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Das helle Betonrohr bot dem schwachen Mondlicht gerade hinreichend Oberfläche, daß man es erkennen konnte. Als sie es sah, wußte sie sofort, daß dies die Hauptwasserleitung war, die das Regenwasser vom Highway und der Landstraße hoch oben sammelte und abfließen ließ. Den schrillen Schreien der Verfolger konnte sie entnehmen, daß ihr Vorsprung geringer wurde. Sie hatte immer mehr Angst, daß sie es nicht bis zu den Bäumen auf der anderen Seite der Wiese schaffen, sondern früher zu Fall gebracht werden würde. Vielleicht war das Rohr eine Sackgasse und bot nicht mehr Sicherheit als die Zypressen, die sie erklimmen wollte, aber sie entschied, daß sie das Risiko eingehen würde.

Sie glitt wieder auf den Grund des Grabens und hastete zur Öffnung. Das Rohr maß einen Meter zwanzig im Durchmesser. Wenn sie sich ein wenig bückte, konnte sie darin gehen. Aber sie kam nur ein paar Schritte, dann blieb sie stehen, weil sie einen so üblen Geruch wahrnahm, daß sie würgen mußte.

Etwas Totes lag in diesem finsteren Durchgang und verweste. Sie konnte nicht sehen, was er war, aber vielleicht war es besser, wenn sie es nicht sähe; der Kadaver sah vielleicht noch schlimmer aus als er roch. Ein krankes, sterbendes Tier mußte in diesem Rohr Schutz gesucht haben, und hier war es seiner Krankheit erlegen.

Sie wich hastig aus der Abwasserleitung zurück und atmete die frische Nachtluft ein.

Von Norden ertönten die gemeinsamen, hallenden Schreie, die ihr buchstäblich die Nackenhärchen sträubten.

Sie kamen rasch näher und hatten sie fast erreicht.

Sie hatte keine andere Wahl, als sich tief in dem Abwasserrohr zu verstecken und zu hoffen, daß sie ihre Witterung nicht aufnehmen könnten. Plötzlich wurde ihr klar, daß das verwesende Tier ihre Rettung sein könnte, denn wenn ihre Verfolger sie wie Hunde wittern konnten, könnte der Verwesungsgestank ihren eigenen Geruch verbergen.

Sie ging wieder in das pechschwarze Rohr und folgte dem konvexen Boden, der sich unter der Wiese allmählich nach oben krümmte. Nach zehn Metern trat sie mit dem Fuß in etwas Weiches und Glitschiges. Der gräßliche Verwesungsgestank hüllte sie noch stärker als zuvor ein, und sie wußte, sie war in das tote Dinge getreten.

»Oh, igitt.«

Sie würgte und spürte ihren Mageninhalt hochsteigen, aber sie biß die Zähne zusammen und weigerte sich, sich zu übergeben. Als sie an der verwesten Masse vorbei war, hielt sie inne und streifte den Schuh am Betonboden des Rohrs ab.

Dann eilte sie weiter in das Abflußrohr. Sie wuselte sich mit gebeugten Knien, eingezogenen Schultern und gesenktem Kopf vorwärts, und ihr wurde klar, daß sie wie ein Troll aussehen mußte, der in seine geheime Höhle verschwindet.

Fünfzig oder sechzig Schritte nach dem unbekannten toten Ding blieb Chrissie stehen, bückte sich und drehte sich um, damit sie zur Öffnung des Schachts sehen konnte. Sie konnte den Graben im Mondlicht durch die kreisförmige

Öffnung erkennen, sie sah sogar mehr als sie erwartet hatte, weil die Nacht im Kontrast zur Dunkelheit im Rohr heller wirkte als draußen.

Alles war still.

Von den Gullygittern der Highways östlich über ihr wehte ein sanfter Wind herab und trieb den Gestank des toten Tiers von ihr weg, so daß sie nicht einmal eine Spur mehr davon wahrnehmen konnte. Die Luft roch lediglich nach Dunkelheit und einem Hauch Mehltau.

Stille hielt die Nacht umklammert.

Sie hielt einen Augenblick den Atem an und lauschte angestrengt.

Nichts.

Sie blieb geduckt stehen und verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

Stille.

Sie fragte sich, ob sie tiefer in das Rohr vordringen sollte. Dann fragte sie sich, ob Schlangen im Abflußrohr sein könnten. War dies nicht der perfekte Ort für Schlangen, wenn sie Schutz vor der kühlen Nachtluft suchten?

Stille.

Wo waren ihre Eltern? Tucker? Vor einer Minute waren sie dicht hinter ihr gewesen, zum Greifen nah.

Stille.

Klapperschlangen waren in den Hügeln an der Küste zu Hause, aber um diese Jahreszeit nicht aktiv. Wenn ein Nest Klapperschlangen...

Die anhaltende unnatürliche Stille raubte ihr die Nerven, und sie verspürte den Drang zu schreien, nur um den Bann des Schweigens zu brechen.

Ein schriller Schrei zerriß die Stille draußen. Er hallte durch den Betontunnel, an Chrissie vorbei und prallte im Durchgang hinter ihr von Wand zu Wand, als würden sich ihr die Jäger nicht nur von außen, sondern auch aus den Tiefen der Erde hinter ihr nähern.

Schemenhafte Gestalten sprangen in den Graben außerhalb des Rohrs.

12

Sam fand zwei Blocks von seinem Motel entfernt ein mexikanisches Restaurant in der Serra Street. Er schnupperte nur einmal die Luft in dem Lokal und wußte, daß das Essen gut sein würde. Diese Melange war das geruchsmäßige Äquivalent eines Albums von Jose Feliciano: Chilipulver, kochendes Chorizo, das süße Aroma von mit masa harina gemachten Tortillas, Cilantro, Pfefferschoten, der strenge Geruch von Jalapenochilis, Zwiebeln...

Das Perez Family-Restaurant war so unprätentiös wie sein Name, ein einziger rechteckiger Raum mit Nischen aus blauen Vinyl an den Seitenwänden, Tischen in der Mitte, der Küche im hinteren Teil. Die Familie Perez hatte, anders als Burt Peckham in der Knight's Bridge Tavern, mehr Betrieb als sie verkraften konnte. Das Restaurant war zum Brechen voll, abgesehen von einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen hinten, an den Sam von einer Teenagerkellnerin geführt wurde.

Kellner und Kellnerinnen waren leger in Jeans und Pullover gekleidet, das einzige schwache Zugeständnis an eine Uniform waren weiße Halbschürzen, die sie um die Taillen gebunden hatten. Sam fragte nicht einmal nach Guinness, das er noch nie in einem mexikanischen Restaurant gefunden hatte, aber sie hatten Corona, und das war fein, wenn das Essen gut war.

Das Essen war sehr gut. Nicht wahrhaft, unvergleichlich großartig, aber besser als man in einer nördlich gelegenen Küstenstadt mit dreitausend Einwohnern hätte erwarten dürfen. Die Maisfladen waren hausgemacht, die Salsa dick und sämig, die Bondigas-Suppe wohlschmeckend und so scharf gewürzt, daß ihm ein wenig der Schweiß ausbrach. Als er die Krabbenenchiladas mit Tomatenpüree gegessen hatte, war er halb überzeugt, daß er tatsächlich so schnell wie möglich nach Moonlight Cove ziehen sollte, auch wenn er eine Bank ausrauben müßte, damit er sich den vorzeitigen Ruhestand leisten könnte.

Nachdem er die Überraschung wegen des Essens überwunden hatte, fing er an, den anderen Gästen ebensoviel Aufmerksamkeit zu schenken wie dem, was er auf dem Teller hatte. Allmählich fielen ihm einige Seltsamkeiten an ihnen auf.

Wenn man bedachte, daß sich achtzig bis neunzig Menschen in dem Restaurant aufhielten, war es ungewöhnlich still. Erstklassige mexikanische Restaurants - mit gutem Essen, gutem Bier und starken Margaritas - waren ausgelassene Orte. Bei Perez unterhielten sich jedoch nur etwa ein Drittel der Gäste angeregt an ihren Tischen. Die restlichen zwei Drittel aßen schweigend.

Nachdem er das Glas geneigt und sich aus der frischen Flasche Corona eingeschenkt hatte, die er gerade bekommen hatte, studierte Sam einige der schweigsamen Esser. Drei Männer mittleren Alters saßen in einer Nische an der rechten Seite des Raumes und aßen Enchiladas und Tacos und Chimichangas, sahen auf ihr Essen oder vor sich ins Leere, gelegentlich auch einander an, aber ohne ein Wort zu sprechen. Auf der anderen Seite des Zimmers hatten sich zwei Teenagerpaare über Vorspeisenteller hergemacht, ohne die Mahlzeit mit dem Schwatzen und Kichern zu untermalen, die man von Kindern ihres Alters erwartet hätte. Ihre Konzentration war so angestrengt, daß es Sam um so seltsamer vorkam, je länger er sie betrachtete.

Im ganzen Lokal waren Menschen verschiedenen Alters und in allen möglichen Gruppen einzig und allein aufs Es -sen konzentriert. Alles schienen herzhafte Esser zu sein und aßen Vorspeisen, Suppe, Salate und Beilagen; wenn sie fertig waren, bestellten manche >noch ein paar Tacos< oder >noch einen Burrito<, bevor sie Eis oder Nachtisch bestellten. Ihre Kiefermuskeln traten beim Kauen hervor, und kaum hatten sie geschluckt, schoben sie sich rasch mehr in den Mund. Manche aßen mit offenem Mund. Einige schluckten so heftig, daß Sam sie sogar hören konnte. Sie waren rot im Gesicht und schwitzten, zweifellos wegen der mit Jalapeno gewürzten Sauce, aber kein einziger gab eine Bemerkung wie >Junge, ist das scharf< oder >Verdammt gut gewürzt< oder elementarste Kommentare zu seinem Nachbarn von sich.