn das System eingeschaltet wurde. Das Menü bot ihm fünf Möglichkeiten:
A. AUSBILDUNG l
B. AUSBILDUNG 2
C. TEXTSYSTEME
D. BUCHFÜHRUNG
E. SONSTIGES
Er zögerte, aber nicht, weil er sich nicht entscheiden konnte, welche Taste er drücken sollte, sondern weil er plötzlich Angst davor hatte, die Maschine zu benützen. Er erinnerte sich zu deutlich an die Coltranes. Er glaubte zwar, daß sie sich freiwillig entschieden hatten, mit ihren Computern zu verschmelzen, daß ihre Verwandlung in ihnen selbst begann, aber er konnte nicht mit Sicherheit wissen, ob es nicht anders herum gewesen war. Vielleicht hatten die Computer irgendwie sie gepackt. Das schien unmöglich. Außerdem wußten sie durch Harrys Beobachtungen, daß die Menschen in Moonlight Cove durch Injektionen verwandelt wurden, nicht durch eine schleichende Macht, die durch halb magische Weise durch Computertastaturen in ihre Fingerspitzen überging. Trotzdem zögerte er.
Schließlich drückte er E und bekam eine Liste mit Schul-themen:
A. ALLE SPRACHEN
B. MATHE
C. NATURWISSENSCHAFTEN
D. GESCHICHTE
E. ENGLISCH
F. SONSTIGES
Er drückte F. Ein drittes Menü erschien, dieser Vorgang wurde fortgesetzt, bis er schließlich ein Menü bekam, auf dem als letzte Wahlmöglichkeit NEW WA VE stand. Als er diese Möglichkeit getippt hatte, flimmerten Worte über den Bildschirm.
HALLO STUDENT.
DU HAST JETZT VERBINDUNG MIT DEM SUPERCOMPUTER VON NEW WA VE MIKROTECHNOLOGIE. MEIN NAME IST SONNE.
ICH STEHE DIR ZU DIENSTEN.
Die Schulcomputer waren direkt mit New Wave verbunden. Modems waren überflüssig.
MÖCHTEST DU GERNE MENUES SEHEN?
ODER MÖCHTEST DU DEIN SPEZIELLES INTERESSE NENNEN?
Da er an die Vielzahl von Menüs allein im System der Polizei dachte, das er gestern nacht im Streifenwagen gesehen hatte, stellte er sich vor, daß er die ganze Nacht hier sitzen und ein Menü nach dem anderen abrufen konnte, bis er gefunden hatte, was er suchte. Er tippte: POLIZEIREVIER MOONLIGHT COVE.
DIESE DATEI IST VERTRAULICH.
BITTE VERSUCHE NICHT, SIE ANZUWÄHLEN, OHNE DEINEN LEHRER UM RAT ZU FRAGEN.
Er vermutete, daß die Lehrer bestimmte Kodenummern hatten, die ihnen, je nachdem, ob sie verwandelt waren oder nicht, Zugang zu ansonsten vertraulichen Daten verschaffen konnten. Er konnte nur einen solchen Kode herausfinden, wenn er wahllos Ziffernfolgen eingab, aber da er nicht einmal wußte, aus wievielen Zahlen ein Kode bestand, hatte er Millionen, wenn nicht Milliarden Möglichkeiten. Er konnte hier sitzen, bis sein Haar weiß wurde und ihm die Zähne ausfielen, ohne eine richtige Zahl zu finden.
Letzte Nacht hatte er den persönlichen Zugangskode von Reese Dorn benützt, und e fragte sich jetzt, ob der nur bei einer speziellen Polizeimaschine funktionierte oder ob jeder mit Sonne verbundene Computer sie akzeptieren würde. Ein Versuch konnte nicht schaden. Er tippte: 262699.
Der Bildschirm wurde leer. Dann: HALLO, OFFICER DORN.
Er bat wieder um das Datensystem des Polizeireviers. Diesesmal bekam er es.
BITTE WÄHLEN.
A. FUNKER
B. ZENTRALE DATENBANK
C. ANZEIGENTAFEL
D. AUSSENSYSTEM-MODEM
Er drückte D.
Er bekam die Liste der nationalen Computer, über die er sich mit dem Modem der Polizei in Verbindung setzen konnte.
Plötzlich waren seine Hände schweißfeucht. Er war sicher, daß etwas schiefgehen würde, und sei es nur, weil bisher nichts einfach gewesen war, seit der Minute nicht, als er in die Stadt gefahren war.