Schließlich schwebten sie über dem erleuchteten Kreis im Park.
Sie landeten nicht sofort. Während die mächtigen Rotoren den Nebel davonwehten, ließen sie einen Scheinwerfer über die Menschen im Park gleiten, die außerhalb des erleuchteten Landeplatzes standen, und sie verbrachten Minuten damit, die grotesken Leichen auf den Straßen zu betrachten.
Schließlich senkte sich die CH-64 beinahe widerwillig in den erleuchteten Kreis, während die Cobras in der Luft blieben. Die Männer, die aus den Helikoptern sprangen, trugen automatische Waffen, aber ansonsten sahen sie nicht wie Soldaten aus, weil sie, dank Sams Nachricht, in biologisch sichere weiße Anzüge gekleidet waren, die ihren eigenen Sauerstoffvorrat auf dem Rücken hatten. Sie hätten Astronauten sein könnten, keine Marines.
Lieutenant ROSS Dalgood, dessen Gesicht hinter dem Helmvisier wie das eines Babies wirkte, kam direkt auf Sam und Tessa zu, nannte ihnen Namen und Dienstgrad und begrüßte Sam mit Namen; offenbar hatte man ihm ein Foto gezeigt, bevor er auf seine Mission geschickt worden war. »Biologischer Angriff, Agent Booker?«
»Ich glaube nicht«, sagte Sam, während die Rotoren von einem harten, rhythmischen Pochen zu einem leiseren Schnurren überwechselten.
»Aber Sie wissen es nicht?«
»Ich weiß es nicht«, gab er zu.
»Wir sind die Vorhut«, sagte Dalgood. »Es sind noch eine Menge Leute unterwegs - reguläre Truppen und FBI-Leute kommen über den Highway. Dürften bald hier sein.«
Die drei - Dalgood, Sam und Tessa - schritten zwischen zwei der Autos im Kreis hindurch zu einem der toten Wesen, das auf dem Gehweg beim Park lag.
»Ich konnte aus der Luft nicht glauben, was ich sah«, sagte Dalgood.
»Glauben Sie es«, sagte Tessa.
»Was, zum Teufel, ist das?« sagte Dalgood.
Sam sagte: »Schreckgespenster.«
38
Tessa machte sich Sorgen wegen Sam. Sie und Chrissie und Harry kehrten um ein Uhr morgens in Harrys Haus zurück, nachdem sie von Männern in Dekontaminationsanzügen dreimal verhört worden waren. Sie hatten zwar schreckliche Alpträume, konnten aber ein paar Stunden schlafen. Aber Sam blieb die ganze Nacht weg. Mittwochmorgen um elf Uhr, als sie mit dem Frühstück fertig waren, war er noch nicht wieder zurückgekehrt.
»Er hält sich vielleicht für unzerstörbar, aber das ist er nicht.«
»Ihnen liegt etwas an ihm«, sagte Harry.
»Selbstverständlich liegt mir etwas an ihm.«
»Ich meine, Sie mögen ihn.«
»Nun... ich weiß nicht.«
»Aber ich weiß es.«
»Ich weiß es auch«, sagte Chrissie.
Sam kam um ein Uhr schmutzig und mit grauem Gesicht zurück. Sie hatte das Gästebett frisch bezogen, und er taumelte hinein, ohne sich richtig auszuziehen.
Sie saß in einem Sessel neben dem Bett und beobachtete ihn im Schlaf. Ab und zu stöhnte er und schlug um sich. Er rief ihren Namen und den von Chrissie - und manchmal den von Scott -, als hätte er sie verloren und wanderte auf der Suche nach ihnen durch eine einsame und gefährliche Gegend.
Um sechs Uhr Mittwoch abends kamen FBI-Leute in Dekontaminationsanzügen und holten ihn nach weniger als fünf Stunden Schlaf. Er blieb die ganze Nacht weg.
Mittlerweile waren alle Leichen in ihrer grotesken biologischen Vielfalt von dort eingesammelt worden, wo sie gestürzt waren, mit Schildern versehen, in Plastiksäcke eingeschweißt und für die Pathologen in Kühlhallen gebracht worden.
In dieser Nacht schliefen Tessa und Chrissie in einem Bett. Sie lagen in dem halbdunklen Raum, über dessen Lampe sie ein Handtuch gehängt hatten, um eine Nachtbeleuchtung zu schaffen, und das Mädchen sagte: »Sie sind fort.«
»Wer?«
»Meine Mom und mein Dad.«
»Ich glaube schon.«
»Tot.«
»Es tut mir leid, Chrissie.«
»Oh, das weiß ich. Ich weiß, daß es Ihnen leid tut. Sie sind sehr nett.« Dann weinte sie eine Weile in Tessas Armen.
Als sie schon fast eingeschlafen war, sagte sie: »Sie haben doch mit Sam gesprochen. Hat er gesagt... ob sie etwas über die Tiere gestern abend herausgefunden haben... wohin sie alle gelaufen sind?«
»Nein«, sagte Tessa. »Sie haben noch keine Ahnung.«
»Das macht mir Angst.«
»Mir auch.«
»Ich meine, daß sie keine Ahnung haben.«
»Ich weiß«, sagte Tessa. »Das habe ich auch gemeint.«
39
Donnerstag vormittag hatten die Teams der FBI-Techniker und hinzugezogene Spezialisten von außerhalb die Moon-hawk-Daten von Sonne soweit gesichtet, daß sie sagen konnten, bei dem Projekt hatte es sich um Implantierung eines nichtbiologischen Kontrollmechanismusses gehandelt, der durchgreifende physiologische Veränderungen in den Opfern bewirkt hatte. Bisher hatte noch niemand einen Schimmer, wie er funktionierte, wie die Mikrokugeln zu so radikalen Veränderungen geführt haben konnten, aber sie waren sicher, daß keine Bakterien, Viren oder andere gezüchtete Organismen im Spiel waren. Es war alles eine Sache von Maschinen.
Die Armeeinheiten, die die Stadt gegen Reporter der Nachrichtenmedien und Neugierige abriegelten, hatten immer noch genügend zu tun, aber sie waren froh, daß sie die unbequemen Dekon-Anzüge ablegen konnten. Ebenso die Hunderte von Wissenschaftlern und FBI-Agenten, die überall in der Stadt ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Obwohl Sam in den vor ihnen liegenden Tagen sicher noch zurückkehren mußte, bekamen er und Tessa und Chrissie am Freitag morgen die Erlaubnis, die Stadt zu ver-lassen. Ein verständnisvoller Richter hatte Tessa bereits vorübergehend das Sorgerecht für das Mädchen zugesprochen. Die drei sagten >auf bald< zu Harry, und nicht -auf Wieder-sehenA und wurden mit einem Bell JetRanger-Hubschrauber des Bureau abtransportiert.
Um die stattfindenden Untersuchungen nicht durch sensationslüsterne und falsche Medienberichte zu beeinträchtigen, war über Moonlight Cove eine Nachrichtensperre verhängt worden, und Sam wurde erst klar, welch ungeheueren Wirbel die Moonhawk-Geschichte gemacht haben mußte, als sie über die Straßensperre der Armee nahe der Inter-state flogen. Hunderte von Pressefahrzeugen standen am Straßenrand oder parkten auf den Feldern. Der Pilot flog so tief, daß Sam alle Kameras sehen konnte, die sie aufzeichneten, während sie über die Menge hinwegflogen.
»Auf der Landstraße nördlich der Holliwell Road ist es fast genauso schlimm«, sagte der Helikopterpilot. »Dort haben sie die andere Straßensperre errichtet. Reporter aus allen Teilen der Welt schlafen auf dem Boden, weil sie nicht in ein Motel gehen und schlafen wollen, um festzustellen, daß Moonlight Cove für die Öffentlichkeit freigegeben wurde während sie ihr Nickerchen gemacht haben.«
»Da müssen sie sich keine Sorgen machen«, sagte Sam. »Es wird noch wochenlang nicht für die Presse geöffnet werden - oder jemand anderen, abgesehen von den Wissenschaftlern.«
Der JetRanger brachte sie nach San Francisco zum International Airport, wo sie drei Reservierungen für einen PSA-Flug nach Los Angeles hatten. Als er die Kioske im Terminal besuchte, überflog Sam ein paar Schlagzeilen:
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ HINTER TRAGÖDIE IN COVE SUPERCOMPUTER LÄUFT AMOK
Das war natürlich Unsinn. Der Supercomputer von New Wave, Sonne, war keine künstliche Intelligenz. So etwas war noch nirgendwo auf der Welt gebaut worden, obwohl sich Legionen von Wissenschaftlern darum bemühten, die ersten zu sein, die Väter eines wirklich denkenden elektronischen Verstandes wurden. Sonne war nicht Amok gelaufen; sie hatte nur gehorcht, wie es alle Computer taten.
Sam wandelte Shakespeare ab, als er dachte: >Die Schuld liegt nicht bei unserer Technologie, sondern bei uns selbst. < Heutzutage gaben die Menschen jedoch den Computern die Schuld an Versagern im System - so wie vor Jahrhunderten Angehörige weniger weit entwickelter Kulturen ihr Versagen auf die Sterne geschoben hatten.